Ein dickes Minuszeichen für das LMU-PLUS-Progamm zur Vermittlung von Schlüsselqualifikationen im Studium
von Dr. habil. Heike Diefenbach
Umso überraschender – viele Wissenschaftler, auch unter denjenigen, die man noch an Universitäten findet – würden sagen: erschreckender – nimmt sich die Einrichtung eines neuen Programms an der LMU aus, das der Ideologisierung und Banalisierung dessen, was an Universitäten gelehrt wird, Vorschub leisten soll (und, so steht zu befürchten, auch wird): das LMU-PLUS-Programm.
Wie gesagt besteht kein Konsens darüber, was Schlüsselqualifikationen eigentlich sind (Graichen, 2002, Iseli, 2010). Aber wenn man „Schlüsselqualifikationen“ übersetzt mit Qualifikationen, die der sinnhaften und effizienten Beschäftigung mit und in einem bestimmten Arbeitsfeld dienen oder dem Transfer von Inhalten von einem in einen anderen Arbeitsfeldbereich dienen, dann würde man erwarten, dass zu den Schlüsselqualifikationen für Studierende unabhängig von den Fächern, die sie studieren, u.a. wissenschaftliches Arbeiten (inklusive korrekten Zitierens, was wie man hört, überhaupt keine Selbstverständlichkeit ist, auch nicht unter Leuten mit Doktortiteln und im Professorenamt) gehört, außerdem natürlich Logik, Grundlagen der Wissenschaftstheorie, Methodologie, eine Einführung in die Statistik und Kritisches Denken, für das letztlich all das vorher Genannte eine Voraussetzung ist. Dass dies alles ausgerechnet in der Kompetenz von Frauenbeauftragten liegen soll, ist schon überaus erstaunlich. Aber die Angelegenheit klärt sich auf: tatsächlich geht es nämlich überhaupt nicht um die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen.
Die LMU hat mit dem LMU-PLUS-Programm nämlich keinen Vorstoß gewagt. um der zunehmenden Banalisierung und Ideologisierung dessen, was hierzulande als „Wissenschaft“ durchgeht, entgegenzuwirken, sondern im Gegenteil: das LMU-PLUS-Programm ist ein nur sehr notdürftig mit dem Feigenblatt „Schlüsselkompetenzen“ bedecktes staatsfeministisches Programm zur Identifikation und Rekrutierung ideologischer “Multiplikatoren”, also von Studierenden, die statt selbständig denken und ein eigenes Urteilsvermögen entwickeln zu wollen, eine Position dadurch erreichen möchten, dass sie nachreden, was ihnen als das Gute und Richtige präsentiert wird. Seien wir ehrlich: Alles andere wäre auch überraschend gewesen, denn das Programm fällt ja in die Zuständigkeit der Universitätsfrauenbeauftragten.
„Studieren mit Kind und Familienverantwortung“ soll dagegen – wenig überraschend, denn der Familienvater, der möglichst alle Wünsche und Ziele in die nächste Generation verlagert, statt selbst etwas leisten und erreichen zu wollen, ist ja das “Super-Mannsbild” des Staatsfeminismus – weiblichen und männlichen Studierenden gleichermaßen offenstehen und ihnen „spezielle Lern-, Lese- und Organisationstechniken vermitteln, um ein Studium auch mit Kind(ern) oder Pflegeverantwortung erfolgreich zu meistern“. Es soll also Studierende unterstützen, von denen nicht alle, aber zumindest ein Teil, nicht bereit war, seine Lebensplanung so einzurichten, dass sie sich einem Studium mit ungeteilter Energie und Motivation widmen können. Vielleicht spräche dies dafür, bereits Schülern etwas über „Vereinbarkeitsproblematik“, “Zeitmanagement“ und die Relevanz bestimmter Lebensentscheidungen zu bestimmten Zeitpunkten zu vermitteln.
„Gender- und Diversitykompetenz“ „werden im Beruf immer wichtiger“, so weiß die Universitätsfrauenbeauftragte (woher und warum das so sein sollte, bleibt natürlich ihr Geheimnis) und soll Studierende „bereits im Studium für die Konstruktionsweisen von Geschlecht sensibilisier[en]“. Was das in der vielbeschworenen Praxis bedeuten soll, fällt anscheinend nicht einmal der Universitätsfrauenbeauftragten ein, denn wir lesen in der Programmbeschreibung: „So werden sie [die Studierenden] bereits im Studium für die Konstruktionsweisen von Geschlecht sensibilisiert und können entsprechende Kenntnisse für den Beruf erlangen, wie z.B. Wege zur Vermeidung von Machtmissbrauch durch sexuelle Belästigung oder Möglichkeiten der Implementierung von Genderaspekten in Qualitätsmanagementprozessen“.
Zu deutsch: Das Training dient dazu, Studierende dazu zu bringen, später an ihrem Arbeitsplatz “Genderaspekte” zu implementieren, womit sehr deutlich gesagt wird, dass sie durch die Kurse zu Sprachrohren gemacht werden sollen, und sie sollen lernen, sich später mit sexuellen Avancen gegenüber Kollegen zurückzuhalten. Letzteres verwundert doch ziemlich: erstens, so dachten wir bei ScienceFiles, werden heutzutage in Deutschland doch bereits Fünfjährige in Kindergarten und Grundschule mit diesem Thema malträtiert, und zweitens wussten wir nicht, dass anscheinend nicht nur Akademiker, sondern auch Akademikerinnen sich Kollegen oder Studierende sexuell gefügig machen, indem sie ihre „Macht“ ausspielen, ja, wir wussten nicht einmal, dass sie „Macht“ haben! Wie ist das bloß möglich im angeblich existierenden Patriarchat?
Und tatsächlich werden „Seminare zur Gender- und Diversitykompetenz … für weibliche und männliche Studierende gleichermaßen angeboten“. Wenn Studierende lernen sollen, ihre “Macht” später nicht auszuspielen, dann stellt sich die Frage, warum genau dies Leuten, die derzeit schon in Berufspositionen sind, erlaubt sein sollte, bzw. wie man verhindert, dass Dozenten und Dozentinnen an der LMU ihre Macht einsetzen, um Studierende dazu zu nötigen, sich unsinnigen und rein ideologisch motivierten Veranstaltungen zu unterziehen, nur, um unbeschadet durch den „Gendertrichter“ zu kommen, der heute anscheinend auch an der LMU Studierende auf dem Weg zu zertifizierten „Leistungen“ filtert.
Betrachtet man sich die Veranstaltungen, die im Sommersemester 2013 im Rahmen des LMU-PLUS-Programms angeboten werden, dann findet man als einziges Angebot, das sich allein an männliche Studierende wendet, einen workshop mit dem grandiosen Titel „Wann ist ein Mann ein Mann?“ – Mannsein als gesellschaftliche Konstruktion. Als „Ziele des Workshops“ werden angegeben:
“Sensibilisierung für geschlechtstypische Zuschreibungen und Erwartungen- Verständnis von gesellschaftlichen Funktionen geschlechtstypischer Zuschreibungen
- Geschichtliche Verortung der Entstehungsbedingungen von Männlichkeiten
- Erkenntniss der Vielfalt von Geschlechtern
- Verortung von Mannsein zwischen Biologie und Konstruktion als ideologische Kategorie der Männlichkeit(en)
- Einblick in die Wirkmächtigkeit von Geschlechterverhältnissen im Arbeitsleben
- Reflektion der eigenen Konstruktion von Männlichkeiten inklusive eigener Position als Mann
- Möglichkeiten und Grenzen des Genderdialogs kennen lernen”
Unwillkürlich fragt man sich erstens, warum sich ein solches Seminar nicht auch an weibliche Studierende wenden sollte, wenn es darum gehen soll, ein Bewusstsein „für die Konstruktionsweisen von Geschlecht“ zu schaffen. Brauchen die jungen Frauen keine Sensibilität “für die Konstruktionsweisen von Geschlecht” zu entwicklen, oder sollen junge Frauen nichts über die Vielfalt männlicher Selbstverständnisse erfahren, damit nicht ihr Bild vom “richtigen” Mann, was immer das dann gerade sein mag, zerstört wird? Oder wird befürchtet, dass ein Dialog zwischen vom Genderdiskurs betroffenen jungen Männern und Frauen zu unvorhergesehenen und vor allem staatsfeministisch unerwünschten Ergebnissen führt, so dass man ein Geschlecht besser ausschließt, wenn es um “Sensibilisierung” für die Konstruktion von Geschlecht geht? Man stelle sich das vor: junge Frauen und Männer würden nach Reflexion und im Diskurs miteinander gleichermaßen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Geschlecht tatsächlich weder das einzig Relevante noch das Relevanteste an dem ist, was sie bei sich und bei anderen für die individuelle Person halten!
Zweitens fragt man sich, wenn schon ein geschlechtssegregiertes Seminar angeboten werden muss, warum kein entsprechendes Seminar für weibliche Studierende angeboten wird, in dem die Frage gestellt wird, „wann eine Frau eine Frau ist“. Soll das bedeuten, dass Letzteres weniger gesellschaftlich konstruiert als Ersteres ist, dass es eine essentielle weibliche Natur gibt, dass dem Staatsfeminismus “die” Frau als einfach an sich gegeben gilt? Oder ist es vielleicht einfach nicht erwünscht, dass junge Frauen sich bewusst werden darüber, wie sie z.B. durch Vereinbarkeitsrhetorik unter Druck gesetzt werden und ihnen durch staatsfeministische Indoktrination, die Männer und Frauen als antagonistische Gruppen darstellt, die Möglichkeit zu einer befriedigenden, vertrauensvollen und selbstverantworteten Partnerschaft mit einem Mann verbaut wird?
Ebenso wenig akzeptabel ist die Tatsache, dass die Kurse im Rahmen des LMU-PLUS-Programms aus zentralen Studiengebühren finanziert werden. Alle Studierenden, die an der LMU vielleicht doch eine wissenschaftliche Ausbildung zur Entwicklung eines eigenen Urteilsvermögens suchen, werden also zu ideologischen Zwecken zur Kasse gebeten und finanzieren nun nicht mehr nur Stellen speziell für Frauen im Dunstkreis der Universitätsfrauenbeauftragten, sondern auch ihre eigene Ideologisierung (bzw. die der Kommilitonen, die als Multiplikatoren dann ihre “Erkenntnisse” an sie vermitteln sollen). In der DDR mussten Studierenden ihre Kurse in Marxismus-Leninismus zumindest nicht aus der eigenen Tasche (mit)finanzieren. In der heutigen BRD müssen sie dies für Kurse in Staatsfeminismus und Überredungs”kunst” aber tun. Als kleine Entschädigung (von allen Studenten finanziert, versteht sich) erhalten beharrliche Teilnehmer an diesen Kursen ein Genderzertifikat, mit dem sie sich dann in der Berufswelt als besonders unkritische und unselbständig denkende Vertretet staatsfeministischer Ideologie ausweisen können, was ihnen bei mancher politischen Stiftung oder Partei sicherlich Tür und Tor öffnen wird. (Ob man dies allerdings als „praxisrelevant“ oder als „Schlüsselkompetenz“ bezeichnen kann, ist mehr als fraglich.)
Das LMU-PLUS-Programm als einen Ausrutscher an einer ansonsten (noch) integren Universität als Standort wissenschaftlicher Betätigung zu werten, hätte etwas enorm trostreiches, wäre aber leider faktisch falsch: An der LMU wird staatsfeministische Ideologisierung auch an anderen Stellen bzw. im Rahmen anderer Projekte und Lehrveranstaltungen betrieben wie im Rahmen des LMU-EXTRA-Programms, in dem man u.a. lernen kann, „Fachkompetenz stimmlich zu transportieren“, aber leider nicht, sich Fachkompetenz anzueignen, was bitter notwendig wäre angesichts der Tatsache, dass Studierende dies von ihren Lehrkräften schwerlich lernen können, wenn sich diese im Rahmen des LMU-EXTRA-Programms „[g]enderdidakti[sch]“ weiterbilden, indem sie eine Veranstaltung mit dem Titel „Gender und Diversity in der Lehre“ besuchen, denn dies wirft bereits als solches ein sehr dunkles Licht auf den Stellenwert fachlicher Kompetenz.
Wenn man den Internetseiten der LMU glauben darf, dann fragen die Studierenden an der LMU aber auch gar keine Fachkompetenz nach, denn unter der Rubrik „BELIEBTE LINKS“, die doch wohl auf (zumindest angeblich) „beliebte Links“ innerhalb der Internetseiten der LMU verweist, findet sich die folgende Liste:
Beliebte Links
- Die Frauenbeauftragte von A bis Z
- Fakultäts-Frauenbeauftragte
- Gleichstellungsprämie
- Mutterschutzpauschale
- Hilfe bei sexueller Belästigung
- Familienservice
Zu den „beliebten links“ gehören anscheinend keine Links zu den Exzellenzclustern oder zu einzelnen Professuren, zu Publikationen der wissenschaftlichen Mitarbeiter der LMU oder auch nur zum Prüfungsamt. Es scheint, dass Wissenschaft an der LMU inzwischen nicht nur unbeliebt geworden ist, sondern auch weitgehend unbekannt. Entweder sie hat sich längst ins Asyl wohin auch immer begeben, oder sie wagt sich nur noch zu später Nachtstunde und den Augen der Universitätsverwaltung entzogen in die Räume der LMU, damit ihr illegaler Aufenthalt nicht entdeckt und sie endgültig aus der Universität zwangsdeportiert wird – bei Strafandrohung im Rückkehrfall. Schade um die LMU!
Anmerkung von Michael Klein:
Dr. habil. Heike Diefenbach hat jahrelang an der LMU-München gelehrt und es in dieser Zeit u.a. abgelehnt, sich verbeamten zu lassen, weil dies nicht mit ihrer Auffassung von wissenschaftlicher Professionalität vereinbar ist. Um so enttäuschender muss es für sie sein, den staatsfeministisch veranlassten Niedergang der ehemaligen Exzellenz-Universität mitansehen zu müssen.
Literatur:
Diefenbach, Heike (2011). „‘Bringing Boys Back In‘ Revisited: Ein Rückblick auf die bisherige Debatte über die Nachteile von Jungen im deutschen Bildungssystem. S. 333-365 in: Hadjar, Andreas (Hrsg.): Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Graichen, Olaf (2002). Schlüsselkompetenzen. Eine kritische Beurteilung eines aktuellen Konzepts aus berufspädagogischer Sicht. Marburg: Tectum.
Iseli, Marlène (2010). Schlüsselkompetenzen im Studium – Eine erfreuliche Begleiterscheinung? S. 97-108 in: Bühler, Patrick, Bühler, Thomas & Osterwalder, Fritz (Hrsg.). Grenzen der Didaktik. Bern: Haupt.