Die repräsentative Demokratie ist tot!

Eine Reihe von Beiträgen, die über die letzten Monate verteilt auf ScienceFiles erschienen sind, haben meine Zweifel an der Möglichkeit einer repräsentativen Demokratie so stark gemacht, dass ich zu dem Schluss gekommen bin, dass eine repräsentative Demokratie schlichtweg unmöglich ist. Ich kann das Schmunzeln auf den Lippen von Dr. habil. Heike Diefenbach richtig vor mir sehen, denn mit dieser Aussage habe ich einen Stand erreicht, auf dem Dr. Diefenbach sich bereits seit Jahren befindet (ich kann mich nur zu gut daran erinnern, wie sie mich, den Politikwissenschaftler, in Argumentationsnot gebracht hat, durch so einfache Fragen wie: Wie kann ein Politiker Leute repräsentieren, die er nicht kennt, warum sollte er das wollen und warum sollten die Bürger ihm das zugestehen wollen?).

Vote-for-Nobody-frontNun, die neue Erkenntnis braucht wissenschaftliches Backing. Deshalb habe ich wahllos eine Einführung in das politische System Deutschlands gegriffen (und bin bei Pilz und Ortwein gelandet, die nicht nur eine Einführung, sondern eine “systemintegrierende Einführung”, was immer das auch sein mag, geben). In dieser Einführung steht die folgende Passage, die das Verhältnis zwischen Repräsentierenden und Repräsentierten wie es in Deutschland herrscht, darstellen soll (die Hervorhebungen im Text sind von mir).

“Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes geht von einer repräsentativen Willensbildung aus, bei der die Regierung durch das Parlament legitimiert und kontrolliert wird. Diesem repräsentativ-demokratischen Verständnis zufolge wird die Volksherrschaft nicht unmittelbar hergestellt, sondern ‘in Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt’ (Art. 20 Abs. 2 GG). …

  • Das Volk beauftragt durch Wahlen die Inhaber staatlicher Herrschaft mit der Ausübung der Macht auf Zeit.
  • Auch Verfassungsnormen wie die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) … eröffnen dem Bürger Möglichkeiten zur Kontrolle ob und inwieweit die jeweiligen Machthaber auch tatsächlich den Willen des Volkes ausführen” (Pilz & Ortwein, 2008, S.30).
El Classico
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Jemand wie ich, der ein ökonomisches Menschenbild hat und entsprechend davon ausgeht, dass wir alle versuchen, unseren Nutzen zu maximieren, hat selbstverständlich keine Freude an der Vorstellung, dass Politiker in der Regierung durch Politiker in Parlamenten und deren Stabträger in Gerichten kontrolliert werden. Selbst wenn man diese Form der Kontrolle der Ziegen, die sich als Gärtner versuchen, durch eine Reihe weiterer Ziegen für sinnvoll erachten würde, so hätte das Verständnis doch da ein Ende, wo Mitglieder der Regierung bei wichtigen Abstimmungen eben einmal zu Mitgliedern des Parlaments werden und sich quasi in Personalunion selbst kontrollieren.

Abgesehen davon ist eine Repräsentation durch Dritte nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Unter welchen? Gerard N. Casey hat sich diese Frage nach der Möglichkeit von Repräsentation gestellt und ist u.a. zu folgenden Repräsentations-Konstellationen gekommen:

  • Ich kann an einem Eigentümer-Treffen nicht teilnehmen und frage einen Bekannten, ob er meine Meinung bei dem Treffen kundtun kann.
  • Der Dekan einer Fakultät wird von den Mitgliedern der Fakultät beauftragt, dem Rektor der Universität gegenüber die zuvor festgelegten Interessen der Fakultät zu vertreten – ob er es macht, ist eine andere Frage.
  • Ich will etwas ersteigern, aber inkognito bleiben, weshalb ich einen Strohmann damit beauftrage, für mich zu bieten.
  • Fischer ist der Abgeordnete, der den Wahlkreis, in dem ich lebe, im Parlament vertritt. Ich stimme mit keiner seiner Ansichten überein. Kann er mich vertreten?

Life and Death of DemocracyGanz offensichtlich gerät die Idee der Repräsentation schnell an ihr Ende, wenn eine Asymmetrie zwischen Repräsentierendem und zu Repräsentierenden entsteht und vor allem dann, wenn der Auftrag, den die Repräsentierten an den Repräsentierenden richten, nicht eindeutig und klar definiert ist. Wenn also das Mandat eines Repräsentierenden darin besteht, bei der Abstimmung im Eigentümer-Verein und zum Tagesordnungspunkt 4 seine Hand zu heben und mit “nein” zu stimmen, dann wird niemand behaupten, eine Repräsentation sei nicht möglich. Wenn das Mandat jedoch darin besteht, einen nicht näher spezifizierten Auftrag entgegen zu nehmen und ihn al gusto mit den eigenen Vorlieben und Vorstellungen zu füllen, dann hat dies nichts mit Repräsentation, aber viel mit Ermächtigung zu tun. Entsprechend wäre es sinnvoller von einer ermächtigenden und nicht von einer repräsentativen Demokratie zu sprechen.

Diese nicht behehbaren Fehler einer repräsentativen Demokratie wie der deutschen kann man vielleicht hinnehmen, wenn gewährleistet ist, dass man als Bürger eine Möglichkeit der Kontrolle der ermächtigten Repräsentaten in den Parlamenten hat. Eine solche Kontrolle sähe z.B. die Möglichkeit der direkten Einflussnahme auf entstehende oder vorhandene Gesetze vor oder die Möglichkeit, sein Missfallen mit bestimmten Entscheidungen, für die keine Legitimation vorliegt, nicht nur kund zu tun, sondern so kund zu tun, dass die Repräsentierenden darauf reagieren müssen. Letzteres setzt das Vorhandensein effizienter Kontrollmöglichkeiten voraus. Die Kontrollmöglichkeit, die Politikwissenschaftlern immer einfällt, wenn sie mit der Armseligkeit der Einflussnahme durch Wähler über die offiziellen Wahlkanäle der repräsentativen Demokratie konfrontiert sind, ist die so genannte vierte Gewalt der Öffentlichkeit bzw. der Medien.

Nun, Medien in Deutschland, öffentliche Medien im Besonderen, zeichnen sich nicht gerade durch ein überwältigendes Maß an Kritikfähigkeit aus (das war ein typisches britisches Understatement), anders formuliert, die öffentlichen Medien sind eher eine vierte Kolonne der politischen Klasse, als dass sie eine vierte Gewalt, die der Kontrolle der politischen Klasse dient, wären. Foglich lastet die gesamte Last der Kontrolle auf Privaten, ihrem Recht zur freien Meinungsäußerung und ihrer Möglichkeit, ihr Missfallen mit bestimmten Entscheidungen nicht nur kund zu tun, sondern dieses Missfallen in eine Form öffentlichen Dissens’ mit Handlungsfolge zu transferieren. In unserem “modernen” Zeitalter bedeutet dies, man muss die Hoheit über den öffentlichen Diskurs gewinnen, denn Politiker sehen sich nur dann gezwungen, etwas an ihrer Politik zu ändern (und selbst das in abnehmendem Maße), wenn sie mit einer Front des dauerhaften Widerspruchs konfrontiert sind.

Als ich über diesen Punkt, der Möglichkeit, den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen, der Möglichkeit, eine kritische öffentliche Diskussion zu Wege zu bringen, an deren Ende eine informierte Entscheidung steht, nachgedacht habe, war mir plötzlich schlagartig klar, dass eine repräsentative Demokratie genau deswegen nicht funktionieren kann, weil sich die herrschenden politischen Eliten mit den Mitteln ausstatten werden, um genau diesen Diskurs nicht zuzulassen oder um diesen Diskurs in einem Meer von Trivalitäts-Artikulationen zu ersticken.

Und wer genau hinsieht, sieht u.a. Folgendes:

  1. Er sieht Parteien, die sich selbst zu den Empfängern immenser öffentlicher Mittel machen. Die Mittel werden als Parteienfinanzierung bezeichnet und dienen nicht der Information, sondern gerade der Desinformation von Bürgern. Mit ihnen werden Wahlkampfkosten gedeckt. Und können Sie sich an einen Wahlkampf erinnern, in dem Informationen ausgetauscht oder vermittelt wurden? Eben! Ist auch schwer möglich, Informationen auf Kugelschreibern, Luftballons und Ganzgesichtsplakaten weiterzugeben.
  2. Er sieht Parteistiftungen, so genannte politische Stiftungen, die ebenfalls und mehr als großzügig aus Steuergeldern finanziert werden, und deren offensichtlicher Zweck vornehmlich darin besteht, die Ideologie der Mutterpartei zu verbreiten und entsprechend wieder keine Informationen, sondern Desinformationen in den öffentlichen Diskurs zu füttern.
  3. Wer genau hinsieht, sieht Ministerien, wie das BMFSFJ eine Unzahl von Organisationen finanzieren und am Leben erhalten, deren einziges Ziel darin besteht, Lobbyarbeit für bestimmte Politiken zu machen, denen man im BMFSFJ gerade positiv gegenübersteht. Wer einen Beleg sucht, mag sich die am Fettgürtel des BMFSFJ schmarotzenden Organisationen, deren Zweck darin besteht, die Benachteiligung von Frauen zu lamentieren, ansehen.
  4. Wer hinsieht, sieht politische Parteien, allen voran die SPD, Medienanstalten unterhalten, natürlich nicht, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen …, aber warum sonst?
  5. Wer schließlich ganz genau hinsieht, sieht eine Europäische Kommission, die unvorsichtig genug ist, um nachvollziehbar zu machen, dass mit öffentlichen Steuermitteln Organisationen unterstützt werden, die als Claqueure der EU-Kommission auftreten und die politischen Ziele der EU als Ziele der Bevölkerung ausgeben.

Democracy the god that failedDas Bild, das sich vor dem auftut, der seine Augen nutzt, um hinzusehen, ist ein Bild der Manipulation und Täuschung, ein Bild, das ihm deutlich macht, dass er nicht nur nicht repräsentiert wird, sondern auch noch seiner Möglichkeiten der Kontrolle über den Umweg der öffentlichen Meinung beraubt wird. Repräsentiert wird er nicht, weil es schlicht nicht möglich ist, dass ein Politiker mehrere 100.000 Wähler repräsentiert. Kontrollieren kann er nicht, weil dieselben Politiker, die ihn nicht repräsentieren wollen und können, ihn durch eine Vielzahl von ihnen finanzierter und abhängiger politischer Claqueure seiner Möglichkeit der Kontrolle über den Umweg des öffentlichen Diskurses berauben, in dem sie seine Stimme im Chor des politischen Gebrabbels ersticken, der von ihren Getreuen angestimmt wird. Und deshalb ist die Idee der repräsentativen Demokratie nicht zu retten. Sie ist tot, und von Dr. Diefenbach kommt gerade die Frage, ob ich ernsthaft denke, sie hätte jemals gelebt.

Pilz, Frank & Ortwein, Heike (2008). Das politische System Deutschlands. Systemintegrierende Einführung in das Regierungs-, Wirtschafts- und Sozialsystem. München: Oldenbourg.

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