Die große Transmutation: Wenn der Avatar zum Ich wird

diabloUlrich W. Weger und Stephen Loughnan wissen, welche Gefahren im Spielen von Computerspielen stecken. Man werde roboterhaft, automatisch, verliere seine menschliche Gefühlstiefe, ja, es ist einfach schädlich. Beobachten Sie sich, um zu sehen, ob die beiden nicht Recht haben. Wie oft am Tag handeln Sie wie Gordon Freeman? Wie oft fühlen Sie sich wie Mario oder Shodan oder denken, Sie seien “The Nameless One”?

Und überhaupt, haben Sie sich nicht auch schon über sich selbst gewundert? Über Ihre Schmerzresistenz, das Nachlassen des Gefühls in der mouseführenden oder der Joystick-Hand, zuweilen begleitet von einem Bitzeln, wie es sich einstellt, wenn das Blut in die Finger der angespannten Hand und nach Beendigung der Stunden als Barbar, mit dem Ziel Diablo zu schlachten, wieder zurückkehrt.

nameless oneEin eindeutiges Indiz ihrer menschlichen Kälte, ihres roboterhaften Daseins, der Übernahme der Eigenschaften des Avatars in ihr tägliches Leben. Das haben Ulrich W. Weger und Stephen Loughnan gerade gezeigt. Aus einem eiskalten Wasserbecken haben sie Versuchspersonen Büroklammer holen lassen und die, die mehr Computerspiele spielen, häufiger in die Rolle von z.B. Guybrush Threepwood schlüpfen, haben mehr Büroklammern aus dem eiskalten Wasser geholt als diejenigen, die mehr sie selbst und weniger Guybrush Treepwood sind. Ein eindeutiger Beweis: Guybrush Treepwood lässt Sie gefühlsmäßig abstumpfen und führt Sie daher zu besseren Leistungen im eiskalten Wasser.

Nicht nur das. Weger und Loughnan haben 46 Probanden zwei Computerspiele spielen lassen, davon eines, bei dem man in die Rolle eines selbstverständlich friedlichen Avatars schlüpfen musste. Und anschließend haben Sie den Spielern Bilder von Personen gezeigt, die verschiedene Stufen von Schmerz erleben. Und was kam dabei heraus? Richtig, wer in seinen Avatar im Computerspiel geschlüpft ist und sich als, sagen wir Super-Mario durch verschiedene Ebenen gespielt hat, der hat weniger Gefühl für die schmerzverzerten Gesichter, die er auf Bildern gesehen hat, und zwar auf einer 7-Punkte-Skala, die von 1 “extremes Vergnügen” bis 7 “extremes Missfallen” reicht. Noch ein Beweis. Wieviele brauchen Sie noch, bevor Sie einsehen, dass Gratos sie zu einem gefühlsmäßigen Vakuum macht, zu einem roboterhaften Gefühlsloch.

Weger und Loughnan selbst werten ihre dramatischen Ergebnisse wie folgt:

Mario

“… our findings suggest that taking on and acting from the perspective of an automaton-like avatar desensitizes people to pain in oneself and in others. … we suggest that individuals reflect on and scrutinize the impact of their immersive gaming practice on their own experience and then come to a conclusion as to whether they see a need to change this practice and/or balance its impact. (o.P.).

Ein sehr sensibler Rat, den die beiden Forscher hier geben, denn alles ist ja noch viel dramatischer als sie selbst glauben. Vor Jahrzehnten hat Erving Goffman bereits darauf hingewiesen, dass wir alle Theater spielen, dass wir täglich in Rollen schlüpfen, die an Erwartungen ausgerichtet sind, die andere an uns richten.

Natürlich kommt mit der Anpassung der eigenen Darstellung im täglichen Leben an die antizipierten Erwartungen des sozialen Umfelds eine Art Automatisierung und Entmenschlichung. Nehmen wir z.B. Ulrich W. Weger und Stephen Loughnan, die die sozialen Erwartungen erfüllen wollen, die heutzutage an rezeptive und gefühlvolle Psychologen gestellt werden. Ganz automatisch führen sie diese Erwartungen dazu, dass sie Computerspiele negativ bewerten und nur als Gefahr anzusehen im Stande sind. Ganz automatisch bauen Sie ihre Experimente so auf, dass ihre Annahme auch nicht falsifiziert werden kann, indem Sie z.B. nicht untersuchen, wie viele Büroklammern ein nicht-Computerspieler aus dem eiskalten Wasser zu holen im Stande ist oder auch nur einen Moment in Erwägung ziehen, dass die Übernahme eines Avatars sich auch positiv oder gar nicht auf das tägliche Leben auswirken kann.

Goffman TheaterWarum auch? Sie folgen einem automatischen Reiz, roboterhaft plappern Sie nach, was man in den Kreisen, in denen Computerspiele schlecht angesehen sind, zu hören bekommt. Ihre virtuelle Welt liegt entsprechend nicht im Computer, wird vielmehr von ihren Peers und der hermetischen Abriegelung ihres Gesichtskreises gegen Forschungsergebnisse wie die von Greitemeier und Oswald bestimmt, nach denen Gewaltspiele hilfsbereit machen und die keinerlei Zusammenhang zwischen dem Spielen von Computerspielen und z.B. nicht virtueller Gewalt finden konnten.

Insofern zeigt sich nicht nur, dass wir alle Theater spielen, sondern auch, dass die Gefahr, to get immersed, die Gefahr, die Fühlung zur Realität zu verlieren, nicht nur von Computerspielen ausgeht, wenn sie überhaupt von Computerspielen ausgeht, was wir auf Grundlage der Experimente von Weger und Loughnan nicht wissen können. Aber wissen können wir, dass ein zu intensives Eintauchen in immer die selben Inhalte dazu führt, dass die entsprechenden Inhalte unkritisch betrachtet, für bare Münze genommen werden, die Kritikfähigkeit leiden lassen, und wer weiß was für Folgen, der roboterhafte Automatismus von Psychologen wie Weger und Loughnan noch an den Tag legt.

Weger, Ulrich W. & Loughnan, Stephen (2013). Virtually Numbed: Immersive Video Gaming Alters Real-Life Experience. Psychonomic Bulletin and Review. Online First.

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