Ein Fetisch, der in modernen westlichen Gesellschaften gerne vor der Nase derer gewedelt wird, die ihm willig folgen, ist der Fetisch der “sozialen Ungleichheit”. Soziale Ungleichheit wird in der Regel als Einkommensungleichheit gedacht und durch “So viel Reichtum hat das reichste 1% der Bevölkerung, so arm ist das unterste Viertel der Gesellschaft”-Vergleiche angereichert. Und so blickt der relativ Arme auf den so Reichen, und über der Diskussion darüber, ob Einkommensunterschiede der aufgezeigten Art gerechtfertigt sind, wird das, was soziale Ungleichheit ausmacht, was im Kern sozialer Ungleichheit steckt, schlicht und ergreifend übersehen.
Soziale Ungleichheit basiert auf differenziertem Zugang zu Ressourcen. Differenzierter Zugang zu Ressourcen wird durch Macht und Herrschaft hergestellt. Macht ist, wie Max Weber geschrieben hat, die „Chance innerhalb der sozialen Beziehungen den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber, 1988: 431). Herrschaft, hier als legale Herrschaft verstanden, ist, “dass durch formal korrekt gewillkürte Satzung beliebiges Recht geschaffen und [bestehendes beliebig] abgeändert werden könne” (Weber, 1988: 475).
Die Soziologie im Allgemeinen und die Neoinstitutionalistische Soziologie im Besonderen definieren Macht und Herrschaft über die Normen, die als verbindlich gelten. Macht hat der, der seine Normen anderen aufzwingen kann, Herrschaft besteht darin, die Einhaltung der willkürlich gesetzten Normen durchsetzen zu können. Folglich sind die Normen, auf denen eine Gesellschaft basiert, die Normen, die von der herrschenden Gruppe (oder Klasse) durchgesetzt werden, um ihre Interessen zu befördern. Und die soziale Ungleichheit ist das Ergebnis dieser Durchsetzung von Normen, und da Menschen unterschiedlich sind und Herrschaftsstrukturen und Machtverteilungen sich über die Zeit ändern, kann es keine Gesellschaft ohne soziale Ungleichheit geben. Denkbar ist sie nur als Gesellschaft von interesselosen Lebensformen, die keinerlei Ressourcen verbrauchen, um ihr Dasein zu fristen.
Niemand hat dies so gut in Worte gefasst, wie Ralf Dahrendorf in seinem Aufsatz “Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen”. Wir geben den entscheidenden Teil dieses Aufsatzes hier ungekürzt wieder:
“Dass Normen in einer Gesellschaft gelten, heißt, dass ihre Einhaltung belohnt und ihre Nichteinhaltung bestraft wird. Dass die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung von Normen in diesem Sinne sanktioniert wird, heißt, dass die herrschenden Gruppen der Gesellschaft ihre Macht in die Waagschale der Erhaltung der Normen werfen. Geltende Normen sind also letzten Endes nichts anderes als herrschende, d.h. von den Sanktionsinstanzen der Gesellschaft verteidigte Normen.
Für das System der Ungleichheit bedeutet dies, dass derjenige die günstigste Stellung in einer Gesellschaft erringen wird, dem es kraft sozialer Position am besten gelingt, sich den herrschenden Normen anzupassen – und umgekehrt, dass die geltenden oder herrschenden Werte einer Gesellschaft an ihrer Oberschicht ablesbar sind. Wer nicht fähig, d.h. auf Grund seiner Stellung im Koordinatensystem sozialer Postionen und Rollen in der Lage ist, den Erwartungen seiner Gesellschaft stets pünktlich nachzukommen, darf sich nicht wundern, wenn ihm die höheren Ränge der Skalen von Prestige und Einkommen versperrt bleiben, und wenn andere, denen es leichter fällt, sich konform zu verhalten, ihn überflügeln. In diesem Sinne honoriert jede Gesellschaft den Konformismus, der sie d.h. die in ihr herrschenden Gruppen erhält – womit jede Gesellschaft zugleich in sich den Widerstand erzeugt, der zu ihrer eigenen Aufhebung führt.
Die prinzipielle Parallelität von konformistischem bzw. abweichendem Verhalten und hoher bzw. niedriger Schichtposition wird in historischen Gesellschaften natürlich durch vielfältige sekundäre Momente abgebogen und überlagert (…). So kann die Erblichkeit schichtbestimmter Merkmale einer Epoche – etwa des Adels oder des Eigentums – dazu führen, dass eine Art ‘stratification lag’, ein Nachhinken der Schichtstrukturen hinter den Wandlungen der Normen und Herrschaftsverhältnisse eintritt, so dass Oberschichten einer vergangenen Epoche ihre günstige Schichtposition auch unter neuen Bedingungen noch eine Zeitlang erhalten. Doch bleiben in der Regel jene Prozesse, die wir als ‘Deklassierung des Adels’ oder ‘Funktionsverlust des Eigentums’ kennen, nicht aus. Wenn es richtig ist – und manches spricht dafür -, dass unsere Gesellschaft auf die in M. Youngs soziologischer Utopie ‘Es lebe die Ungleichheit’ ausgemalte Periode der ‘Meritokratie’, d.h. der Herrschaft der Eigentümer von Berechtigungsscheinen zusteuert (…), dann folgt aus der Theorie der nachhinkenden Schichtung, dass allmählich auch die Mitglieder der herkömmlichen Oberschichten – die Adeligen, die Erben – sich um Diploma und Titel bemühen müssen, um ihre Stellung zu bewahren: denn die herrschenden Gruppen jeder Gesellschaft haben die Tendenz, das je bestehende System sozialer Ungleichheit in Einklang zu bringen mit den geltenden, d.h. ihren eigenen Normen. Eine volle Übereinstimmung der Skalen der Schichtung mit den Strukturen der Herrschaft indes können wir trotz dieser prinzipiellen Tendenz in historischen Gesellschaften zu keinem Zeitpunkt erwarten” (Dahrendorf, 1986: 375-377).
Eine bessere Erklärung dafür, dass sich Universitäten derzeit einem Ansturm der Titeljäger gegenüber sehen, die mit allen erdenklichen Mitteln versuchen, einen solchen zu erheischen, gibt es derzeit nicht, ebenso wenig wie es bislang keine bessere Erklärung für die Notwendigkeit und Fortdauer sozialer Ungleichheit gibt. Und außerdem zeigt Dahrendorf: Anpassung lohnt sich, aber nur für bestimmte Zeit (Wenn Sie daran zweifeln, fragen Sie ehemalige DDR-Richter…).
Warum gibt es also Funktionäre und Politiker, die angeblich gegen die furchtbare soziale Ungleichheit zu Felde ziehen? Die Antwort sollte nun klar sein: Weil es ihren Interessen nutzt, sie davon profitieren und am Glauben der relativ Armen daran, dass die furchtbaren Reichen so schlimm sind, verdienen. Die Sicherung der eigenen Herrschaft hat noch immer über “divide et impera” funktioniert. Auch heute hat sich daran nichts geändert, nur die Anzahl derer, die der Hilferhetorik von Funktionären und Politikern auf den Leim gehen, ist gestiegen. Um genau zu wissen, was man von der angeblichen Sorge der Politiker um soziale Ungleichheit und ihrem Einsatz für sozial Schwache zu halten hat, muss man einen Blick auf die Bezüge von Politikern richten und sich ihre Rentenansprüche zu Gemüte führen. Wie sich zeigt, lebt es sich hervorragend, wenn man die vermeintliche Armut anderer bejammert und im Zeitraum des Jammers ein erkleckliches Einkommen erwirtschaftet, ohne auch nur eine Kleinigkeit an der sozialen Stratifizierung, an der man so hervorragend verdient, zu verändern.
Dahrendorf, Rald (1986). Pfade aus Utopia. Zur Theorie und Methode der Soziologie. München: Piper.
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Leider geht diese Definition von Macht „Chance innerhalb der sozialen Beziehungen den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ so nur in Büchern.
In der Realität bedarf die Macht des Kontrollierens (und nicht einer x-beliebigen Chance), des Kontrollierens bis hin zur Möglichkeit etwas zu zerstören. Darin gründet sich Macht — nicht in Chance.
Soziale Ungleichheit ist. Selbst bei eineiigen Zwllingen wird es so sein, dass eine/r eher vorangeht, der / die andere eher folgt, dass einer eher Ess-, Konsum- und Gewinnmöglichkeiten ausmacht, der andere eher partizipiert (und vielleicht Nachbereitungsarbeit übernimmt).
Ich sehe drei grundsätzliche Probleme:
1. Verkürzung von Ungleichheit auf bezifferbaren Besitz. Oft ist der formal Schwächere der tatsächlich Stärkere – von Bismarck, über den Wilhelm I. gesagt hat, es sei nicht leicht, unter Bismarck Kaiser zu sein, bis hin zu den “Verwaltern” des Besitzes etwa der Quelle-Erbin. Besitztitel heißt nicht, dass man damit umgehen kann oder umgeht. (Goethe, Faust: “Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb, es um es zu besitzen”).
2. Neiddiskussion greift bezifferbaren Besitz an, statt nach dessen sozialer Funktion zu fragen und ggf. deren Erfüllung einzufordern: Der Besitzende war bis zur Einführung des Sozialstaats immer der, der für andere sorgte (das Pfui-Wort “Patriarch”), ein Geschäft zu beiderseitigem Vorteil: die einen bekommen ihren Lebensunterhalt, der andere Prestige, Anerkennung und nach der Größe seiner Klientel bemessbare Macht. In Amerika funktioniert das im Prinzip immer noch über das dortige Stiftungssystem. In der deutschen Diskussion hingegen erscheint Besitz als funktionslose und damit unberechtigte Aneignung von Diebesgut (die Steuerdebatte: nicht bezahlte Steuern werden gleichgesetzt mit Eigentumsdelikten, ich hörte schon “zu bewerten wie ein Raubüberfall”). Was früher de Aufgabe des Patriarchen war, übernimmt der Staat, der freilich das Problem hat, auf den Erwerbsbürger zurückgreifen zu müssen, um zu seinen Steuereinnahmen zu kommen.
3. Man könnte nun den Steuerzahler öffentlich ehren und loben für seinen Anteil am Funktionieren des Staates. Stattdessen wird er zunehmend kriminalisiert – der Versorgte will nicht mehr wissen, wer ihn versorgt und beginnt auf ihm herumzutrampeln, ohne freilich auf die Versorgung verzichten zu wollen.
Irgendwie scheint mir die Scheidungspraxis ein Spiegel dieser Verhältnisse zu sein. Man hat “Ansprüche”, will aber gar nicht wissen, wem gegenüber und was der zu deren erfüllung zu leisten hat und und an Gegenleistung einzufordern berechtigt wäre.
Noch deutlicher: Besitz wird seiner sozialen und symbolischen Dimension entledigt, so dass niemand wer weiß, wozu er noch mehr gut sein soll als nur zu individuellem Konsum. Großbesitz erscheint dadurch als irrsinnig und überflüssig. Stattdessen wird von einem Ideal relativ gleichen Besitzes für Alle ausgegangen, ohne dass darüber reflektiert wird, warum überhaupt noch jemand den nötigen Mehrwert erarbeiten sollte, der den vieen ihre “Ansprüche” erfüllt. Die Rede vom “bedingungslosen Grundeinkommen” (anstelle des einst geforderten “Rechts auf Arbeit”) ist deutlich: Man will etwas haben, aber nichts mit der Frage zu tun haben, wie es überhaupt zu Stande kommt.
Zustimmung zu Ihren Ausführungen. Einen Gedanken will ich noch etwas weiter spinnen:
>Man hat “Ansprüche”, will aber gar nicht wissen, wem gegenüber und was der zu deren erfüllung zu leisten hat und und an Gegenleistung einzufordern berechtigt wäre.
Mir scheint, dass das eine logische Folge der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilung schlechthin ist. Wer Ansprüche geltend machen kann, die irgendwelche anonyme Wertschöpfende zwingend und ohne Erhalt irgendeiner Gegenleistung zu befriedigen haben, verliert jeglichen Bezug zur Wertschöpfung selbst. Nur wer den mühseligen Prozess der Wertschöpfung selbst noch kennt, kann Dankbarkeit empfinden gegenüber jenen, die an diesem Prozess teilnehmen. Die anderen empfinden nichts mehr. Wie sollten sie auch?
In den Familien, Sippen, Haus- oder Dorfgemeinschaften existierte ja schon immer eine gewisse Umverteilung; und es war fuer alle noch offensichtlich, wer wieviel zur Wertschöpfung beitrug. Diese Nähe von Wertschöpfenden und Profitierenden hat beide geprägt, wobei die meisten Menschen in irgendeiner Form an der Wertschöpfung beteiligt waren. Es war vielleicht weniger ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber den Wertschöpfenden sondern die Wertschätzung der geschöpften Werte sowie die schlichte Erkenntnis, dass man aufeinander angewiesen ist. Etwas, das man sich im Schweisse seines Angesichts erarbeitet, hat einen anderen Stellenwert, als etwas, das einem gegenleistungslos in den Schoss fällt.
Im modernen Wohlfahrtsstaat ist alles vollkommen anonym; der Staat ist der Makler im (Zwangs-)Umverteilungssystem. Dadurch erst können sich grössere Bevölkerungsgruppen herausbilden, die überhaupt keinen Bezug mehr zur Wertschöpfung haben, weil Wertschöpfende und Parasiten durch den Wohlfahrtsstaat sehr strikt voneinander getrennt sind. Rent seeking ist ohne Wohlfahrtsstaat nahezu unmöglich.
So kommt im Wohlfahrtsstaat das Geld aus dem Geldausgabeautomaten, der Strom aus der Steckdose, die Nahrungsmittel und Kleider kommen aus dem Supermarkt und die umverteilten Werte (Renten, Subventionen, soziale Wohltaten) kommen vom Staat. Und jeder glaubt, er habe einen gesetzlichen Anspruch auf all das.
Derlei rationale Konzepte sind “graue” Theorie(n), über die endlos diskutiert werden könnte, ohne zu einem letztlich allen Bedürfnissen gerecht werdenden Ergebnis zu kommen.
Typisch für die ENTFREMDETE zivilisierte Gesellschaft, die vom wichtigsten menschlichen / “sozialen” Faktor entfremdet ist: Vom bewußt und so weit wie möglich konsequent angewendeten höchsten Lebensprinzip.
Dies Prinzip zu erkennen, ANzuerkennen und sich ihm mit “Haut und Haar” zu verschreiben, ist das, was dem typischen zivilisierten und entfremdeten Menschen fehlt. Und das ist eine schwere psychische Störung / Krankheit. Die – möglicherweise ERSTMALS – die Menschen befallen hat, seit es Menschen gibt, vor evtl. 60.000 Jahren oder auch erst 40.000 Jahren: Eine “Kollektive Neurose” infolge eines kollektiven Traumas.
Inzwischen hat sich diese Krankheit zur Pandemie ausgeweitet und den weitaus größten Teil der Weltbevölkerung befallen. Nicht nur das “(christliche) Abendland” und seine “Ableger” in Übersee, sondern auch das “Morgenland” stehen vor der nächsten “Kollektiven PSYCHOSE” und dem von O. Spengler prognostizierten “Untergang”.
Ob die akut drohende “Kollektive Psychose” die letzte sein wird, ist noch offen. NOCH haben wir Möglichkeit, GRUNDLEGEND heilend Einfluß zu nehmen und die Kollektive NEUROSE völlig zu heilen. Oder es wird die letzte, weil wir allesamt von ihr in den Tod gerissen werden.
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In der Realität bedarf die Macht des Kontrollierens (und nicht einer x-beliebigen Chance), des Kontrollierens bis hin zur Möglichkeit etwas zu zerstören. Darin gründet sich Macht — nicht in Chance.
Deshalb gibt es die Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft.
Soziale Ungleichheit ist. Selbst bei eineiigen Zwllingen wird es so sein, dass eine/r eher vorangeht, der / die andere eher folgt, dass einer eher Ess-, Konsum- und Gewinnmöglichkeiten ausmacht, der andere eher partizipiert (und vielleicht Nachbereitungsarbeit übernimmt).
Ich sehe drei grundsätzliche Probleme:
1. Verkürzung von Ungleichheit auf bezifferbaren Besitz. Oft ist der formal Schwächere der tatsächlich Stärkere – von Bismarck, über den Wilhelm I. gesagt hat, es sei nicht leicht, unter Bismarck Kaiser zu sein, bis hin zu den “Verwaltern” des Besitzes etwa der Quelle-Erbin. Besitztitel heißt nicht, dass man damit umgehen kann oder umgeht. (Goethe, Faust: “Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb, es um es zu besitzen”).
2. Neiddiskussion greift bezifferbaren Besitz an, statt nach dessen sozialer Funktion zu fragen und ggf. deren Erfüllung einzufordern: Der Besitzende war bis zur Einführung des Sozialstaats immer der, der für andere sorgte (das Pfui-Wort “Patriarch”), ein Geschäft zu beiderseitigem Vorteil: die einen bekommen ihren Lebensunterhalt, der andere Prestige, Anerkennung und nach der Größe seiner Klientel bemessbare Macht. In Amerika funktioniert das im Prinzip immer noch über das dortige Stiftungssystem. In der deutschen Diskussion hingegen erscheint Besitz als funktionslose und damit unberechtigte Aneignung von Diebesgut (die Steuerdebatte: nicht bezahlte Steuern werden gleichgesetzt mit Eigentumsdelikten, ich hörte schon “zu bewerten wie ein Raubüberfall”). Was früher de Aufgabe des Patriarchen war, übernimmt der Staat, der freilich das Problem hat, auf den Erwerbsbürger zurückgreifen zu müssen, um zu seinen Steuereinnahmen zu kommen.
3. Man könnte nun den Steuerzahler öffentlich ehren und loben für seinen Anteil am Funktionieren des Staates. Stattdessen wird er zunehmend kriminalisiert – der Versorgte will nicht mehr wissen, wer ihn versorgt und beginnt auf ihm herumzutrampeln, ohne freilich auf die Versorgung verzichten zu wollen.
Irgendwie scheint mir die Scheidungspraxis ein Spiegel dieser Verhältnisse zu sein. Man hat “Ansprüche”, will aber gar nicht wissen, wem gegenüber und was der zu deren erfüllung zu leisten hat und und an Gegenleistung einzufordern berechtigt wäre.
Noch deutlicher: Besitz wird seiner sozialen und symbolischen Dimension entledigt, so dass niemand wer weiß, wozu er noch mehr gut sein soll als nur zu individuellem Konsum. Großbesitz erscheint dadurch als irrsinnig und überflüssig. Stattdessen wird von einem Ideal relativ gleichen Besitzes für Alle ausgegangen, ohne dass darüber reflektiert wird, warum überhaupt noch jemand den nötigen Mehrwert erarbeiten sollte, der den vieen ihre “Ansprüche” erfüllt. Die Rede vom “bedingungslosen Grundeinkommen” (anstelle des einst geforderten “Rechts auf Arbeit”) ist deutlich: Man will etwas haben, aber nichts mit der Frage zu tun haben, wie es überhaupt zu Stande kommt.
@Herr Meier
Zustimmung zu Ihren Ausführungen. Einen Gedanken will ich noch etwas weiter spinnen:
>Man hat “Ansprüche”, will aber gar nicht wissen, wem gegenüber und was der zu deren erfüllung zu leisten hat und und an Gegenleistung einzufordern berechtigt wäre.
Mir scheint, dass das eine logische Folge der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilung schlechthin ist. Wer Ansprüche geltend machen kann, die irgendwelche anonyme Wertschöpfende zwingend und ohne Erhalt irgendeiner Gegenleistung zu befriedigen haben, verliert jeglichen Bezug zur Wertschöpfung selbst. Nur wer den mühseligen Prozess der Wertschöpfung selbst noch kennt, kann Dankbarkeit empfinden gegenüber jenen, die an diesem Prozess teilnehmen. Die anderen empfinden nichts mehr. Wie sollten sie auch?
In den Familien, Sippen, Haus- oder Dorfgemeinschaften existierte ja schon immer eine gewisse Umverteilung; und es war fuer alle noch offensichtlich, wer wieviel zur Wertschöpfung beitrug. Diese Nähe von Wertschöpfenden und Profitierenden hat beide geprägt, wobei die meisten Menschen in irgendeiner Form an der Wertschöpfung beteiligt waren. Es war vielleicht weniger ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber den Wertschöpfenden sondern die Wertschätzung der geschöpften Werte sowie die schlichte Erkenntnis, dass man aufeinander angewiesen ist. Etwas, das man sich im Schweisse seines Angesichts erarbeitet, hat einen anderen Stellenwert, als etwas, das einem gegenleistungslos in den Schoss fällt.
Im modernen Wohlfahrtsstaat ist alles vollkommen anonym; der Staat ist der Makler im (Zwangs-)Umverteilungssystem. Dadurch erst können sich grössere Bevölkerungsgruppen herausbilden, die überhaupt keinen Bezug mehr zur Wertschöpfung haben, weil Wertschöpfende und Parasiten durch den Wohlfahrtsstaat sehr strikt voneinander getrennt sind. Rent seeking ist ohne Wohlfahrtsstaat nahezu unmöglich.
So kommt im Wohlfahrtsstaat das Geld aus dem Geldausgabeautomaten, der Strom aus der Steckdose, die Nahrungsmittel und Kleider kommen aus dem Supermarkt und die umverteilten Werte (Renten, Subventionen, soziale Wohltaten) kommen vom Staat. Und jeder glaubt, er habe einen gesetzlichen Anspruch auf all das.
Derlei rationale Konzepte sind “graue” Theorie(n), über die endlos diskutiert werden könnte, ohne zu einem letztlich allen Bedürfnissen gerecht werdenden Ergebnis zu kommen.
Typisch für die ENTFREMDETE zivilisierte Gesellschaft, die vom wichtigsten menschlichen / “sozialen” Faktor entfremdet ist: Vom bewußt und so weit wie möglich konsequent angewendeten höchsten Lebensprinzip.
Dies Prinzip zu erkennen, ANzuerkennen und sich ihm mit “Haut und Haar” zu verschreiben, ist das, was dem typischen zivilisierten und entfremdeten Menschen fehlt. Und das ist eine schwere psychische Störung / Krankheit. Die – möglicherweise ERSTMALS – die Menschen befallen hat, seit es Menschen gibt, vor evtl. 60.000 Jahren oder auch erst 40.000 Jahren: Eine “Kollektive Neurose” infolge eines kollektiven Traumas.
Inzwischen hat sich diese Krankheit zur Pandemie ausgeweitet und den weitaus größten Teil der Weltbevölkerung befallen. Nicht nur das “(christliche) Abendland” und seine “Ableger” in Übersee, sondern auch das “Morgenland” stehen vor der nächsten “Kollektiven PSYCHOSE” und dem von O. Spengler prognostizierten “Untergang”.
Ob die akut drohende “Kollektive Psychose” die letzte sein wird, ist noch offen. NOCH haben wir Möglichkeit, GRUNDLEGEND heilend Einfluß zu nehmen und die Kollektive NEUROSE völlig zu heilen. Oder es wird die letzte, weil wir allesamt von ihr in den Tod gerissen werden.
Herzlichen Gruß!