Das miese Spiel mit der Kinderarmut

Kinderarmut ist wohl das Thema, mit dem zur Zeit am meisten Schindluder getrieben wird. Kaum eine Symbolik scheint so geeignet, um der Welt darzustellen, was für ein guter Mensch man doch ist, wie Kinderarmut. Jeder, der Kinderarmut anprangert, der gegen Kinderarmut anschreibt, der sie beklagt, der, nein etwas tun ist nicht das, was den wahren Kämpfer gegen die Kinderarmut auszeichnet, meint damit, sich als Guter zu inszenieren, seinen Wert, seine besondere Tugendhaftigkeit zu signalisieren. Deshalb spricht James Bartholomew im Hinblick auf diejenigen, die versuchen, sich als besonders wertvolle Teile der Spezies Mensch zu inszenieren, vom Virtue Signalling.

Die Meute der Guten, sie kommt regelmäßig dann in Wallung, wenn ein neuer Bericht zur Kinderarmut ansteht. Kinderarmt ist natürlich nicht die Armut von Kindern, sondern die Armut der Eltern, Eltern, die keine Arbeit, keine Einkommensquelle besitzen, die sich nicht aus Transferleistungen speist und dennoch Kinder haben, wobei die Tatsache, dass Kinder als solche eine Einkommensquelle, ein Mittel, um weitere Transferleistungen in Form von Vergünstigung und Zahlungen zu erhalten, sicher eine Rolle spielt.

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Nun reichen Transferleistungen des Staates nicht dazu aus, ein Leben zu führen, wie es z.B. die Familie eines Facharbeiters, der bei der BASF Schicht arbeitet, auf Grundlage von dessen Einkommen führen kann. Entsprechend gibt es Unterschiede im Einkommen. Wenn diese Unterschiede im Einkommen das Einkommen des Facharbeiters, der Schicht arbeitet, um eine bestimmte Grenze unterschreiten, dann will es die Konvention, dass bei manchen Statistikern, die sich unter der staatlichen Fuchtel finden, von Armut gesprochen wird, eigentlich wird von relativer Armut gesprochen, also weniger haben als jemand anderes, aber dass „relativ“ wird regelmäßig weggelassen, denn es ist hinderlich. Wenn man sich als Guter inszenieren will, dann als absoluter, nicht als relativer Guter.

In Zahlen gilt als relativ arm, wer 60% des Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung hat. Das Nettoäquivalenzeinkommen ist als der Median der Einkommensverteilung definiert. D.h. es teilt die Einkommen in Deutschland in zwei gleichgroße Teile. Den Median benutzt man deshalb, weil er regelmäßig und deutlich unter dem Mittelwert liegt. So beträgt das Nettoäquivalenzeinkommen gemessen am Median im Jahr 2016 21.275 Euro, während der Mittelwert der Einkommensverteilung bei 24.020 Euro im Jahr 2016 liegt. Es macht sich einfach besser zu behaupten, jemand der im Monat ein Einkommen von 1.064 Euro (60% vom Median) zur Verfügung hat, sei relativ arm, als jemand, der 1.201 Euro (60% vom Mittelwert) hat. Tatsächlich fallen eine große Zahl von Rentnern in die Kategorie derer, die als relativ arm gelten, denn die durchschnittliche Rentenzahlung beträgt derzeit 1.003 Euro monatlich, die durchschnittliche Altersrente 1.078 Euro. Aber wir reden natürlich nicht von armen Alten, die man nach einem Erwerbsleben in relativer Armut geparkt hat, wir reden von Kindern, die in Familien von Hartz IV aufwachsen, entweder bei Alleinerziehenden oder in einer Familie in jedem Fall aber bei Eltern, die keinerlei Arbeit nachgehen, wie auf Seite 24 des Berichts der Bertelsmann-Stiftung nachzulesen.

Deren Kinder gelten als arm, über sie wird medial mit großer Aufregung berichtet, nicht etwa über die Alten, die nach einem Arbeitsleben in relativer Armut versinken oder die Gründe, warum die Eltern Kinder trotz Arbeitslosigkeit produzieren oder keine Arbeit finden, um ihren Kindern den Lebensstandard bieten zu können, den z.B. ein Facharbeiter der BASF, der Schicht arbeitet, seinen Kindern bieten kann. Denn, wie gesagt, mit Kindern und deren vermeintlicher Armut kann man sich gut produzieren, während Alte, die in Armut leben, in Deutschland keinen Medienhund hinter dem Ofen hervorlocken.

Nun enthält die Studie der Bertelsmann-Stiftung unvorsichtiger Weise ein Liste von Gütern, auf die Kinder, die jahrelang in Armut leben, wie es bei der Tagesschau heißt, obwohl relative Armut gemessen wurde, verzichten müssen. Etwas nicht haben, was andere haben, gilt heute als Armut, das muss man sich einmal vorstellen.

Wir haben uns die Liste der Güter, auf die die armen Kinder wegen Armut nach Ansicht von Bertelsmann verzichten müssen, genauer angesehen und auf Grundlage von Tabelle 11 in der Bertelsmann-Studie rekonstruiert, was die Bertelsmann-Stiftung verschweigen will, um die Schlagzeile: Kinder von Eltern, die dauerhaft nicht gesichert sind (also dauerhaft Hartz-IV beziehen und in der Regel alleinerziehend sind), müssen in Deutschland auf 7,3 der 23 „abgefragten Güter“ verzichten: „Armut bedeutet laut Bertelsmann-Stiftung für die Kinder Verzicht“.

Verzicht worauf?

7,3 Güter sind es, auf die die entsprechenden Kinder durchschnittlich verzichten müssen.
Rekonstruieren wir, worauf (auf Grundlage von Tabelle 11, Seite 50).
Sie müssen auf die eines der folgenden Güter verzichten:

  • Eine Wohnung ohne feuchte Wände oder Fußböden
  • Eine Wohnung, die mindestens so viele Zimmer hat, wie dort Personen wohnen.
  • Ein separates Badezimmer mit Badewanne oder Dusche in der Wohnung.
  • Eine Toilette innerhalb der Wohnung.
  • Ein Garten, ein Balkon oder eine Terrasse.
  • Sich ab und zu neue Kleidung kaufen können, auch wenn die alte noch nicht abgetragen ist.
  • Mindestens einmal täglich eine warme Mahlzeit haben.

Auf eines der oben genannten acht Güter müssen Kinder, die als arm verkauft werden sollen, damit sich Gutmenschen inszenieren können, verzichten. Verzichten müssen Sie auch auf 3 der folgenden vier Güter:

  • Einmal im Monat Freunde zum Essen zu sich nach Hause einladen können.
  • Einmal im Monat zum Essen in ein Restaurant gehen können.
  • Mindestens einmal im Monat ins Kino, Theater oder Konzert gehen können.
  • Eine mindestens einwöchige Urlaubsreise pro Jahr.

Schlimm, wenn man nicht mindestens einmal im Monat ins Kino oder ins Restaurant gehen kann. Das ist Armut!

Damit nicht genug, denn für die Kinder von Eltern, die sich seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten auf Basis von Hartz-IV, Kindergeld und sonstigen Transferzahlungen durchschlagen (müssen), gibt es noch mehr Verzicht. Nicht nur das monatliche Essen im Restaurant ist in Frage gestellt, auch drei der folgenden 11 Güter können nicht konsumiert werden bzw. sind nicht vorhanden:

  • Eine Waschmaschine
  • Ein Fernseher
  • Ein Auto
  • Ein Computer mit Internetanschluss
  • Ein Videorekorder mit DVD-Player
  • Die Miete für die Wohnung bzw. die Zinsen für das Wohneigentum immer pünktlich zahlen können
  • Die Gas-, Wasser-, Heizungs- und Stromrechnung immer pünktlich zahlen können;
  • Einen festen Betrag im Monat sparen können;
  • Behandlungen in Anspruch nehmen können, die von der Krankenkasse nicht vollständig bezahlt werden, wie z.B. Zahnersatz oder Brille
  • Unerwartet anfallende Ausgaben mit eigenem Geld bezahlen können, z.B. eine kaputte Waschmaschine ersetzen;
  • Abgenutzte, aber sonst noch brauchbare Möbel durch neue ersetzen.

Dass der Besuch des Theaters, der nicht gemacht werden kann, oder die Einladung eines Freundes zum Essen für jedes Kind einen Verzicht darstellt, das ist natürlich die Phantasie der Bertelsmann-Stiftung. Niemand hat die Kinder gefragt, ob sie überhaupt ein gemeinsames Essen mit Freuden UND ELTERN oder einen monatlichen Theaterbesuch wollen. Hier scheint ihre Mittelschichtssozialisation mit den Bertelsmännern durchgegangen zu sein. Mit ihrem Ergebnis bestätigen sie entsprechend das, was die andere Stiftung aus Berlin herausgefunden haben will: Man findet immer, was man sucht, was nicht unbedingt das ist, was ist oder relevant ist. [Wenn man schon nach Theaterbesuchen und Computern mit Internetanschluss fragt: Um wie viel plausibler ist es, dass sich Rentner keinen Theaterbesuch leisten können (von dem sie etwas hätten im Gegensatz zu z.B. achtjährigen Kindern, die nicht ruhig sitzen bleiben) und wie viele Rentner leben wohl ohne Balkon und Terrasse, ohne Auto, Computer mit Internetanschluss, ohne monatlichen Restaurantbesuch und Sparvertrag, mit abgenutzten Möbeln und in feuchten alten Wohnungen und gelten dennoch nicht als arm, weil sie bekommen ja Rente?]

Tatsächliche Armut

Und für Deutschland 2017 hat dies folgende Konsequenz: Arm soll sein, wer nicht einmal im Monat ins Restaurant gehen kann, wer nicht monatlich mindestens einmal ins Kino oder Theater gehen kann, nicht mindestens eine Woche in Urlaub fahren kann, kein Auto hat, zwar Hauseigentum hat, aber die Zinsen darauf nicht zahlen kann, in einer feuchten Wohnung lebt und keinen festen Betrag im Monat sparen kann.

Arm soll auch sein, wer neben den Verzichten auf Restaurant, Kino und Urlaub, noch brauchbare Möbel nicht ersetzen kann, keinen Computer mit Internetanschluss, kein Auto, keinen Balkon, keinen Garten und keine Terrasse hat.

Wie man sieht, schrecken gute Menschen in ihrem Kampf gegen die Kinderarmut auch nicht davor zurück, sich lächerlich zu machen und das Konzept von Armut von jedem Sinn zu entleeren.

Wo sich inszeniert wird, da fallen eben Späne.

Eigentlich müssten die Ergebnisse der Bertelsmann-Stiftung dazu führen, dass man es feiert, dass nicht einmal Kinder von dauerhaften Hartz-IV-Beziehern in Armut leben und ihnen deshalb nichts Wesentliches zu einer gesunden und unbeeinträchtigten Entwicklung fehlt. Aber das ist natürlich nicht das, was guten Menschen wie den Bertelsmännern den Warm Glow verschafft, gegen die furchtbare Kinderarmut, die monatliche Theaterbesuche verhindert, vorgegangen zu sein, bloß verbal versteht sich.

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