Schulen und Kindergärten wieder öffnen? Ergebnisse einer deutschen Studie

Vor ein paar Tagen haben wir von einer britischen Studie berichtet, deren Ziel es war, die Frage zu beantworten, ob sich die Schließung von Schulen und Kindergärten auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 auswirkt. Die nämliche Studie hat keine eigenen Daten erhoben, sondern zusammengetragen, was es bereits an Untersuchungen zu diesem Thema gibt. Gefunden haben die Autoren die relativ geringe Anzahl von 16 Studien aus Hong Kong, Singapur, Taiwan, China, den USA und dem Vereinigten Königreich, die sich mit diesem Thema befassen, darunter vier Modellrechnungen und 6 Studien, die explizit den Effekt einer Schulschließung auf die Ausbreitung eines Virus (SARS-CoV-1 oder 2) analysieren. Alle Daten basierten und Hypothesen testenden, also nicht modellierenden Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Schulschließungen (und die Schließung von Kindergärten) KEINEN nachweisbaren Effekt auf die Verbreitung von SARS-CoV haben. Die einzige Modellierung, die den Effekt von Schulschließungen (und der Schließung von Kindergärten) explizit berücksichtigt, kommt zu dem Ergebnis, dass ein eher schwacher Effekt auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 von einer Schließung ausgeht.

Genaueres kann hier nachgelesen werden.



Die Diskussion darüber, ob Schulen und Kindergärten in Deutschland wieder geöffnet werden sollen und vor allem wann sie wieder geöffnet werden sollen, ist in vollem Gange und wie so oft, wird sie von Politikern und Ideologen geführt, die in der Regel keine Ahnung haben, wovon sie sprechen. Letztlich sollte die Frage, ob Schulen und Kindergärten wieder geöffnet werden, vor dem Hintergrund der Gefahr einer dadurch initiierten neuerlichen exponentiellen Verbreitung von SARS-CoV-2 diskutiert werden.

Nur: Dazu fehlen in Deutschland und nicht nur hier die Daten.

Legt man die Ergebnisse zugrunde, die wir oben berichtet haben, dann ist nicht damit zu rechnen, dass Kinder und Jugendliche im Kontext von Schulen und Kindergärten einen wesentlichen Beitrag zur Verbreitung von SARS-CoV-2 leisten, ganz im Gegensatz zur Verbreitung von Influenza. Hinzukommt, dass die Frage, ob Kinder und Jugendliche in der selben Häufigkeit Träger von SARS-CoV-2 sind wie Erwachsene weitgehend offen ist. Ergebnisse, wie sie aus der italienischen Gemeinde Vó bekannt sind, in der nahezu die gesamte Bevölkerung zu zwei Zeitpunkten getestet wurde, weisen darauf hin, dass die meisten Kindern-, Jugendlichen und Erwachsenen asymptomatisch bleiben, also keine Symptome zeigen. Die Studien von Bi et al. (2020) und Gudjartsson et al. (2020) legen den Schluss nahe, dass der Anteil der SARS-CoV-2 Infizierten unter Kindern und Jugendlichen dem von Erwachsenen entspricht. Die wichtigste Frage, nämlich die nach Kindern und Jugendlichen als ÜBERTrägern von SARS-CoV-2 ist bislang unbeantwortet.

Eine Untersuchung von mehrheitlich Mitarbeitern der Charité in Berlin unter Beteiligung der Universität Cambridge versucht, Licht in das Dunkel zu bringen. Die gerade veröffentlichte Untersuchung von Terry C. Jones, Barbara Mühlemann, Talitha Veith, Marta Zuchowski, Jörg Hofmann, Angela Stein, Anke Edelmann, Victor Max Corman und Christian Drosten geht den Weg über die Bestimmung der Virenlast. Aus vergangenen Untersuchungen ist bekannt, dass im Durchschnitt eine Virenlast von 106 Kopien (des Virus) pro Milliliter Sputum (das, was ausgehustet wird) notwendig ist, um an SARS-CoV-2 zu erkranken. Personen, die weniger als 106 Kopien pro Milliliter aushusten, bleiben somit unter der Dosis, die notwendig ist, um andere krank zu machen, jedenfalls mit einem Mal Husten.der und Jugendliche in derselben Häufigkeit wie Erwachsene andere anstecken können. Grundlage sind 59.831 Abstriche, die von Januar bis zum 26. April in der Berliner Charité und dem “Labor Berlin” durchgeführt wurden, darunter 3.712 positive Tests auf SARS-CoV-2. Diese 3.712 positiv Gestesten verteilen sich wie folgt auf unterschiedlichen Altersgruppen:

Das ist die Baseline für alle weiteren Ergebnisse: Kinder und Jugendlichen testen seltener positiv auf SARS-CoV-2 als Erwachsene aller Alterskategorien über 20 Jahre. Das Ergebnis ist nicht verallgemeinerbar, kann aber als Indikator dafür gewertet werden, dass Kinder und Jugendliche bislang (in Berlin) eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren. Das könnte man als ein Ergebnis ansehen, auf das die Öffnung von Kindergärten und Schulen gestützt werden kann.

Im nächsten Schritt haben die Cambridge-Berliner untersucht, wie sich die Virenlast auf die 3.712 positiv Getesteten und die verschiedenen Altersgruppen verteilt. Die folgende Abbildung zeigt die Verteilung für alle positiv Getesteten. Wie man sieht, reicht bei etwas weniger als der Hälfte der positiv Getesteten die Virenlast nicht dazu aus, an COVID-19 zu erkranken (sofern nicht Komplikationen hinzu kommen), denn sie liegt unter 106 per mL.

Die nächste Abbildung stellt dar, wie sich die unterschiedliche Virenlast auf die verschiedenen Altersgruppen verteilt. Jeder Punkt steht für eine getestete Person. Da im Sample nur 49 positiv Getestete im Alter von 1 bis 10 Jahren sind und nur 37, die in die Kategorie “KG” – Kindergarten – fallen, sind die Flächen über der x-Achsen Benennung für Kinder und Jugendliche weniger “gedottet”. Relevant ist auch nicht die Anzahl der Punkte, sondern die Verteilung, denn die Frage, die die Forscher (und uns) interessiert lautet: Verteilen sich Kindern und Jugendlichen im Hinblick auf die von Ihnen verbreitete Virenlast in einer Erwachsenen vergleichbaren Weise?

Antwort: Ja!
In der Statistik gibt es eine Reihe von Tests, mit denen es möglich ist, Gruppenvergleiche durchzuführen und zu prüfen, ob eventuell vorhandene Unterschiede zwischen Gruppen, also z.B. zwischen der Gruppe der 1-10jährigen und der Gruppe der 81-90jährigen, und zwar im Hinblick auf die Verteilung der Testwerte, signifikant sind.
Die Forschergruppe aus Cambridge und Berlin hat Paarvergleiche mit gleich drei Tests:

  • Kruskal-Wallis,
  • Bonferroni und
  • Dunn

durchgeführt. Das Ergebnis ist jedes Mal dasselbe: Es gibt KEINE signifikanten Unterschiede für keinen der 46 Paarvergleiche für die verschiedenen Altersgruppen, und es gibt KEINE signifikanten Unterschiede für die 15 Paarvergleiche der Kategorie “C2”. Mit anderen Worten: Die Kinder und Jugendlichen, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind, weisen weitgehend dieselbe Verteilung der Virenlast auf, die auch Erwachsene aufweisen. Kinder und Jugendliche, das wäre die Schlussfolgerung dieser Studie, können SARS-CoV-2 also in derselben Weise verbreiten, wie Erwachsene.

Allerdings: Die Ergebnisse müssen vor dem Hintergrund der oben genannten Baseline gesehen werden: Kinder und Jugendliche infizieren sich seltener mit SARS-CoV-2 als Erwachsene, der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die SARS-CoV-2 verbreiten können und die es mit einer Virenlast verbreiten, die jenseits von 106 per mL liegt, ist somit deutlich geringer als der entsprechende Anteil der Erwachsenen.

Auf Basis ihrer Ergebnisse empfehlen die Forscher Vorsicht mit Blick auf die Öffnung von Schulen und Kindergärten walten zu lassen:

“Based on the absence of any statistical evidence for a different viral load profile in children found in the present study, we have to caution against an unlimited re-opening of schools and kindergartens in the present situation, with a widely susceptible population and the necessity to keep transmission rates low via non-pharmaceutical interventions”.

Die Vorsicht der Forscher ist – angesichts der exponierten Stellung von Christian Drosten, der Teil des Teams ist – sicher nachvollziehbar. Ob sie auch angebracht ist, ist eine andere Frage, die man vielleicht vor dem Hintergrund beantworten sollte, dass sich Kinder nicht nur, wie die Ergebnisse aus Berlin nahelegen, seltener mit SARS-CoV-2 infizieren (was jedoch ein Ergebnis des Lockdowns sein kann!), sondern auch weniger Atemluft ausatmen als Erwachsene und man die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche SARS-CoV-2 verbreiten, durch die Pflicht, eine Maske zu tragen, leicht eindämmen könnte, und wenn man dann noch die Ergebnisse zu Rate zieht, die wir oben berichtet haben, dann überwiegen nach unserer Ansicht die Argumente dafür, Schulen und Kindergärten zu öffnen und die Nachbarn von Familien zu entlasten…

Unsere Einschätzung basiert u.a. auf den oben berichteten Ergebnissen aus China, Hong Kong, Singapur und Taiwan, d.h. sie setzt eine disziplinierte Schülerschaft voraus, wie sie aus diesen Ländern bekannt und vermutlich entscheidend dafür ist, dass dort kein Effekt von Schulschließungen auf die Verbreitung von SARS-CoV nachgewiesen werden konnte …




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