Politische Eliten und das Problem der Macht: Teil 4 der Serie „Populismus, Elitismus und das Ringen um Demokratie“

In Teil 3 unserer Serie haben wir den Begriff der „Elite“ und die Idee, dass eine Elite als Sachwalter von Demokratie fungieren sollte, wie sie Jürgen Habermas und Joseph Schumpeter formuliert haben, etwas näher betrachtet und gesehen, dass die Bestimmung derer, die „Elite“ sind bzw. sein sollen, sehr schwierig ist und wir über keine klaren Kriterien verfügen, die eine politische Elite als eine Leistungselite in irgendeiner Form ausweisen würden. Mit Bezug auf die Entwürfe von Habermas und Schumpeter haben wir gesehen, dass beide einer Demokratie das Wort reden, die eine Minimaldemokratie insofern ist als ihnen über den Akt der Wahl einer Regierung alle paar Jahre hinaus so gut wie keine Möglichkeit vorgesehen ist, Wünsche, Bedürfnisse und Interessen jedes einzelnen Bürgers zur Geltung zu bringen. Man darf daher mit Recht sagen, dass diese Entwürfe reine Sachwalter-Entwürfe sind, bei denen es schwierig ist, das spezifisch demokratische Element zu benennen, das den entscheidenden Unterschied zu einer politischen Oligarchie ausmachen würde. Und weder Habermas noch Schumpeter beantworten die Frage, was genau die politsche Elite zur politischen Elite machen soll.

Diese Frage beschäftigt und in diesem (und im nächsten Teil) unserer Serie.

Politische Elite kraft Amt oder Position

Dass in der Literatur häufig von einer politischen Elite gesprochen wird, ohne dass angegeben würde, was genau die politische Elite zu eben derselben macht, erklärt sich (ein Stück weit) daraus, dass in ihr die – an Max Webers Bürokratietheorie anschließende – Auffassung dominiert, dass Elite sei, wer eine formale Position relativ weit „oben“ im Institutionengefüge einer Gesellschaft innehabe, und speziell politische Elite sei, wer eine formale Position relativ weit „oben“ im Gefüge der politischen Institutionen einer Gesellschaft inne habe. Die politische Elite ist also Elite, weil sie in Ämter oder Positionen gewählt wurde, oder anders gesagt: der Elitenstatus hängt nicht an den Personen, sondern an den Ämtern oder Positionen, und jeder, der ein politisches Amt, eine politische Position innehat, wird kraft dieses Amtes, kraft dieser Position in einen Angehörigen der politischen Elite transformiert.

Elite im Bundestag: Ordentliches Mitglied
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Inneres und Heimat

Immerhin würde diese Auffassung der etymologischen Herkunft des Begriffes „Elite“ Rechnung tragen, der tatsächlich nicht auf „die Besten“ hinweist, sondern auf „die Gewählten“ (s. Teil 3 der Serie). Und die Rede vom Populismus als Gefahr für die Demokratie könnte dann als einigermaßen sinnvoll rekonstruiert werden, und zwar wie folgt:

Wenn Populismus kritisch gegenüber der jeweiligen politischen Elite ist, und die politische Elite dadurch zur Elite wird, dass sie (bei der letzten Wahl) von den Bürgern in ihre Ämter oder Positionen gewählt wurde, dann wenden sich Populisten gegen die (zuletzt) von den Bürgern in politische Ämter/Positionen Gewählten. Sie üben Kritik, und pflegen damit eine demokratische Tugend: Kritik ist von Drochon (2020: 191) in Anlehnung an Robert Michels als eines der regulierenden Prinzipien identifiziert worden, das der Degeneration von Demokratie in eine Oligarchie entgegenwirkt.

Es ist jedoch im Interesse der jeweiligen politischen Elite, die an ihren Ämtern/Positionen festhalten will, die Kritik von Populisten bewusst nicht als Kritik an ihren Politiken bzw. dem, was sie im Rahmen ihrer Ämter oder Positionen tun, oder bewusst nicht als Forderung nach mehr (oder nach Erhalt der) Demokratie zu interpretieren, sondern die Kritik zu einer allgemeinen Kritik an Wahlen bzw. überhaupt an der Demokratie – also nicht am derzeitigen Zustand der Demokratie vor Ort, sondern prinzipiell, – zu stilisieren. Die Inhaber politischer Ämter/Positionen nehmen sich aus jeder Kritik heraus, indem sie sie bewusst als eine Kritik an der Demokratie missverstehen. Sie bedienen sich der unzulässigen Gleichsetzung ihrer Politiken, ihrer Entscheidungen oder ihrer Art der Amtsführung mit „der“ Demokratie bzw. dem demokratischen System, um die Kritik von Populisten zu einer Gefahr für die Demokratie stilisieren zu können.

Dahinter steht eine Auffassung der Inhaber politischer Ämter/Positionen von Demokratie als einer Minimaldemokratie im Sinn Schumpeters oder einer deliberativen Demokratie im Sinn von Habermas, in denen von Demokratie wenig mehr übrig ist als der schlichte Akt der allgemeinen Wahl durch die Bürger alle paar Jahre: Nur, wenn das einzige Kriterium für Demokratie die Existenz solcher allgemeinen Wahlen zum (wie auch immer gearteten) Parlament alle paar Jahre ist, dann ist Kritik an den Gewählten dasselbe wie Kritik an der – so minimalisierten, wenn nicht pervertierten, – Demokratie. Was populistische Bewegungen auszeichnet, ist aber gerade die Forderung nach mehr Demokratie, und wofür sie eine Gefahr darstellen, ist deshalb die Minimal- oder deliberative Demokratie, sofern man solche Systeme überhaupt noch als demokratische Systeme durchgehen lassen möchte.

Aber zurück zur Definition von Eliten als „den Gewählten“:

Handelt es sich hier also nur um eine Sprachregelung bzw. –gewohnheit, die lautet: Von (einem jeweils wahlberechtigten Teil von) Bürgern in Ämter oder Positionen gewählte Personen heißen „Elite“? Obwohl – wie bereits bemerkt – die meisten Autoren, die über Eliten, Populismus oder Demokratie schreiben, von „Elite/n“ oder „politischer Elite“ sprechen, ohne es für notwendig zu halten, den Begriff zu definieren, und obwohl sie bei Nachfrage vermutlich auf eine Definition von Eliten-Status kraft Amt oder kraft Position verweisen würden, haben sie immer mehr oder weniger implizite Annahmen darüber, was es ist, das einem Inhaber eines Amtes oder Position Eliten-Status vermittelt.

Grob lassen sich diesbezüglich zwei Varianten von Annahmen unterscheiden:

  1. die Quelle des Eliten-Status ist Macht, die mit Ämtern oder Positionen verbunden ist und sich auf den jeweiligen Amts- oder Positionsinhaber überträgt; der Eliten-Status des Amts- oder Positionsinhabers leitet sich dann also aus der Macht ab, die ihm das Amt oder die Position verschafft;
  2. die Quelle des Eliten-Status des in ein Amt oder in eine Position Gewählten sind positive Eigenschaften, die seine Wähler ihm zugeschrieben bzw. in ihm gesehen haben, denn – so die ideale Annahme –, sonst hätten sie ihn nicht gewählt.

Betrachten wir in diesem Teil der Serie die erste der beiden Varianten:

Eliten als Machteliten

Wenn Macht als Funktion des Innehabens einer Position angesehen wird, ist jeder Elite, der die Position innehat und daher die mit ihr verbundene Macht ausüben kann. Wenn man „Elite“ so betrachtet, macht es Sinn, von Eliten im Plural, von Eliten in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen zu sprechen, von den Eliten in Politik, in den Medien, von Finanzeliten etc. All diejenigen, die in den entsprechenden Bereichen Positionen einnehmen, die dem Positionsinhaber vergleichsweise viel Macht vermitteln, sind dann Elite in ihrem jeweiligen Gebiet, und sie bilden zusammen die gesellschaftliche und in Zeiten der Globalisierung oft genug die globale Elite.

Nun ist es mit der Macht aber so eine Sache. Erstens ist es wenig sinnvoll, pauschal von „Machtpositionen“ zu sprechen, denn die Verbindung zwischen „Macht“ und „Position“ ist fragil. Weil es fast immer jemanden gibt, der auf einer der eigenen Position gleich- oder übergeordneten Machtposition sitzt, kann nicht als garantiert angesehen werden, dass eine Position, die heute mit der Macht, X oder Y zu tun, verbunden ist, das morgen auch noch ist oder die im Prinzip mit der Position verknüpfte Macht im konkreten Fall überhaupt nutzbar ist, weil jede Handlung, die von einer Position aus getätigt wird, von einer übergeordneten Position aus aufgehoben bzw. rückgängig gemacht werden kann.

D.h. es gibt ein Gefüge von Positionen, die mit jeweils relativer Macht verbunden sind, nämlich der Macht, bestimmte Handlungen durchführen zu können oder bestimmte Entscheidungen treffen zu können, und in diesem Gefüge von Positionen gibt es Kompetenzüberschneidungen, es gibt Konkurrenz. Inhaber einer relativen Machtposition zu sein, bedeutet nicht, wie ein kleiner König in dem jeweiligen Bereich, den seine Position betrifft, zu schalten und zu walten, wie man möchte. Es bedeutet vor allem, um den Erhalt der relativen Macht, die mit der Position, die er innehat, verbunden ist, zu kämpfen. Oder anders gesagt: Erste Pflicht eines Positionsinhabers ist es, um den Erhalt der Macht, die mit der Position verbunden ist, zu kämpfen. Und Erfolg in diesem Kampf setzt voraus, Absprachen treffen zu können, Selbstzensur üben zu können, Verbündete zu suchen u.ä.m. Im Gefüge der Machtpositionen dürften Selbstzensur und die Suche nach Verbündeten daher an der Tagesordnung sein. Dies alles hat noch nichts mit bestimmten Inhalten zu tun, die der Positionsinhaber durchsetzen möchte; hier geht es um den Erhalt der Macht als solcher, die mit der Position verbunden ist. Deshalb hat Sir Humphrey in der britischen Serie „Yes, Minister“ bemerkt, dass das Wachstum einer Abteilung ein Selbstzweck für eine Abteilung ist. Eine größere Abteilung ist per definitionem erfolgreicher ist als eine kleinere; sie umfasst mehr Positionen, die mit Macht ausgestattet sind, und das bedeutet: mehr Möglichkeiten, Verbündete zu suchen, weitere Zuständigkeiten zu beanspruchen, mehr Haushaltsmittel zu akquirieren, etc.

Zweitens – und hier kommt die Person des Positionsinhabers ins Spiel – ist Macht etwas anderes als Einfluss. Eine Position mag mit bestimmten Machtbefugnissen ausgestattet sein, aber diese definieren lediglich einen Möglichkeitsraum. Ob, inwieweit und wie ein Positionsinhaber diesen Möglichkeitsraum nutzen kann, hängt davon ab, wieviel Einfluss er auf andere Positionsinhaber, aber ggf. auch auf Nicht-Positionsinhaber, hat. Den Unterschied zwischen Macht und Einfluss haben Willer et al. (1997: 573) wie folgt beschrieben:

„We define power as the structurally determined potential for obtaining favored payoffs in relations where interests are opposed. It is the executive’s position that gives her power over the employee, rather than anything intrinsic to the person occupying the position. We define influence in a way that clearly distinguishes it from power. Influence is the socially induced modification of a belief, attitude, or expectation effected without recourse to sanctions”,
“Wir definieren Macht als das strukturell bedingte Potenzial zur Erlangung von Vorteilen in Beziehungen, in denen Interessen einander entgegengesetzt sind. Es ist die Position der Führungskraft, die ihr Macht über den Mitarbeiter verleiht, und nicht irgendetwas, das der Person, die diese Position innehat, eigen ist. Wir definieren Einfluss auf eine Weise, die ihn deutlich von Macht unterscheidet. Einfluss ist die sozial bedingte Veränderung einer Überzeugung, einer Einstellung oder einer Erwartung, die ohne die Anwendung von Sanktionen erfolgt”.
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Im Prinzip kann ein Positionsinhaber immer auf die Sanktionsmittel zurückgreifen, die seine Position ihm bereitstellt, aber praktisch nicht; bzw. der routinemäßige Rückgriff auf Sanktionsmittel kann den Positionsinhaber (wenn nicht sogar die Position an sich,) schnell in Legitimationsschwierigkeiten bringen, obwohl die Sanktionsmittel rein formal besehen legitim sind, denn die Position stellt sie ja bereit. Im zwischenmenschlichen Dasein ist die Anwendung von Sanktionsmitteln, die im Prinzip bzw. formal zur Verfügung stehen, niemals ein neutraler Akt und steht immer unter besonderem Legitimationsdruck, wie uns das Beispiel des kanadischen Regierungschefs Justin Trudeau gelehrt hat, der, um gegen ihm unliebsame Demonstranten vorzugehen, den Notstand ausgerufen hat, was sowohl in weiten Teilen der kanadischen Bevölkerung als auch von Bürgern und Politikern in anderen Staaten als der Sache unangemessen und daher als nicht legitim angesehen wurde. Nicht alles, was möglich und erlaubt ist, ist deshalb auch legitim (jedenfalls nicht im sozialen Leben).

Ob, inwieweit und wie jemand, der eine Position innehat, die mit ihr verbundene Macht ausüben kann oder nicht, hängt nicht nur mit Bezug auf Sanktionsmittel, die mit der Position verbunden sind, sondern allgemein von den jeweiligen Umständen zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten in bestimmten Gesellschaften ab; es ist eine empirische Frage. So kann z.B. der derzeitige französische Präsident, Emmanuel Macron, von seiner formalen Position insofern wenig Gebrauch machen als seine Partei im Parlament keine Mehrheit hat und er deshalb seine Pläne nicht durchsetzen kann bzw. von der Kooperationsbereitschaft der Angehörigen anderer Parteien abhängig ist. Und wie wir in den vergangenen zwei Jahren beobachten konnten, ist es von den Umständen abhängig, wer in einer Gesellschaft als besonders wichtig oder gar unverzichtbar gilt und deshalb Einfluss ausüben kann, unabhängig von s/einer Position bzw. relativen Machtposition. So wurden im Vereinigten Königreich unter den Bedingungen der erwarteten Covid-Pandemie vor allem Ärzte, Krankenschwestern und Lieferanten aller Art als „essential workers“ bezeichnet, und um sie zu unterstützen haben sich Menschen an Auflagen gehalten, während Politiker ihre Appelle an die Bürger, sich an Covid-Auflagen zu halten, häufig unter Verweis darauf formuliert haben, dass die Bürger dadurch eben diese „essential workers“ bei ihrer Arbeit unterstützen würden. Gleichzeitig konnten Politiker in die Covid-Quarantäne geschickt werden, ohne dass es jemand bemerkte (oder bemerkt haben würde, wenn die Medien nicht davon berichtet hätten), geschweige denn: einen Nachteil davon gehabt hätte.

Macht ist eine Funktion einer bestimmten Position. Sie definiert wie gesagt einen Möglichkeitsraum. Einfluss ist nicht mit der Position, sondern mit dem Positionsinhaber verbunden und damit notwendigerweise mit seinen individuellen Eigenschaften. Es gibt Mächtige ohne Einfluss, und es gibt Einflussreiche, die keine Macht-/Position innehaben. Und beide Kombinationen scheinen während der vergangenen Jahrzehnte häufiger zu werden, oder umgekehrt: die Verbindung von Macht und Einfluss ist lockerer geworden:

„The dominant theory of elite power … has analyzed elites in terms of stable positions at the top of enduring institutions. Today, many conditions that spawned the stable ‘command posts’ no longer prevail, and elite power thus warrants rethinking” (Wedel 2017: 153).
“Die vorherrschende Theorie der Elitenmacht … hat Eliten als Inhaber von stabilen Positionen an der Spitze von dauerhaften Institutionen analysiert. Viele der Bedingungen, die die stabilen ‘Kommandoposten’ hervorgebracht haben, sind heute nicht mehr gegeben, und die Macht der Eliten muss daher neu überdacht werden” (Wedel 2017: 153).

Wenn man dementsprechend davon ausgeht, dass Elite ist, wer vergleichsweise großen Einfluss auf vergleichsweise viele Menschen ausüben kann, dann ist es eine empirische Frage, wie, sagen wir, sich die Einflusselite zur Macht(positions)elite verhält, inwieweit es z.B. personelle Überschneidungen gibt. Und eine weitere Frage ist, welchen Eigenschaften die Einflusselite ihren Einfluss verdankt. Neben charakterlichen Eigenschaften wie z.B. Vertrauenswürdigkeit und Ernsthaftigkeit dürften dies in modernen Gesellschaften vor allem Sachkompetenz und – in Verbindung damit – Urteilsvermögen sein. Lines (2007) unterscheidet daher „expert power“ von „position power“.

In einer Situation, in der in der Gesellschaft eine ganze Reihe von Personen mit Sachkompetenz in den verschiedensten Feldern existiert, und gleichzeitig ein Berufspolitikertum herrscht, das in der Regel nicht nur Sachkompetenz auf irgendeinem sachlichen Gebiet minimiert, wenn nicht ausschließt, sondern häufig jedweden Kontakt mit dem freien Arbeitsmarkt ausschließt, stellt sich eine Legitimationskrise der politischen Elite als bloße Macht- bzw. Positionselite m.E. nahezu zwangsläufig ein.

Die Berufung von institutionalisierten Experten in Beratungsgremien durch Politiker kann die Kluft zwischen Inhabern von Sachkompetenz und Positionen nicht überwinden, denn Institutionen sind, besonders wenn sie politisiert und ideologisiert sind bzw. so wahrgenommen werden, kein einigermaßen verlässlicher Garant mehr dafür, dass sich die Experten, die sie hervorbringen oder anstellen, tatsächlich durch Sachkompetenz und die Bereitschaft, allein sachlichen Erwägungen Rechnung zu tragen, auszeichnen. Solche Experten haben sozusagen „die Seiten gewechselt“, sind selbst Inhaber von formalen Positionen mit Machtanspruch (z.B. der Art: „Herr X, Professor für … an der Hochschule …“, also basierend auf dem Fehlschluss ad auctoritatem), aber samt ihrer Institution dem politischen gusto der politischen Elite unterworfen. Sollten politisierte Insitutionen (dennoch) Experten hervorbringen können, die tatsächlich Sachkompetenz haben und die sich darüber hinaus allein ihrer Sachkompetenz verpflichtet fühlen, so ist nicht zu erwarten, dass ausgerechnet sie von Politikern in Beratungsgremien berufen werden; vielmehr werden in Gremien diejenigen berufen, von denen erwartet werden kann, dass sie das, was Politiker ohnehin zu tun gedenken, das, wozu sie neigen, für gut, wichtig und richtig erklären, es also zu legitimieren versuchen werden. (Im Zuge von „climategate“ ebenso wie im Zuge der erwarteten Covid-Pandemie wurde diesbezüglich reiches Anschauungsmaterial geliefert; außerdem s. hierzu Schudson 2006.)

Dessen ungeachtet bedeutet die Anrufung von Experten durch Inhaber politischer Ämter/Positionen, dass die politische Elite, die die Elite der Gewählten ist und Positionen relativer politischer Macht besetzt, mangels eigener Sachkompetenz eine vermeintliche oder tatsächliche Leistungselite zur Hilfe ruft. Man kann dies als eine Art der Arbeitsteilung aufassen: Die politische Elite ist sozusagen die Elite der Gewählten, die Fachelite sind die Experten, die (vermeintlich oder tatsächlich) die Besten in ihrem Feld sind.

Wenn die politische Elite zwar Macht, aber wenig oder keinen Einfluss (mehr) hat, wenn die Fachelite in Zweifel steht, tatsächlich Sachkompetenz zu haben oder die Integrität, Fragen allein aufgrund ihrer Sachkompetenz zu behandeln, dann befinden sich diese Eliten gleichermaßen in einer Legitimationskrise. Und deshalb kann sich letztlich keine Elite längerfristig als solche erhalten, die nicht insitutionell und in den einzelnen Personen ihrer Mitglieder auf überzeugende Weise bestimmte Werte und persönliche Eigenschaften repräsentiert.

Und das führt uns wieder zur zweiten möglichen Quelle von Eliten-Status mit Bezug auf die politische Elite, nämlich Werte bzw. positive Eigenschaften der Gewählten, die Wähler ihnen zuschreiben (bzw. bei der Wahl zugeschrieben haben). Sie wird uns im nächsten Teil, Teil 5 unserer Serie, beschäftigen.


Literatur:

Drochon, Hugo, 2020: Robert Michels, the Iron Law of Oligarchy and Dynamic Democracy. Constellations 27(2): 185-198.

Lines, Rune, 2007: Using Power to Install Strategy: The Relationships between Expert Power, Position Power, Influence Tactics and Implementation Success. Journal of change Management 7(2): 143-170.

Schudson, Michael. 2006: The Trouble with Experts – and Why Democracies Need Them. Theory and Society 35(5-6): 491-506.

Wedel, Janine R., 2017: From Power Elites to Influence Elites: Resetting Elite Studies for the 21st Century. Theory, Culture & Society 34(5-6): 153-178.

Willer, David, Lovaglia, Michael L., & Markovsky, Barry, 1997: Power and Influence: A Theoretical Bridge. Social Forces 76(2): 571-603.



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