Die Demonstration in Leipzig, am 9. Oktober 1989, wird bis heute als die Demonstration gefeiert, die das Ende der DDR und der SED (zumindest im damaligen Gewandt) eingeläutet hat. 70.000 Demonstranten haben damals den Augustusplatz in Leipzig besetzt, um gegen das DDR-Regime oder gegen die gefälschten Kommunalwahlen oder für Reisefreiheit oder für Bananen oder für was auch immer zu demonstrieren. 70.000 Demonstranten, diese Zahl ist ein historisches Fakt. Jeder kennt sie, jeder reproduziert sie:
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Die Anzahl derjenigen, die die 70.000 Demonstranten, die sich am 9. Oktober 1989 den Augustusplatz eingefunden haben, als historischen Fakt ansehen und diesen historischen Fakt in der Medien- und Bildungslandschaft kolportieren, ist groß und wird immer größer. Das einzige Problem, das sich mit den 70.000 Demonstranten verbindet, ist: Die Zahl ist falsch.
Das hat Karl-Dieter Opp gerade erst wieder in einem Beitrag für die Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik geschrieben, und er hat es bereits 1993 gezeigt, im gemeinsam mit Peter Voß und Christiane Gern verfassten Buch “Die volkseigene Revolution”. Leider hat es bislang niemand zur Kenntnis genommen. Die 70.000 sind zu tief im Bewusstsein der Medien- und Bildungsschaffenden in Deutschland eingegraben. Um sie zu entfernen, muss man offensichtlich Tiefenchirurgie anwenden.
Doch zurück zur Zahl der Demonstranten vom 9. Oktober 1989. Es waren wahrscheinlich zwischen 124.500 und 166.000 Demonstranten, also ein paar mehr als 70.000. Der Verdacht, dass mit den 70.000 Demonstranten etwas nicht stimmen kann, ist Karl-Dieter Opp gekommen, als eine Befragung von 1.225 Leipzigern deutlich höhere Anteile von Demonstrationsgängern erbracht hat, als sie hätte erbringen dürfen. Rund 26% wollten demonstriert haben. Hochgerechnet auf die Bevölkerung von Leipzig wären das rund 133.000 Demonstranten und somit deutlich mehr als die offiziellen 70.000, und das ohne all diejenigen zu berücksichtigen, die aus dem Umland nach Leipzig gekommen sind, um am 9. Oktober 1989 zu demonstrieren.
Ha, denkt man als empirischer Sozialforscher. Meine Befragten wollen mir etwas vormachen und, weil es zwischenzeitlich schick ist oder den Status erhöht, wenn man am 9. Oktober 1989 demonstriert hat, geben mehr an, das getan zu haben, als es tatsächlich getan haben, soziale Erwünschtheit nennen das Sozialforscher. Aber Karl-Dieter Opp hat das geprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass auch nach Berücksichtigung “sozial erwünschter” Antworten, die Anzahl der Demonstranten immer noch mehr als 70.000 gewesen sein muss.
Exkurs zu sozialer Erwünschtheit: Wie prüft man, ob Befragte einem Interviewer etwas erzählen, von dem sie denken, dass er es hören will bzw. dass es sie selbst in ein besseres Licht stellt. Nun, dass man belogen wird, gehört zum Leben als Sozialforscher. Aber man kann Vorkehrungen treffen, z.B. in dem man sicherstellt, dass der Interviewer die Antwort der Befragten auf die Frage nach z.B. der Demonstrations-Teilnahme nicht kennt. Das geht recht einfach, indem die ansonsten mündliche Befragungen unterbrochen wird, und die Befragten gebeten werden, einen kurzen Fragebogen auszufüllen (ohne Gegenwart des Interviewers), den Fragebogen dann in ein Couvert zu stecken und das Couvert zu verschließen. Da der Interviewer auf diese Weise die Antwort der Befragten nicht kennt, entfällt im Hinblick auf die Demonstrationsteilnahme das Motiv, mit seiner Antwort prahlen zu wollen, und da die Antwort in ein unmarkiertes Couvert gesteckt wird, erfährt auch sonst niemand, dass man bei einer Demonstration war oder nicht war. Kurz: die Anreize, zu prahlen, sind verringert. Darüber hinaus kann man auf interne Validität prüfen und den Anteil derer, die auf die Frage “Waren Sie Mitglied in der SED”, eine Frage, auf die eine positive Antwort zum Zeitpunkt der Befragung eher negativ sanktioniert war, mit dem Anteil der Leipziger Bevölkerung vergleichen, der SED-Mitglied war. Abweichungen zwischen beiden Anteilen, die statistisch signifikant sind, deuten auf soziale Erwünschtheit hin und erlauben es zudem, die maximale Anzahl der Befragten, die sozial erwünschte Antworten geben, zu bestimmen, was wiederum genutzt werden kann, um die Angaben auf die Beteiligung an der Demonstration zu gewichten. All das, hat Karl-Dieter Opp getan, und am Ende waren es immer noch mehr als 70.000 Teilnehmer, deutlich mehr als 70.000 Teilnehmer.
Da er auch eine verzerrte Stichprobe ausschließen konnte, seine Stichprobe von 1.225 Leipzigern also nicht eine Häufung von Befragtgruppen aufzuweisen hatte, deren Wahrscheinlichkeit an der Leipziger Montagsdemonstration teilgenommen zu haben, höher als die anderer Befragtengruppen war, ist er gemeinsam, mit Thomas Voß, wie er erzählt, und einem Zollstock, über den Augustusplatz in Leipzig gewandert und hat den Platz vermessen. 41.500 Quadratmeter sind dabei herausgekommen. Und wenn man drei Personen auf einen Quadratmeter stellt, dann waren 124.500 Demonstranten am 9. Oktober 1989 in Leipzig. Quetscht man vier auf einen Quadratmeter und die Bilder vom 9. Oktober 1989 zeigen, dass es eher vier als drei Demonstranten waren, die sich auf dem Augustusplatz gequetscht haben, dann ergeben sich daraus 166.000 Demonstranten. In jedem Fall ergibt sich eine Zahl, die deutlich größer als 70.000 ist.
Solange Dr. habil. Heike Diefenbach und ich Karl-Dieter Opp kennen, und das sind nun auch schon ein paar Jährchen, hat es uns immer fasziniert, dass er nicht davor zurückschreckt, seine Hypothesen mit unkonventionellen Mitteln zu prüfen. KD Opp war immer einer, der für seine Wissenschaft lebt und dem der Zugewinn an Erkenntnis wichtiger als der schöne Schein war. Und vermutlich ist er deshalb einer der, wenn nicht der größte lebende deutsche Soziologe und mit Sicherheit der Soziologe, der im Ausland die größte Bekanntheit genießt (mit Ulrich Beck vermutlich). Kurz: KD Opp ist ein Wissenschaftler der alten Schule und seit er emeritiert ist, hat er noch weniger Anlaß vor dem Anfassen heißer Eisen zurückzuschrecken, wie z.B. der Frage, warum sich eine falsche Zahl, die 70.000 Demonstranten in Leipzig, als historisches Faktum festsetzen konnte und was man daraus lernen kann.
Die erste Frage ist schnell beantwortet. Ein Interview, geführt mit Mitgliedern der oppositionellen Gruppe, die die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche organisiert hat, die wiederum den Demonstrationen vorausgingen und der Anlaß der Demonstrationen waren, gibt die Antwort in überraschender und eindeutiger Weise. Ich übersetze hier eine Passage aus dem Beitrag von KD Opp:
“Wir mussten eine Zahl nennen. Leute haben uns angerufen. Die Medien wollten eine Zahl. Wie viele Menschen kamen zur Demonstration? Vier von uns haben sich zusammengesetzt. Einer sagte, dass sind 50.000. Einer sagte, das sind 90.000. Wir haben uns dann irgendwie in der Mitte getroffen und die 70.000 öffentlich gemacht. Das ist die Zahl, die jetzt in den Medien berichtet wird.”
Und weiter: “Wir haben dasselbe jeden Montag gemacht. Wir haben dann ein Rad genommen, sind in die Richtung der Demonstration gefahren und haben immer geschätzt. Wir haben dann R. in Berlin angerufen, und er hat immer gesagt: Das müssen doch mehr als letzten Montag sein. Also haben wir beim nächsten Mal 90.000 oder so gesagt. Ob das richtig war oder nicht, weiß niemand.
Dieses glorreiche Beispiel dafür, wie in Deutschland historische Fakten enstehen und wie Medien dazu beitragen, Geschichte zu schreiben oder soll man sagen, zu fälschen, ist etwas, das einem abwechselnd lachen und weinen lässt. Dass die Sorgfalt bei Medienschaffenden nicht soweit geht, dass sie die Daten prüfen, die sie veröffentlichen, haben wir schon mehrfach auf ScienceFiles thematisiert. Aber diese Form der “Schätzung historischer Daten” ist wirklich einzigartig, und sie wirft ein Schlaglicht auf die Qualität von “Fakten”, die man aus Medien, von Zentralen, die der Bundesbildung gewidmet sind oder gar von Museen beziehen kann.
Am Ende seines Beitrags stellt KD Opp die Frage, ob es einen Unterschied machen würde, wären falsche Daten mutwillig und nicht fahrlässig weitergegeben worden. Anders formuliert, würden Medien- und Bildungsschaffende es bemerken, wenn sie absichtlich mit falschen Daten gefüttert würden und den öffentlichen Diskurs entsprechend mit falschen Daten beglücken würden. KD Opp kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Niemand würde etwas merken, würden absichtlich gefälschte Daten lanciert, weil niemand wissen will, ob die Daten, die er in der Zeitung, der Bundesbildungszentrale oder sonstwo veröffentlicht, richtig oder falsch sind (der Nebensatz ist von mir ergänzt worden).
Die Sorgfalt all derer, die sich der Information und Bildung einer Bevölkerung verschrieben haben, der sie sich in der Regel überlegen wähnen, ist zum Heulen, und entsprechend tut die Bevölkerung gut daran alle Daten, die ihr von den Bildern und Informieren genannt werden, zu prüfen und in jedem Fall nicht für bare Münze zu nehmen, jedenfalls solange, bis im Journalismus und im öffentlichen Diskurs in Deutschland wieder so etwas wie ein Standard von Kompetenz, Lauterkeit und Gewissen eingeführt worden ist.
Einmal mehr zeigt sich, dass gute Soziologie eine Watchdog-Funktion hat. Umso schlimmer ist es, dass sich viele Soziologen, die Lehrstühle besetzen, heute eher als Steigbügelhalter von Ismen aller Art, denn als Kontrollinstanz derjenigen sehen, die für sich z.B. die “Bildung der Massen” in Anspruch nehmen.
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Das war nun ein Beispiel für mangelnde wissenschaftliche Sorgfalt, die wahrscheinlich keine schlimmen Auswirkungen hat. Mir hat die zu niedrige Angabe (70.000 statt das Doppelte) in gewisser Hinsicht sogar besser gefallen, weil sie den ermutigenden Eindruck erweckte, daß schon relativ wenige Menschen genügen, um ein unmenschliches System zu stürzen.
Aber es war ja nur ein Beispiel. Wie ist es demgegenüber mit Behauptungen folgenden Kalibers: Jede zweite Frau ist schon mal von einem Mann geschlagen, vergewaltigt oder mit dem Taxi zur Arbeitstelle gefahren worden? Direkt falsch wäre diese Aussage ja wohl nicht; nur zielt die Formulierung darauf ab, daß gewisse Reizworte hängenbleiben. Und sie wirkt dennoch – sofern man nicht ganz wach ist – wissenschaftlich.
Da hätten wir ein weites Feld der Aufklärung höchst folgenreicher Irrtümer, wenn nicht Irreführungen.
Zuweilen hilft es, wenn man Texte zu Ende liest. Dann hättest Du bemerkt, dass Opp und Voß mit dem Zollstock über den Augustusplatz gelaufen sind und gemessen haben und auf Grundlage dieser Messung dann berechnet haben, ob ihre Zahlen aus der Umfrage (die NUR UNTER LEIPZIGERN erfolgt ist) richtig sein können. Ich bin zwar ein Freund von Kritik, aber Kritik besteht nicht darin einfach drauflos zu kritisieren, sondern darin, eine Begründung für die Fehlerhaftigkeit dessen, was man kritisieren will, anzugeben. Das setzt wiederum Fairness voraus und dazu ist es notwendig, erst einmal zu lesen, was man kritisieren will
Ich habe gestern das Gebiet der DDR mit dem Metermaß abgemessen und kam “auf Grundlage dieser Messung” zum Beweis, dass es möglich gewesen sein kann, dass sich auf dem Territorium der DDR zum Zeitpunkt der letzten Wahlen 15.680.000 Bürger befanden.
Zuweilen kann man “Texte zu Ende lesen” und doch bleiben Sätze wie der folgende bestehen:
Der Verdacht, dass mit den 70.000 Demonstranten etwas nicht stimmen kann, ist Karl-Dieter Opp gekommen, als eine Befragung von 1.225 Leipzigern deutlich höhere Anteile von Demonstrationsgängern erbracht hat, als sie hätte erbringen dürfen.
Nicht auf Grund der Fotos und Filme kam der Verdacht, nein, er folgte auf Grundlage einer Befragung ohne wissenschaftlichem oder juristischem Wert.
Was bitte schön hat das mit Fairness zu tun, wenn man Milchmädchenrechnungen durchschaut und diese ablehnt?
Oder hast Du meinen Text nicht gelesen? Hatte ich doch begründet, weshalb ich die Wahrscheinlichkeitsrechnung des Opp für mehr als gewagt halte. Man verrät seine Unseriösität, wenn man anderen Fehlverhalten vorwirft und dieses selbst praktiziert.
Was stimmt an meiner Begründung zur Ablehnung der Wahrscheinlichkeitsrechnung des Opp nicht?
Ist es unfair oder sogar unwissenschaftlich, auf Fehler hinzuweisen?
Und überhaupt, was den wissenschaftlichen Wert der Oppschen Theorie angeht, so ist es doch völlig unbedeutend, ob auf dem Platz 70.000 oder 166.000 Menschen waren.
Die Zahl von 70.000 anwesenden Menschen auf dem Platz ist realistischer. Das ergibt bei einer Fläche von 41.500 m² statistisch betrachtet 1,7 Menschen pro m².
166.000 Menschen auf dem Augustusplatz hätten 4 Demonstranten pro m² bedeutet, was schlichtweg unrealistisch ist. Dies hätte zu zahlreichen schweren Verletzungen und Todesfällen geführt. 4 Menschen pro m² in dieser Masse, dagegen wäre die Hühnerhaltung von Wiesenhof das reinste Auslaufparadies.
P.S. Wieviele Menschen in den Nebenstraßen waren oder in Zügen saßen, ist für die Anzahl auf dem Augustusplatz völlig uninteressant, da ein ganz anderer Schuh.
Der Mangel über die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens ist wirklich erschreckend. Im Rahmen des wissenschaftlichen Vorgehens bildet man Hypothesen darüber, was sein könnte. Die Hochrechnung auf Grundlage einer repräsentativen Stichprobe (ich bin kein Freund von Repräsentativität, aber hier ist das völlig unerheblich) hat Zweifel ausgelöst, und dass man an den Ergebnissen seiner eigenen Umfrage zweifeln kann, wirst Du sicher nicht bestreiten wollen. Was also macht man, wenn man zweifelt und eine Ahnung von wissenschaftlichem Vorgehen hat, man packt seinen Zweifel in eine Hypothese und geht hinaus um die Hypothese zu prüfen: Fragestellung hier: Was wäre, wenn die 70.000 falsch sind, wie könnte ich das nachprüfen? Opp und Voß haben dann nichts anderes getan, als empirische Belege zu sammeln und auf deren Grundlage zu prüfen, ob die Zahl 70.000 richtig sein kann. Und wie Du sicher aus dem Text, den Du ja mittlerweile gelesen hast, weist, haben sie nicht nur gemessen, sondern auch Fotos vom Demonstrationstag analysiert. Und man kann den Fotos von 1989 entnehmen, dass eher vier als 1.4 Menschen auf einem Quadratmeter Augustusplatz standen. Da Deine gesamte “Analyse” auf “Luftgebilden” besteht, sehe ich derzeit keine Indizien, dass deine Mutmaßung zutrifft, was anders wäre, wenn Du Deinerseits den Nachweis führen würdest, dass nicht die von Opp und Voß gesehenen drei oder vier auf einem Quadratmeter gestanden haben, sondern Deine 1.7. Ich habe es schon in meinem letzten Kommentar geschrieben. Kritik ist kein Selbstzweck. Damit Kritik etwas bringt, muss sie einen konstruktiven Teil haben, einen positiven Teil, wie das Hans Albert genannt hat. Warum muss sie das, weil man dann gezwungen ist, eine alternative Erklärung vorzuschlagen und nur das bringt den wissenschatflichen Prozess weiter.
Ansonsten frage ich mich, was Dich so erzürnt. Die Crux von dem Text ist, dass man an der Richtigkeit der Zahl 70.000 zweifeln muss, wenn man ein mit normalen Denkfähigkeiten ausgestatteter Mensch ist, und entsprechend muss man sich fragen, wieso in den Medien stur und steif eine Zahl behauptet wird, an der erhebliche Zweifel angebracht sind. Ich dachte, Du hättest so viel Verständnis für Kritik. Dann mal los, hinterfrage einmal die Art, wie in den Medien Fakten geschaffen werden, oder willst Du etwa behaupten, dass die im Text zitierten Aktivisten, die erzählt haben, wie die 70.000 zu Stande kommen, gelogen haben. Wenn nein, dann wäre es einem kritischen Geist angemessen, sich mit der Frage, wie in Medien Realität geschaffen (oder gefälscht) wird, zu beschäftigen, anstatt hier einen petty fight about numbers auszufechten.
Für den Fall, dass Du Dich über das Vorgehen bei wissenschaftlichen Erklärungen kundig machen willst und erfahren willst, was Kritik und kritische Wissenschaft wirklich ist, empfehle ich die Lektüre unseres Grundsatzprogramms.
Habe eben Pi mal Daumen mit Hilfe von Google Maps die Fläche des Augustusplatzes berechnet. Die Leute auf den historischen Photos stehen von der Oper bis zum Gewandhaus und auch auf den beiden Straßen um den Platz herum. Ich komme auf ca. 100m x 200m. Macht 20000 m^2. Bei einer Packungsdichte von 3-4 Menschen/Quadratmeter komme ich auf rund 70000 Personen alleine auf dem Augustusplatz. Wieviel Menschen dort keinen Platz gefunden haben, läßt sich aufgrund der Photos nicht sagen. Aber der Demonstrationszug dorthin, an dem ich teilnahm, füllte den Tröndlinring, der gut 500 Meter in der Länge und 30 – 50 Meter in der Breite mißt. Wer darüberhinaus die Hochrechnung unter den Leipzigern in Frage stellt, sollte die unbestimmte Anzahl von zugereisten nicht vergessen. Da ich schon einige Großveranstaltungen besucht habe, scheinen mir die 70000 im Nachhinein viel zu gering. Aber die Erinnerung kann täuschen.
Ich habe nochmal etwas genauer gemessen und die Randbereiche mit einbezogen und komme nun auf 30000 m^2 und schon sind wir bei 90000 Menschen bei 3 Personen/m^2.
Wenn es für Sie nicht zu weit ist, dann können Sie ja auch nachprüfen, was Opp und Voß mit dem Zollstock gemessen haben und den Augustusplatz direkt vermessen. Die Zielgröße ist 41.500 Quadratmeter. Vielleicht können wir dann herausfinden, wie man Google Map optimieren kann, um auf die richtige qm-Zahl zu kommen, wobei wir natürlich berücksichtigen müssen, dass der Augustusplatz zwischenzeitlich umgebaut wurde. In jedem Fall finde ich Ihren Beitrag erfrischend konstruktiv und freue mich über Ihren Kommentar.
Auf die Gefahr hin den Kommentarbereich zuzuspammen und wegen Klugscheisserei gebannt zu werden will ich aber dennoch anmerken, daß die Angabe von 41500 m^2 angesichts der Meßungenauigkeit mit Zollstock etwas zu präzise dargestellt ist. 40000 m^2 als Größenordnung wäre sicher angemessener. Demungeachtet ist der praktische, gesunde Menschenverstand des Professor Opp eine wahre Freude. Obwohl ich nun beruflich etwas völlig anderes mache (Ingenieur), habe ich meine Soziologiestudien in Leipzig in guter Erinnerung (90er). Die Lehre war durchaus handfest. Eine gute Mischung aus Empirie und Theorie ohne politisch korrekten, ideologischen Schnickschnack. Allerdings hatte ich auch nur 1 Semester lang eine Vorlesung zu den Methoden. Ich denke, daß ein brauchbares Soziologiestudium in allen Semestern Methodenvorlesungen und Seminare haben sollte und wenigstens zwei Semester Statistik. Das Soziologiestudium heute entspricht vermutlich einem Chemiestudium, daß zB. zwei Semester lang einen historischen Abriss der Phlogistontheorie darbieten würde.
Ich muß um Entschuldigung bitten. Die Phlogistontheorie war in den Grenzen der damaligen Zeit eine gute Theorie und keineswegs mit dem Unsinn zu vergleichen, der bisweilen heute an soziologischen Fakultäten verbreitet wird. im Übrigen bin ich durchaus ein Freund der Sozilogie, sonst wäre ich nicht auf diesem Blog.
Kein Grund, sich zu entschuldigen. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass wir die Phlogistontheorie durch den Versuch, Stroh zu Gold zu machen, ersetzen.
Ich entschuldige mich auch nicht bei Ihnen oder den Lesern des Blogs sondern bei den redlichen Wissenschaftlern der damaliger Zeit, die diese Theorie hervorbrachten und zu gegebener Zeit ihren Irrtum einsahen. Auf die Gefahr hin, die Vorzüge meines jetzigen Gewerbes zu positiv hinzustellen, will ich bemerken, daß ich zu keiner Zeit mehr über wissenschaftliche Redlichkeit gelernt habe, als im ersten Jahr als Ingenieur. Weder in der Studienzeit der Soziologie noch im Studium der Ingenieurswissenschaften. Nun habe ich in meiner Position den Vorteil, im Falle des Irrtums sofort von der Realität belehrt zu werden. Dieser Vorteil der Unmittelbarkeit ist in der Soziologie selten gegeben, aber man kann ihn doch nutzen, wenn man sich der Empirie bedient.
Andererseits kommt es bisweilen vor, daß der Ingenieur mit einer falschen Hypothese verwertbare Ergebnisse erzielt. Es ist im Prinzip egal, ob ich richtig Messe. Solange konsequent falsch gemessen wird und der Fertigungsprozess darauf eingestellt ist, kann das Produkt trotzdem funktionieren. Die unbekannten, systematischen Fehler werden implizite durch praktische Anpassungen in der Fertigung ausgeglichen. Hier zeigen sich dann doch die Grenzen zwischen Wissenschaft und Ingenieurspaxis. Insofern denke ich, daß reine Empirie ohne eine ordentliche Theorie in der Wissenschaft auf lange Sicht nicht funktionieren kann.
“Allerdings hatte ich auch nur 1 Semester lang eine Vorlesung zu den Methoden. Ich denke, daß ein brauchbares Soziologiestudium in allen Semestern Methodenvorlesungen und Seminare haben sollte und wenigstens zwei Semester Statistik. Das Soziologiestudium heute entspricht vermutlich einem Chemiestudium, daß zB. zwei Semester lang einen historischen Abriss der Phlogistontheorie darbieten würde.”
Vorsicht mit Verallgemeinerungen über das “Soziologiestudium heute”. Ich hatte 4 Semester lang Veranstaltungen zu Methoden. Es gab eine einführende, wissenschaftstheoretische Veranstaltung. Im anschließenden Semester gab es 4 SWS Statistik plus 2 SWS Begleitseminar. Das gleiche Pensum gab es noch einmal im dritten Semester. Das waren insgesamt 14 SWS Methoden. im Hauptstudium gab es noch einmal 2 SWS Methoden, was allerdings fakultativ war und keine Pflicht mehr (zur Wahl standen unterschiedliche Methoden: Qualitative Methoden und quantitative Methoden). Allerdings gab es wiederum das zweisemestrige Lehrforschungsprojekt, dass ebenfalls empirisch und methodisch ausgerichtet war. Schließlich konnte man sich in Kolloquien durchgängig mit Methoden befassen (in meinem Falle waren dies qualitative Methoden). Ich denke, das ist gar kein so schlechter Methodenanteil am Gesamtcurriculum. Wenn ich mich recht erinnere, gab es dazu auch Empfehlungen des Wissenschaftsrates, die einen ähnlichen Umfang an Methodenveranstaltungen vorgaben.
Meine Erfahrung ist eher die: Es sind nicht alle Studierenden an den Methoden interessiert. Die Fragmentierung des Forschungsbetriebes sorgt für eine Vielzahl von Einzelkämpfern, die dann aus pragmatischen Gründen “Papierstudien” machen, weil es für die Empirie an personellen und finanziellen Ressourcen fehlt.
Ich habe allerdings den – sehr subjektiven – Eindruck, dass es eine Fraktion von Theorieexperten gibt, die der Empirie keinen großen Wert zumessen und daher den Arbeitsaufwand empirischer Studien und deshalb auch deren Ergebnisse etwas geringschätzen. Auch dies ist sicher das Ergebnis eines ungünstig organisierten Forschungsbetriebes.
Ich selber würde diesen Fall nicht unbedingt mit der Diagnose eines Qualitätsverfalls der Medien garnieren. Dieser ist offensichtlich. Mich würde jetzt mehr interessieren, welche Umstände es begünstigen, dass falsche Fakten zu historischen “Tatsachen” werden. Es gibt ja mehrere solche Fälle.
Aber der Gesamtzusammenhang wäre spannend: Warum recherchieren die Journalisten nicht? Warum recherchieren die Geschichtsschreiber nicht? Vermutlich herrscht überall Zeit- und Geldknappheit. Daraus entstehen diese Abschreibe-Ketten. Das sagt doch eine Menge über unsere Gesellschaft aus, die mancher eine “Wissensgesellschaft” nennt.
Vielleicht lernt man aus diesem Fall auch etwas über Autorität, also über die Art, wie man einem Publikum weismacht, ihm gesichertes Wissen zu vermitteln. Als Autoritäten treten hier die Medien auf, später die Geschichtsschreiber. Der Quellenverweis ersetzt die empirische Überprüfung. Die Referenz bzw. die Tatsache, dass man Quellen angeben kann, ersetzt den Nachweis. Nachweise kosten Zeit. Das Publikum kann nicht alle Informationen selber auf ihre Gültigkeit prüfen, es muss vertrauen. Wie man sieht, hat dieses Vertrauen aber oft schwache Fundamente.
Auf ScienceFiles werden nur Kommentare veröffentlicht, die die Grundregeln von Anstand und Höflichkeit erfüllen. Als Lernhinweis: aufgeregte und pampige Art, gepaart mit Beleidigungen hat nichts mit Kritik zu tun. Ich denke, das ist auch in Berlin so.
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Das war nun ein Beispiel für mangelnde wissenschaftliche Sorgfalt, die wahrscheinlich keine schlimmen Auswirkungen hat. Mir hat die zu niedrige Angabe (70.000 statt das Doppelte) in gewisser Hinsicht sogar besser gefallen, weil sie den ermutigenden Eindruck erweckte, daß schon relativ wenige Menschen genügen, um ein unmenschliches System zu stürzen.
Aber es war ja nur ein Beispiel. Wie ist es demgegenüber mit Behauptungen folgenden Kalibers: Jede zweite Frau ist schon mal von einem Mann geschlagen, vergewaltigt oder mit dem Taxi zur Arbeitstelle gefahren worden? Direkt falsch wäre diese Aussage ja wohl nicht; nur zielt die Formulierung darauf ab, daß gewisse Reizworte hängenbleiben. Und sie wirkt dennoch – sofern man nicht ganz wach ist – wissenschaftlich.
Da hätten wir ein weites Feld der Aufklärung höchst folgenreicher Irrtümer, wenn nicht Irreführungen.
Und es ist schlimm, wenn die Wächter selbst nichts taugen:
http://luzifer-lux.blogspot.de/2013/02/ddr-geschichte-in-den-handen-der.html
Zuweilen hilft es, wenn man Texte zu Ende liest. Dann hättest Du bemerkt, dass Opp und Voß mit dem Zollstock über den Augustusplatz gelaufen sind und gemessen haben und auf Grundlage dieser Messung dann berechnet haben, ob ihre Zahlen aus der Umfrage (die NUR UNTER LEIPZIGERN erfolgt ist) richtig sein können. Ich bin zwar ein Freund von Kritik, aber Kritik besteht nicht darin einfach drauflos zu kritisieren, sondern darin, eine Begründung für die Fehlerhaftigkeit dessen, was man kritisieren will, anzugeben. Das setzt wiederum Fairness voraus und dazu ist es notwendig, erst einmal zu lesen, was man kritisieren will
Ich habe gestern das Gebiet der DDR mit dem Metermaß abgemessen und kam “auf Grundlage dieser Messung” zum Beweis, dass es möglich gewesen sein kann, dass sich auf dem Territorium der DDR zum Zeitpunkt der letzten Wahlen 15.680.000 Bürger befanden.
Zuweilen kann man “Texte zu Ende lesen” und doch bleiben Sätze wie der folgende bestehen:
Der Verdacht, dass mit den 70.000 Demonstranten etwas nicht stimmen kann, ist Karl-Dieter Opp gekommen, als eine Befragung von 1.225 Leipzigern deutlich höhere Anteile von Demonstrationsgängern erbracht hat, als sie hätte erbringen dürfen.
Nicht auf Grund der Fotos und Filme kam der Verdacht, nein, er folgte auf Grundlage einer Befragung ohne wissenschaftlichem oder juristischem Wert.
Was bitte schön hat das mit Fairness zu tun, wenn man Milchmädchenrechnungen durchschaut und diese ablehnt?
Oder hast Du meinen Text nicht gelesen? Hatte ich doch begründet, weshalb ich die Wahrscheinlichkeitsrechnung des Opp für mehr als gewagt halte. Man verrät seine Unseriösität, wenn man anderen Fehlverhalten vorwirft und dieses selbst praktiziert.
Was stimmt an meiner Begründung zur Ablehnung der Wahrscheinlichkeitsrechnung des Opp nicht?
Ist es unfair oder sogar unwissenschaftlich, auf Fehler hinzuweisen?
Und überhaupt, was den wissenschaftlichen Wert der Oppschen Theorie angeht, so ist es doch völlig unbedeutend, ob auf dem Platz 70.000 oder 166.000 Menschen waren.
Die Zahl von 70.000 anwesenden Menschen auf dem Platz ist realistischer. Das ergibt bei einer Fläche von 41.500 m² statistisch betrachtet 1,7 Menschen pro m².
166.000 Menschen auf dem Augustusplatz hätten 4 Demonstranten pro m² bedeutet, was schlichtweg unrealistisch ist. Dies hätte zu zahlreichen schweren Verletzungen und Todesfällen geführt. 4 Menschen pro m² in dieser Masse, dagegen wäre die Hühnerhaltung von Wiesenhof das reinste Auslaufparadies.
P.S. Wieviele Menschen in den Nebenstraßen waren oder in Zügen saßen, ist für die Anzahl auf dem Augustusplatz völlig uninteressant, da ein ganz anderer Schuh.
“Die im Irrtum verharren sind Narren” – Nietzsche
Der Mangel über die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens ist wirklich erschreckend. Im Rahmen des wissenschaftlichen Vorgehens bildet man Hypothesen darüber, was sein könnte. Die Hochrechnung auf Grundlage einer repräsentativen Stichprobe (ich bin kein Freund von Repräsentativität, aber hier ist das völlig unerheblich) hat Zweifel ausgelöst, und dass man an den Ergebnissen seiner eigenen Umfrage zweifeln kann, wirst Du sicher nicht bestreiten wollen. Was also macht man, wenn man zweifelt und eine Ahnung von wissenschaftlichem Vorgehen hat, man packt seinen Zweifel in eine Hypothese und geht hinaus um die Hypothese zu prüfen: Fragestellung hier: Was wäre, wenn die 70.000 falsch sind, wie könnte ich das nachprüfen? Opp und Voß haben dann nichts anderes getan, als empirische Belege zu sammeln und auf deren Grundlage zu prüfen, ob die Zahl 70.000 richtig sein kann. Und wie Du sicher aus dem Text, den Du ja mittlerweile gelesen hast, weist, haben sie nicht nur gemessen, sondern auch Fotos vom Demonstrationstag analysiert. Und man kann den Fotos von 1989 entnehmen, dass eher vier als 1.4 Menschen auf einem Quadratmeter Augustusplatz standen. Da Deine gesamte “Analyse” auf “Luftgebilden” besteht, sehe ich derzeit keine Indizien, dass deine Mutmaßung zutrifft, was anders wäre, wenn Du Deinerseits den Nachweis führen würdest, dass nicht die von Opp und Voß gesehenen drei oder vier auf einem Quadratmeter gestanden haben, sondern Deine 1.7. Ich habe es schon in meinem letzten Kommentar geschrieben. Kritik ist kein Selbstzweck. Damit Kritik etwas bringt, muss sie einen konstruktiven Teil haben, einen positiven Teil, wie das Hans Albert genannt hat. Warum muss sie das, weil man dann gezwungen ist, eine alternative Erklärung vorzuschlagen und nur das bringt den wissenschatflichen Prozess weiter.
Ansonsten frage ich mich, was Dich so erzürnt. Die Crux von dem Text ist, dass man an der Richtigkeit der Zahl 70.000 zweifeln muss, wenn man ein mit normalen Denkfähigkeiten ausgestatteter Mensch ist, und entsprechend muss man sich fragen, wieso in den Medien stur und steif eine Zahl behauptet wird, an der erhebliche Zweifel angebracht sind. Ich dachte, Du hättest so viel Verständnis für Kritik. Dann mal los, hinterfrage einmal die Art, wie in den Medien Fakten geschaffen werden, oder willst Du etwa behaupten, dass die im Text zitierten Aktivisten, die erzählt haben, wie die 70.000 zu Stande kommen, gelogen haben. Wenn nein, dann wäre es einem kritischen Geist angemessen, sich mit der Frage, wie in Medien Realität geschaffen (oder gefälscht) wird, zu beschäftigen, anstatt hier einen petty fight about numbers auszufechten.
Für den Fall, dass Du Dich über das Vorgehen bei wissenschaftlichen Erklärungen kundig machen willst und erfahren willst, was Kritik und kritische Wissenschaft wirklich ist, empfehle ich die Lektüre unseres Grundsatzprogramms.
Quatsch, 4 personen auf einem qudratmeter ist bei Rockkonzerten ueblich und normal.
Habe eben Pi mal Daumen mit Hilfe von Google Maps die Fläche des Augustusplatzes berechnet. Die Leute auf den historischen Photos stehen von der Oper bis zum Gewandhaus und auch auf den beiden Straßen um den Platz herum. Ich komme auf ca. 100m x 200m. Macht 20000 m^2. Bei einer Packungsdichte von 3-4 Menschen/Quadratmeter komme ich auf rund 70000 Personen alleine auf dem Augustusplatz. Wieviel Menschen dort keinen Platz gefunden haben, läßt sich aufgrund der Photos nicht sagen. Aber der Demonstrationszug dorthin, an dem ich teilnahm, füllte den Tröndlinring, der gut 500 Meter in der Länge und 30 – 50 Meter in der Breite mißt. Wer darüberhinaus die Hochrechnung unter den Leipzigern in Frage stellt, sollte die unbestimmte Anzahl von zugereisten nicht vergessen. Da ich schon einige Großveranstaltungen besucht habe, scheinen mir die 70000 im Nachhinein viel zu gering. Aber die Erinnerung kann täuschen.
Ich habe nochmal etwas genauer gemessen und die Randbereiche mit einbezogen und komme nun auf 30000 m^2 und schon sind wir bei 90000 Menschen bei 3 Personen/m^2.
Wenn es für Sie nicht zu weit ist, dann können Sie ja auch nachprüfen, was Opp und Voß mit dem Zollstock gemessen haben und den Augustusplatz direkt vermessen. Die Zielgröße ist 41.500 Quadratmeter. Vielleicht können wir dann herausfinden, wie man Google Map optimieren kann, um auf die richtige qm-Zahl zu kommen, wobei wir natürlich berücksichtigen müssen, dass der Augustusplatz zwischenzeitlich umgebaut wurde. In jedem Fall finde ich Ihren Beitrag erfrischend konstruktiv und freue mich über Ihren Kommentar.
Auf die Gefahr hin den Kommentarbereich zuzuspammen und wegen Klugscheisserei gebannt zu werden will ich aber dennoch anmerken, daß die Angabe von 41500 m^2 angesichts der Meßungenauigkeit mit Zollstock etwas zu präzise dargestellt ist. 40000 m^2 als Größenordnung wäre sicher angemessener. Demungeachtet ist der praktische, gesunde Menschenverstand des Professor Opp eine wahre Freude. Obwohl ich nun beruflich etwas völlig anderes mache (Ingenieur), habe ich meine Soziologiestudien in Leipzig in guter Erinnerung (90er). Die Lehre war durchaus handfest. Eine gute Mischung aus Empirie und Theorie ohne politisch korrekten, ideologischen Schnickschnack. Allerdings hatte ich auch nur 1 Semester lang eine Vorlesung zu den Methoden. Ich denke, daß ein brauchbares Soziologiestudium in allen Semestern Methodenvorlesungen und Seminare haben sollte und wenigstens zwei Semester Statistik. Das Soziologiestudium heute entspricht vermutlich einem Chemiestudium, daß zB. zwei Semester lang einen historischen Abriss der Phlogistontheorie darbieten würde.
Ich muß um Entschuldigung bitten. Die Phlogistontheorie war in den Grenzen der damaligen Zeit eine gute Theorie und keineswegs mit dem Unsinn zu vergleichen, der bisweilen heute an soziologischen Fakultäten verbreitet wird. im Übrigen bin ich durchaus ein Freund der Sozilogie, sonst wäre ich nicht auf diesem Blog.
Kein Grund, sich zu entschuldigen. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass wir die Phlogistontheorie durch den Versuch, Stroh zu Gold zu machen, ersetzen.
Ich entschuldige mich auch nicht bei Ihnen oder den Lesern des Blogs sondern bei den redlichen Wissenschaftlern der damaliger Zeit, die diese Theorie hervorbrachten und zu gegebener Zeit ihren Irrtum einsahen. Auf die Gefahr hin, die Vorzüge meines jetzigen Gewerbes zu positiv hinzustellen, will ich bemerken, daß ich zu keiner Zeit mehr über wissenschaftliche Redlichkeit gelernt habe, als im ersten Jahr als Ingenieur. Weder in der Studienzeit der Soziologie noch im Studium der Ingenieurswissenschaften. Nun habe ich in meiner Position den Vorteil, im Falle des Irrtums sofort von der Realität belehrt zu werden. Dieser Vorteil der Unmittelbarkeit ist in der Soziologie selten gegeben, aber man kann ihn doch nutzen, wenn man sich der Empirie bedient.
Andererseits kommt es bisweilen vor, daß der Ingenieur mit einer falschen Hypothese verwertbare Ergebnisse erzielt. Es ist im Prinzip egal, ob ich richtig Messe. Solange konsequent falsch gemessen wird und der Fertigungsprozess darauf eingestellt ist, kann das Produkt trotzdem funktionieren. Die unbekannten, systematischen Fehler werden implizite durch praktische Anpassungen in der Fertigung ausgeglichen. Hier zeigen sich dann doch die Grenzen zwischen Wissenschaft und Ingenieurspaxis. Insofern denke ich, daß reine Empirie ohne eine ordentliche Theorie in der Wissenschaft auf lange Sicht nicht funktionieren kann.
@ A. Portnoy:
“Allerdings hatte ich auch nur 1 Semester lang eine Vorlesung zu den Methoden. Ich denke, daß ein brauchbares Soziologiestudium in allen Semestern Methodenvorlesungen und Seminare haben sollte und wenigstens zwei Semester Statistik. Das Soziologiestudium heute entspricht vermutlich einem Chemiestudium, daß zB. zwei Semester lang einen historischen Abriss der Phlogistontheorie darbieten würde.”
Vorsicht mit Verallgemeinerungen über das “Soziologiestudium heute”. Ich hatte 4 Semester lang Veranstaltungen zu Methoden. Es gab eine einführende, wissenschaftstheoretische Veranstaltung. Im anschließenden Semester gab es 4 SWS Statistik plus 2 SWS Begleitseminar. Das gleiche Pensum gab es noch einmal im dritten Semester. Das waren insgesamt 14 SWS Methoden. im Hauptstudium gab es noch einmal 2 SWS Methoden, was allerdings fakultativ war und keine Pflicht mehr (zur Wahl standen unterschiedliche Methoden: Qualitative Methoden und quantitative Methoden). Allerdings gab es wiederum das zweisemestrige Lehrforschungsprojekt, dass ebenfalls empirisch und methodisch ausgerichtet war. Schließlich konnte man sich in Kolloquien durchgängig mit Methoden befassen (in meinem Falle waren dies qualitative Methoden). Ich denke, das ist gar kein so schlechter Methodenanteil am Gesamtcurriculum. Wenn ich mich recht erinnere, gab es dazu auch Empfehlungen des Wissenschaftsrates, die einen ähnlichen Umfang an Methodenveranstaltungen vorgaben.
Meine Erfahrung ist eher die: Es sind nicht alle Studierenden an den Methoden interessiert. Die Fragmentierung des Forschungsbetriebes sorgt für eine Vielzahl von Einzelkämpfern, die dann aus pragmatischen Gründen “Papierstudien” machen, weil es für die Empirie an personellen und finanziellen Ressourcen fehlt.
Ich habe allerdings den – sehr subjektiven – Eindruck, dass es eine Fraktion von Theorieexperten gibt, die der Empirie keinen großen Wert zumessen und daher den Arbeitsaufwand empirischer Studien und deshalb auch deren Ergebnisse etwas geringschätzen. Auch dies ist sicher das Ergebnis eines ungünstig organisierten Forschungsbetriebes.
Übrigens, der Artikel ist sehr gut!
Ich selber würde diesen Fall nicht unbedingt mit der Diagnose eines Qualitätsverfalls der Medien garnieren. Dieser ist offensichtlich. Mich würde jetzt mehr interessieren, welche Umstände es begünstigen, dass falsche Fakten zu historischen “Tatsachen” werden. Es gibt ja mehrere solche Fälle.
Aber der Gesamtzusammenhang wäre spannend: Warum recherchieren die Journalisten nicht? Warum recherchieren die Geschichtsschreiber nicht? Vermutlich herrscht überall Zeit- und Geldknappheit. Daraus entstehen diese Abschreibe-Ketten. Das sagt doch eine Menge über unsere Gesellschaft aus, die mancher eine “Wissensgesellschaft” nennt.
Vielleicht lernt man aus diesem Fall auch etwas über Autorität, also über die Art, wie man einem Publikum weismacht, ihm gesichertes Wissen zu vermitteln. Als Autoritäten treten hier die Medien auf, später die Geschichtsschreiber. Der Quellenverweis ersetzt die empirische Überprüfung. Die Referenz bzw. die Tatsache, dass man Quellen angeben kann, ersetzt den Nachweis. Nachweise kosten Zeit. Das Publikum kann nicht alle Informationen selber auf ihre Gültigkeit prüfen, es muss vertrauen. Wie man sieht, hat dieses Vertrauen aber oft schwache Fundamente.
Auf ScienceFiles werden nur Kommentare veröffentlicht, die die Grundregeln von Anstand und Höflichkeit erfüllen. Als Lernhinweis: aufgeregte und pampige Art, gepaart mit Beleidigungen hat nichts mit Kritik zu tun. Ich denke, das ist auch in Berlin so.
Weiterbildung gibt es hier: Grundsatzprogramm