Organgeschacher: Wie kommt ein Spenderorgan zum “richtigen” Nehmer?

Organspende steht, aus welchen Gründen auch immer, bei einer Reihe von Lobbyisten ganz oben auf der Agenda. Ob dies damit zu tun hat, dass mit Transplantationen viel Geld zu verdienen ist,  sei – obwohl es die wahrscheinlichste aller Erklärungen ist – einmal dahingestellt. Natürlich kommt Organhandel nicht als großes Geschäft daher, sondern als mildtätige Veranstaltung, mit der die Leben von ansonsten zum Tode Verdammten, zunächst vielleicht gerettet und dann vielleicht verlängert werden können – vielleicht auch nicht.

Vultures_in_the_nestMit dem schönen Märchen von der Gabe, für den Spender zwischenzeitlich unnütz gewordener Organe, an einen Empfänger, dem selbst Gebrauchtorgane ein neues Leben ermöglichen, verbinden sich jedoch einige Probleme: Transplantationen sind mehr oder weniger erfolgreich, wobei die Erfolgsquote von der Frische und der Art des transplantierten Organs abhängig ist. Transplantationen ermöglichen kein neues Leben, sondern ein Leben mit gebrauchtem Organ, das in den meisten Fällen nur durch die dauerhafte Einnahme das Immunsystem schwächender Medikamente möglich ist.

Zu diesen rein materiellen Fragen des Transplantationsergebnisses gesellt sich eine Frage, die unlängst der Deutsche Ethikrat (ja, es gibt ihn noch) gestellt hat: Wie kommt das gespendete Organ zum richtigen Empfänger? Oder besser: Wie wird gewährleistet, dass die Verteilung der Organe nicht nach dem, “wer am besten zahlt gewinnt” oder “wer mich am besten schmiert gewinnt” Kriterium verteilt werden oder, in den Worten des Deutschen Ethikrats: Wie müssen die Verteilungskriterien für Spenderorgane beschaffen sein, damit sie nicht anstößig sind.

Dazu hat der Deutsche Ethikrat wie immer eine Reihe von Personen eingeladen, ihre Position vorzutragen und unter denen, die der Einladung gefolgt sind, ist Prof. Dr. Micha Werner vom Institut für Philosophie der Universität Greifswald. Er hat seinen Vortrag mit “Kriterien gerechter Organallokation (innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft)” überschrieben, wobei der Untertitel Fragen aufwirft, die man besser nicht an Philosophen richtet, obwohl es mich schon interessiert hätte, mich welcher sonstigen Vernunft Werner zu denken im Stande ist.

deutscherethikratEgal. Werner beschäftigt sich also mit der Frage, wie teilt man eigentlich Gebrauchtorgane an Organsuchende zu, nach welchem Kriterium?: Nach der Erfolgswahrscheinlichkeit, also der Wahrscheinlichkeit, dass der Organsuchende das transplantierte Organ auch in sich behält?; Nach der Dringlichkeit, also der Überlebenswahrscheinlichkeit, bei der die Frage des Transplantationserfolgs zunächst außen vor bleibt? Nun, diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten, vor allem, wenn man die Fragen noch mit Ansprüchen wie: Es darf keine soziale Diskriminierung stattfinden, verkompliziert.

Ein kleiner Einschub: Was fällt unter soziale Diskrminierung? so fragt Micha Werner im Verlauf seines Vortrags und beantwortet seine Frage mit: “religiöse und ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Bildungsgrad, Zahlungsfähigkeit? Staatsbürgerschaft?”. Na, fällt jemandem etwas auf? Dass etwas fehlt zum Beispiel? Wem nichts auffällt, der betrachte das Kriterium, das Wikipedia als allererstes Kriterium einfällt, wenn es um soziale Diskriminierung geht: … na? … Geschlecht! Richtig! Micha Werner hat Geschlecht vergessen. Ich habe einen neuen Helden, einen Philosophen aus Greifswald, dem nicht wie einem Sprechautomaten immer und überall “Geschlecht” einfällt. Überhaupt kommt Geschlecht in seinem Vortrag überhaupt nicht vor. Schon deshalb ist es ein guter Vortrag, aber nicht nur deshalb:

Keine Diskriminierung dürfe es geben und transparent müsse das Verfahren sein, stellt Werner fest und legt beide Kriterien an den Paragraphen 12 des Transplantationsgesetzes an, dort heißt es:

“Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln”. (“vermittlungspflichtige Organe”: eine interessante Formulierung; Gespendete Organe sind die einzigen Subjekte, denen eine Metamorphose vom Subjekt zum Objekt und zurück gelingt, wobei an der Metamorphose eine ganze Reihe von Günstlingen verdient…).

Handbuch EthikZurück zu Werner, der sich fragt, was von dieser Passage im Gesetzestext zu halten ist und seine Frage mit: nichts in meiner Sprache beantwortet. Der Gesetzestext sei uneindeutig (Was sind geeignte Patienten? Wie bemisst sich die Erfolgsaussicht?), er stelle die Anwendung weiterer, nicht genannter Verteilungsregeln anheim, (z.B. Politiker bekommen immer sofort ein Organ und zwar so lange, bis eines gefunden ist, das selbst in einem Politiker bleiben will), eine Legitimation von Erfolgsaussicht und Dringlichkeit finde nicht statt und zudem vermittle der Gesetzestext den Eindruck, als seien die Kriterien der Dringlichkeit und der Erfolgsaussicht ausschließlich medizinische Kriterien, was sie jedoch dezidiert nicht sind.

Letzteres kann leicht nachvollzogen werden, wenn man sich fragt, wie sich z.B. Erfolgsaussicht bemisst:

  • Als Annahme der transplantierten Organe durch den Körper des Empfängers der Organe?
  • Als Maximimierung des Anteils aller angenommenen transplantierten Organe?
  • Als menschenwürdiges Leben nach der Transplantation? (Was zwangsläufig die Frage aufwirft, was ein menschenwürdiges Leben ist).
  • Als Wahrscheinlichkeit, mindestens 5 Jahre mit dem Organ zu überleben oder als Wahrscheinlichkeit, dass mindestens 90% der Organempfänger mindestens 5 Jahre mit dem transplantierten Organ überleben?
  • Oder muss man am Ende die Kosten für das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem berücksichtigen und fordern, dass die Kosten für die Beitragszahler so gering wie möglich gehalten werden, was letztlich dazu führt, dass nur dann Organe transplantiert werden, wenn die Aussichten einer erfolgreichen Transplantation besonders hoch sind?
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Das sagt nicht nur der Honigmann

Im Gutheitstaumel, der die Organspende umgibt, sind alle die genannten Fragen und noch viel mehr Fragen, die hier nicht genannt wurden, untergegangen bzw. nie gefragt worden. Insofern gebührt Micha Werner Hochachtung, Hochachtung dafür, dass er diese Fragen in die Diskussion beim Deutschen Ethikrat eingebracht hat (wenngleich ich den Eindruck habe, dass die Funktion des Deutschen Ethikrats darin besteht, die Möglichkeit zu schaffen, dass Fragen wie die von Micha Werner gestellt und dann vergessen werden können).

Was die Organspendepraxis in Deutschland angeht, so muss festgestellt werden, dass derzeit viel Geld mit Transplantationen verdient wird, es keinerlei transparente oder gar feste und regelgeleitete Form der Organverteilung gibt, dass alle moralischen und ethischen Fragen, die man an eine Organtransplantation stellen kann, weder gestellt noch beantwortet sind und dass es vor diesem Hintergrund nur eine vernünftige Entscheidung gibt, nämlich seine Organe für sich zu behalten, auch posthum.

liver on boardUnd selbst Micha Werner hat nicht gefragt, ob es eigentlich statthaft ist, Spenderorgane als “vermittlungspflichtige” Sachen zu behandeln, die nach Entnahme zu einer Art Gemeingut in staatlicher Verwaltung geworden sind, mit dem Dritte einen Verdienst erwirtschaften können. Und er hat sich nicht gefragt, ob es nicht moralisch notwendig wäre, Organspendern eine Mitsprache bei der weiteren Verwendung ihrer Organe einzuräumen, eine Art Widmung per Testament: Meine Niere geht nur an Männer über 50, oder: meine Organe dürfen nicht in Personen unter 15 Jahren eingebaut werden oder so. Ganz davon abgesehen, suggeriert der Begriff “Vermittlungspflicht” Menschen seien nach ihrem Tod (im besten Fall) ein Recyclinggegenstand, ein Gegenstand zum Ausschlachten und hätten mit ihrem Tod eine Metamorphose vom Individuum zum Allgemeingut vorgenommen, dessen sich Dritte nach Lust und Laune bedienen können (wie eine leerstehende Sozialwohnung) – eine moderne Form des Kannibalismus gewissermaßen.

Aber bis derartige Fragen in Deutschland diskutiert werden, wird es wohl noch einen Jahrtausendwechsel brauchen.

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