Ein Volk von Triebtätern

Seit einiger Zeit läuft, weitgehend unkommentiert von Mainstream-Medien, eine Posse zwischen der Bundesregierung und den Landesfürsten auf der einen Seite und der EU-Kommission auf der anderen Seite. Gespielt wird um den Einsatz von ein paar Milliarden Euro. Gegenstand des Spiels ist der “Staatsvertrag zum Glücksspiel in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV), der im Wesentlichen dazu da ist, das Monopol der Länder auf Einnahmen aus dem Glückspiel gegen Konkurrenz zu verteidigen.

TotoDer Glücksspielstaatsvertrag ist einerseits eines jener Gesetze, das an Heuchelei nicht zu überbieten ist, z.B. wenn fabuliert wird, dass ein staatliches Monopol auf Toto und Lotto notwendig ist, um “Glücksspiel- und Wettsucht zu verhindern”. Anderseits ist der Glücksspielstaatsvertrag eines jener Gesetze, die nur so vor Paternalismus triefen, und die, wenn man sie liest, ärgerlich machen, ob der anmaßenden Überheblichkeit, mit der “die Bevölkerung” darin behandelt wird.

So heißt es gleich unter §1 “Ziele des Staatsvertrages”:

“Ziele des Staatsvertrages sind gleichrangig:

  1. das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen,
  2. durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubtem Glücksspiel in Schwarzmärkten entgegenzuwirken,
  3. den Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten,
  4. sicherzustellen, dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt, die Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt, die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt werden …”

Ein Mittel im Arsenal des kritischen Denkens ist das Aufspüren von impliziten Prämissen, also von Prämissen, die notwendig sind, um die oben dargestellten Aussagen machen zu können, da sie ohne diese Annahmen keinen Sinn machen. Hier eine kleine Auswahl der impliziten Prämissen:

  1. Absatz:
    • sklGlückspielsucht und Wettsucht sind existente Krankheitsbilder.
    • Ein Staatsvertrag, der die Erlöse aus Glücksspielsteuern auf Länder verteilt, ist geeignet, Glückspielsucht und Wettsucht zu unterbinden.
    • Es ist die Aufgabe der Vertreter des Bundes und der Länder, Glücksspielsucht und Wettsucht zu bekämpfen.
  2. Absatz:
    • Die deutsche Bevölkerung hat einen Spieltrieb, Deutschland ist ein Volk der Zocker.
    • Ohne den Staatsvertrag bricht sich dieser Spieltrieb Bahn und die Deutschen verspielen der Oma ihr klein Häuschen.
    • Deshalb müssen Deutsche generell überwacht werden und von unerlaubtem Glücksspiel auf Schwarzmärkten abgehalten werden.
    • Unerlaubtes Glücksspiel auf Schwarzmärkten ist Glücksspiel, das zwar den Spieltrieb der Bevölkerung bedient, aber an dem die Finanzeminister der Länder nichts verdienen.
    • Staatlich beaufsichtigtes Glücksspiel ist eine Alternative zum staatlich nicht beaufsichtigten Glückspiel.
    • Die Vertreter von Bund und Ländern wissen um den Spieltrieb aus eigener Erfahrung, oder sie gehören nicht zur Bevölkerung.
  3. Absatz:
    • Wer das Häuschen der Oma im staatlichen Lotto verspielt, tut dies auch dann, wenn er minderjährig ist nur unter staatlicher Aufsicht und Kontrolle.
    • Spielbank Baden BadenOrdnungsgemäßes Glücksspielt ist staatlich überwachtes und kontrolliertes Glücksspiel an dem die Finanzminister der Länder verdienen.
    • Wer einen Spieltrieb hat, hat auch einen Kriminalitätstrieb (was Sinn macht, denn die Teilnahme an unerlaubten Glücksspielen auf Schwarzmärkten ist hier Ausdruck des Spieltriebs und gleichzeitig delinquentes Verhalten. Wenn man zwei Dinge als identisch definiert ist es zwangläufig so, dass sie auch miteinander korrelieren.).

Dabei wollen wir es für’s Erste belassen. Wem jetzt noch nicht die Galle hochgekommen ist, ob der unglaublich paternalisierenden Art und Weise, in der Vertreter von Bund und Ländern die triebgeleitete Bevölkerung behandeln, die für die entsprechenden Vertreter scheinbar die Willensstärke von Kleinkindern hat, hier noch ein bischen Terminologie.

Zunächst zum Trieb:

“Trieb (drive) wird in der Psychologie gewöhnlich gebraucht, um die Handlungsmotivation auszudrücken, die wie etwa beim Hunger primäre biologische Voraussetzungen hat” (Zimbardo, 1995: 407).

RentenlottoDer Glücksspiel- und Wetttrieb, der im Glücksspielstaatsvertrag eben einmal der ganzen Bevölkerung untergschoben wird, ist also dem biologischen Bedürfnis nach Essen oder Trinken gleichzusetzen, was notwendig zur Folge hat, dass Mitglieder der deutschen Bevölkerung, die nicht Lotto oder Toto spielen oder nicht wetten, dass der 1. Fc Kaiserslautern auch diese Saison nicht in die Bundesliga aufsteigen wird, irgendwie gestört sind, denn sie lassen ihren Glücksspiel- und Wetttrieb unbedient.

Und nochmals zum Trieb:

“Das Wort ‘drive’ wurde zum erstenmal von Woodworth 1918 zur Beschreibung einer hypothetischen Kraft oder Energie benutzt, von der man gemeinhin angenommen hat, dass sie nicht erlernt und hinsichtlich der Situation, in der sie auftritt, unspezifisch ist, dass sie eine allg. physiol. Grundlage hat und auf keine bestimmte Art des Verhaltens ausgerichtet ist, jedoch das Verhalten von Tieren und Menschen aktiviert (motiviert)” (Bolles, 1994: 2361).

Wenn also die Bevölkerung einen Glücksspiel- und Wetttrieb hat, dann hat die Bevölkerung einen solchen, und er wird sich Bahn brechen. Folglich ist die Nachfrage nach Glücksspielen das, was man in der Ökonomie eine nicht-elastische Nachfrage nennt. Sie ist unabhängig von den Randbedingungen vorhanden, und man kann sie perfekt benutzen, um den Nachfragern überhöhte Preise aufzuzwingen, z.B. im Rahmen staatlicher Glücksspielangebote, deren Ziel darin besteht, die Länderkassen zu füllen, mit zuletzt 3,3 Milliarden Euro jährlich.

Die Klassifikation der mentalen Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation, die ja ansonsten jeden Firlefanz als Krankheit enthält, kennt die Wett- und Glücksspielsucht, von der im Glücksspielstaatsvertrag die Rede ist, nicht. Einzig das pathologische Spielen ist im ICD-10 bekannt:

“Die Störung besteht in häufigem und wiederholtem episodenhaften Glücksspiel, das die Lebensführung des betroffenen Patienten beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt.”

Wuthering HeightsBereits Emile Bronte hat in Wuthering Heights die Folgen beschrieben, die mit Glücksspiel verbunden sind, wobei man sich streiten kann, ob die beschriebenen Folgen (Heathcliffe gewinnt im Spiel den Hof von Hindley Earnshaw) so negativ sind, wie immer behauptet wird. Insbesondere muss man sich fragen, ob die gesellschaftlichen Kosten, die durch eine staatliche Kontrolle und Überwachung angeblich Spielsüchtiger sowie deren Behandlung, Therapie und sonstige Bearbeitung durch die Hilfeindustrie entstehen, geringer sind, als es ein Ausleben der vermeintlichen Spielsucht gewesen wäre.

Der Verdacht, dass der Schutz vor  der angeblichen Glücksspiel- und Wettsucht durch ein staatliches Glücksspielmonopol und wenn der Schutz nicht gelingt, die nachgelagerte Finanzierung von Betreuungs- und Hilfeangeboten für die vermeintlich Spielsüchtigen nur vorgeschoben sind, um Steuereinahmen zu generieren, liegt nahe. Schon die Annahme, dass das Heer von Therpeuten, das als Teil der Bevölkerung doch auch mit einem “natürlichen Spieltrieb” ausgestatt ist, dennoch in der Lage sein soll, anderen und besonders Spieltrieb-Gesteuerten den Spieltrieb auszutreiben, ist ein Widerspruch in sich. Oder wie ist es mit dem Widerspruch, dass Glückspiele angeboten werden, um vor Glücksspielsucht zu schützen?

Wie so oft haben sich staatliche Steuer-Absahner und am Tropf des Staates hängende Hilfeabsahner zusammengeschlossen, um sich willige Opferzu suchen, denen sie dann auf Kosten der Allgemeinheit helfen können.

Da wir in einem Zeitalter der Petitionen leben, wie wäre es mit einer Petition, deren Ziel darin besteht, Politikern ein für alle Mal ihren Paternalismus-Trieb auszutreiben bzw. sie dann, wenn sie ihren entsprechenden Trieb nicht beherrschen können, in die Obhut einer geschlossenen Anstalt zu überführen?

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