Politische Laiendarsteller: Vom Abhören der Abhörer
Politik ist ein Spektakel inszeniert für die Massen. Politiker sind die mehr oder weniger schlechten Schauspieler, die bezahlt werden, um Bürger zu unterhalten. Bürger sind das Publikum, das in Wahlen angehalten ist, die Qualität der vergangenen Darstellung zu bewerten. Wahlen sind demnach Ratings für vergangene politische Aufführungen.
Diese Thesen sollten für all jene attraktiv sein, die denken, soziale Kategorien, soziale Rollen und soziale Normen seien verhandelt oder verhandelbar und nicht in Stein gemeißelt. So hat z.B. Erving Goffman, den Genderisten gerne missbrauchen, um ihre verqueere Weltsicht an die Frau zu bringen, das Leben als Theaterspiel konzipiert, bei dem es darum gehe, eine glaubwürdige Darstellung zu geben, und zwar auf der Vorderbühne, die von allen einsehbar ist.
Das übrigens ist eines der Probleme, das diejenigen, die Privates auf die Vorderbühne zerren wollen, die z.B. ihre Sexualität in aller Öffentlichkeit ausleben und anderen auf die Nase drücken wollen, lösen müssen. Darstellungen auf der Vorderbühne müssen glaubwürdig sein, sonst macht man sich zum Gespött der Leute. Und Darstellungen sind immer dann glaubwürdig, wenn Handlung und Akteur im Einklang stehen und wenn sich der Akteur durch Konsistenz und Authentizität auszeichnet.
Konsistenz und Authentizität, Einklang zwischen Handlung und Akteur, das sind die drei Kriterien, anhand derer entschieden wird, ob eine politische Darstellung gelungen ist oder misslungen ist, ob sie glaubwürdig ist.
Für politische Darsteller und bezogen auf die Vorderbühne der Darstellung heißt dies: Sich nicht widersprechen, jedenfalls nicht in zu großer zeitlicher Nähe (Konsistenz), das, was man anderen als Verhalten auferlegt (z.B. durch Strafgesetze, die delinquentes Verhalten unter Strafe stellen), zumindest auf der Vorderbühne einhalten. Sich nach Möglichkeit nicht dabei erwischen lassen, das eine zu predigen und das andere zu tun, also nach Möglichkeit nicht andere dahingehend kontrollieren, ob sie sich aufrichtig und korrekt verhalten und in der Freizeit Nacktbildchen von Jungen auf den Dienstcomputer spielen. Und, am schwierigsten überhaupt, seine politische Rolle so gestalten, dass das Publikum den Eindruck hat, man sei so, spiele sich selbst und nicht jemanden, den man anderen vorgaukelt, damit sie ihn wählen.
Politische Darstellungen sind immer dann einfach, wenn man Emotionen auf der eigenen Seite hat, sich z.B. auf einem Strom der Entrüstung treiben lassen kann, so wie dies im Hinblick auf das Ausspähen deutscher Politiker durch die US-amerikanische NSA der Fall war. Eine solche Darstellung ist einfach. Die deutsche Vorstellung davon, was unter Freunden geht und was nicht, ist rein und ohne Misstrauen. Es ist gerade die deutsche Definition von Freund, dass man ihm alles erzählen, sich ihm öffen kann, ihn zu einem Mitwisser der tiefsten innersten Geheimnisse machen kann, die tief in der eigenen Psyche vergraben sind, dass man ihn, mit anderen Worten, missbrauchen kann.
Dass ein Freund das, was man ihm anvertraut, weiterzählen könnte oder gar Dinge, die man ihm erzählt nicht glaubt, ihnen misstraut und sich lieber unabhängige Belege für Behauptungen einholt, das ist in der deutschen Konzeption von Freund, der man auf Biegen und Brechen zu sein hat, nicht vorgesehen, ebenso wenig wie Kritik, denn wer kritisiert, der ist kein Freund.
Diese Idealisierung eines reinen romantischen Urzustands, den es in der Realität nicht gibt, die aber dennoch der Konzeption von “Freund” bei vielen unterliegt, ist ein mächtiges Mittel, wenn man es gegen die USA in die Waagschale werfen kann, jene finstere Macht, die den deutschen Freund verraten hat. Es ist somit kein Wunder, dass die Vokabel des “Freundes” eine der am häufigsten im Zusammenhang mit den Ausspähungen durch die NSA gebrauchten ist. Die politische Darstellung, die entsprechend von der politischen Laienspielschar gegeben wurde, war die des enttäuschten und verratenen Freundes, der trotz seiner Bürgschaft im Regen stehen gelassen und dem Scharfrichter übergeben wurde.
Dumm nur, wenn sich herausstellt, dass nicht ein Freund den anderen verraten hat, sondern beide Freunde sich so sehr misstrauen, dass sie sich gegenseitig ausspähen. Nun wird die politische Darstellung zu einem Problem. Nun ist eine Performance gefragt, die zwischen Heuchelei und Lüge balanciert und dabei versucht, glaubwürdig zu sein.
Nehmen wir z.B. die “möglichen BND-Aktivitäten” im Land des zentralen NATO-Freundes Türkei. Die hält der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses”, Wolfgang Bosbach, für “verständlich”, sicherlich, so spekuliert er, gebe es “gute Gründe”, dafür. “Gute Gründe” machen mit Sicherheit auch die US-Amerikaner für ihr Ausspähen deutscher Politiker geltend. Immerhin werden Ressourcen aufgewendet, um auszuspähen, und das macht man in der Regel nur, wenn man sich einen Nutzen verspricht. Gute Gründe als Ausnahmeregel für den vermeintlichen Verrat unter Freunden, funktionieren entsprechend in beide Richtungen und können nicht, wie Bosbach dies vorhat, differenziell, einmal angewendet und einmal nicht angewendet werden.
Jürgen Trittin, immer gut, wenn es darum geht, ein Haar zu spalten, weiß besseres. Er kennt einen Unterschied zwischen dem deutschen Ausspähen US-amerikanischer Politiker und dem US-amerikanischen Ausspähen deutscher Politiker: “Was Kerry und Clinton betreffe”, so berichtet die ARD mit Bezug auf Trittin im Original, “sei ein zufälliges Mithören von Ministertelefonaten wiederum etwas anderes als das systematische Ausspähen des Parteihandys von Bundeskanzlerin Angela Merkel”.
Die Trittinsche moralische Oberhoheit basiert also auf zwei Variablen: Versehen (Zufall) und Systematik (kein Zufall). Versehen ist, dass der BND US-amerikanische Telefongespräche abhört, denn unter Freunden tut man so etwas ja nicht. Systematik ist es, wenn die NSA das Handy von Frau Merkel abhört.
Authentizität, Konsistenz und Widerspruchsfreiheit waren die drei Kriterien, die eine gelungene Darstellung ausmachen. Sie alle sind notwendig, um das Oberziel der Darstellung, die Glaubwürdigkeit zu erreichen. Man wird Trittin schwerlich Authentizität absprechen können. Wann immer man denkt, es gibt keine Möglichkeit, etwas noch Abstruseres vorzutragen, findet Trittin eine ebensolche und insofern ist er auch dieses Mal konsistent mit sich selbst.
Die Widerspruchsfreiheit ist entsprechend der Knackpunkt seiner Darstellung, die erreichen will, dass die Mitglieder des Auditoriums denken, was Trittin sagt, sei wahr. Also jongliert Trittin mit einem versehentlichen Abhören und einem systematischen. Sprachlich mag es gelingen, den Widerspruch aufzulösen. Deutsche sind oft nur allzu willig, eigene Fehlleistungen als Versehen oder Fehler oder ungewollt abzutun, so als würde dies etwas an der Tatsache der Fehlleistung ändern. Hier wirkt offensichtlich der katholische Beichtstuhl in den öffentlichen Diskurs. Aber wie hat man sich ein versehentliches Abhören von Handys vorzustellen?
Ein Gedankenexperiment:
Alles ein Versehen…
Jürgen T. ist beim BND dafür zuständig, Telefongespräche von Freunden, die man abhört, weil es “sicherlich gute Gründe” dafür gibt, abzuhören. T. tuned durch die Frequenzen und kommt zufällig bei Clinton und Kerry an, die zufällig gerade ein Telefongespräch auf zufällig gerade der Frequenz führen, die T. zufällig abhört. Wie es der Zufall so will, drückt T. durch Zufall und versehentlich die Maustaste, die den Mitschnitt des zufällig abgehörten Gesprächs zur Folge hat. Eine Aneinanderreihung von Zufällen, die uns Jürgen Trittin aufschwatzen will, dessen Nachnamen zufällig auch mit T. beginnt.
Ab wie vielen Zufällen wird eine Darstellung für ein deutsches Auditorium systematisch? Wie absurd muss eine politische Darstellung sein, damit ein deutsches Auditorium anfängt, zu buhen? Wie groß kann der Unsinn sein, den deutsche politische Laiendarsteller in Pose gießen, ehe sie vor leeren Rängen gastieren müssen, weil sie niemand mehr ertragen kann, ihnen niemand mehr zuhört?
Wir wissen die Antworten auf diese Fragen nicht. Die Leidensfähigkeit des deutschen Publikums, das nicht nur die Darstellungen politischer Schauspieler regelmäßig über sich ergehen lässt, sondern in Wahlen dieselben Schauspieler für ein weiteres Gastspiel engagiert, scheint keine Grenze zu kennen.
Bleibt abschließend noch auf etwas hinzuweisen: Ein Geheimdienst, wie der BND ist dazu da, Informationen zusammenzutragen, die BND- und vielleicht auch staatsdienlich sind. Entsprechend wird der BND, werden seine Mitarbeiter viele und “sicherlich gute Gründe” finden, um Mitbürger, Bürger befreundeter, weniger befreundeter und spinnefeindlicher Länder auszuspähen. Das ist die Aufgabe des BND, und die innerinstitutionelle Logik des BND wird dazu führen, dass diese Aufgabe so differenziert und aufgefächert wird, wie es notwendig ist, um den eigenen Etat zu rechtfertigen. Wer dennoch glauben will, dass die Mitarbeiter des BND, wahre Freundschaft praktizieren, dem ist nicht mehr zu helfen.
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