Bundespolitik-Bestätigungs-Forschung

Wenn Sie am letzten Spieltag der Fussball Bundesliga Adam Nemec dabei beobachtet haben, wie er den Ausgleich für den 1. FC Kaiserslautern im Spiel gegen Hannover 96 erzielt hat, dann waren Sie Zeuge einer gelungen Darstellung “zivilgesellschaftlicher Beteiligung”. Gerade Personen mit Migrationshintergrund wie Adam Nemec zeigen in diesen Situationen, wie groß der “Kompetenzgewinn durch Beteiligungserfahrung” ist und heben damit die “weitreichende Bedeutung der Partizipation” hervor. Gerade bei Heranwachsenden wie Adam Nemec macht dies deutlich wie sehr “zivilgesellschaftliche Beteiligung” zur “Identitätsfindung” beitragen kann.

Zivilgesellschaftliche Beteiligung?

Nein, falsch. Ich habe einen Fehler gemacht. Derartige positive Effekte ergeben sich nicht für Nemec. Nemec wird bezahlt. Eine Bedingung dafür, die beschriebenen positiven Effekte auch ernten zu können, ist aber, dass die Tätigkeit freiwillig und “nicht auf das Erzielen eines persönlichen materiellen Gewinns gerichtet” ist. Ok. Wenn Sie schon einmal Moritz Suer dabei beobachtet haben, wie er ein Tor für die A-Jugend des VFL Hainfeld erzielt hat, dann waren Sie Zeuge einer gelungenen Darstellung “zivilgesellschaftlicher Beteiligung”. Gerade Heranwachsende wie Moritz Suer belegen immer wieder die “weitreichende Bedeutung der Partizipation” und machen durch ihr Engagement deutlich, wie sehr “zivilgesellschaftliche Beteiligung” zur “Identitätsfindung” beitragen kann.

Dieser Bombast, der aus einem Torschützen einen Darsteller zivilgesellschaftlicher Beteiligung macht, ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern ein Extrakt aus einem bemerkenswert schlechten Beitrag, den Martina Gille, Johann de Rijke und Wolfgang Gaiser, allesamt Mitarbeiter des Deutschen Jugendinstituts in München, in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft platzieren konnten. Überschrieben ist der Beitrag mit “Zivilgesellschaftliche Beteiligung in der Altersspanne von 13 bis 32 Jahren – Entwicklung, Bedingungsfaktoren, Kontexte”. Die Altersspanne von 13 bis 32 ist nicht etwa willkürlich gewählt, nein, sie beschreibt die Jugendphase, die nach Ansicht der Autoren mit 13 Jahren beginnt und mit 32 Jahren endet. Mit ihrem Beitrag verfolgen die Autoren zwei Ziele: Zum einen wollen Sie Legitimation für staatliche Projekte wie den Bundesfreiwilligendienst schaffen. Zum anderen wollen Sie der wissenschaftlichen Fachöffentlichkeit zeigen, dass man allen Unkenrufen zum Trotz beim DJI doch mit Datensätzen umgehen kann. Ich will mich in diesem Blog nur mit dem ersten Ziel beschäftigen (äußerte ich mich zum zweiten, ich müsste einen neuen Blog anbauen. Aber eines muss ich doch loswerden: Liebe DJI-Datenhuber: Man rechnet keine logistische Regression weil man eine dichotome abhängige Variable hat. Es gibt u.a. inhaltliche Gründe für die Schätzung von Wahrscheinlichkeiten durch logistische Regressionen.).

Das Bundesministerium für FSFJ ist heftig dabei, seinen Bundesfreiwilligendienst zu bewerben: “Freiwilliges Engagement lohnt sich”, so liest man auf der Homepage des BMFSFJ, “[a]ls Freiwillige oder Freiwilliger sammeln Sie wertvolle Lebenserfahrung. Als Einsatzstelle profitieren Sie von engagierter Unterstützung, die Ihrer Arbeit zusätzliche Inspiration verleiht.” Und in fast identischer Formulierung, finden sich die Vorteile der nunmehr als “zivilgesellschaftliches Engagement” bezeichneten Tätigkeiten, bei den DJI-Followern des BMFSFJ: “Kompetenzgewinn durch Beteiligung” (552) spiele eine zentrale Rolle (leider verraten die Autoren nicht wobei), Partizipation habe eine weitreichende Bedeutung (552) (leider sagen die Autoren nicht wofür) und “gerade für Heranwachsende” eröffne  “das Freiwilligenengagement Gelegenheitsstrukturen für die Identitätsfindung und den Erwerb von Lebenskompetenzen” (552). Warum dies so sein sollte, wissen die Autoren offensichtlich auch nicht, und verweisen statt dessen und zum Beleg auf Veröffentlichungen des BMFSFJ und was in Veröffentlichungen des BMFSFJ steht, ist ja bekanntlich richtig – oder würde jemand daran zweifeln?

Aber, unsere drei DJI-Adepten adaptieren nicht nur, was das BMFSFJ schreibt, sie haben auch Daten, Daten, deren Erhebung das BMFSF finanziert hat, und im Gegenzug zur Finanzierung wird nun ideologischer Beistand durch das DJI erwartet. Dumm ist nur, wenn die Daten nicht taugen, um den ideologischen Bombast, der gerade beschrieben wurde, zu stützen. So können die drei Autoren nur zeigen, dass die Mitgliedschaft in Sportverein und in deutlich geringerem Ausmaß auch im Gesangverein, für Jungen wahrscheinlicher ist als für Mädchen, für Jüngere wahrscheinlicher als für Ältere , für Abiturienten wahrscheinlicher als für Hauptschüler, für Westdeutsche wahrscheinlicher als für Ostdeutsche, für Deutsche wahrscheinlicher als für Migranten, für regelmäßige Kirchgänger wahrscheinlicher als für Kirchgangverweigerer und für politisch Interessierte wahrscheinlicher als für politische Desinteressierte. Das ist mehr als banal und nichts davon ist nicht bereits in unzähligen Vorgängerstudien gezeigt worden. Das Problem dieser Art von Datenhuberei oder, vornehmer ausgedrückt, von Variablensoziologie besteht nun darin, dass man sich regelmäßig fragt, was es bringt, wenn man weiß, dass unter den Fussballspielern eine höhere Wahrscheinlichkeit gegeben ist, einen politisch Interessierten zu finden als unter denjenigen, die das Kicken von Bällen in Öffentlichtkeit verweigern. Gille, de Rijke und Gaiser können diese Frage auch nicht beantworten. Schlimmer noch, sie können nicht einmal etwas zum Kompetenzgewinn durch zivilgesellschaftliche Beteiligung beitragen, geschweige denn etwas zur weitreichenden Bedeutung von Partizipation. Wie also die Hyänen im BMFSFJ befriedigen, die die Befragung von 25.000 Personen nicht finanziert haben, um tiefgründige Einsichten über Fussballer und Vereinssänger zu erhalten?

Wie immer, wenn es darum geht, einen ideologischen Ausweg aus einer unhaltbaren Situation zu finden, steht die Variable Geschlecht bereit, um missbraucht zu werden. So auch durch Gille, de Rijke und Gaiser, die aus den oben berichteten Ergebnissen über die Wahrscheinlichkeit, Mitglied in Sport- und/oder Gesangverein zu sein, die Beachteiligung, nein den relativen (?) Ausschluss von “Mädchen und jungen Frauen” entnehmen. Dieses Ergebnis wird die BMFSFJler freuen und mit Sicherheit dazu führen, dass auch die nächste Welle der DJI-Befragung durch das BMFSFJ finanziert wird. Daran wird auch die Tatsache nichts ändern, dass die drei Autoren unvorsichtiger Weise auf Seite 556 verraten haben, dass die Nicht-Mitgliedschaft in Vereinen durch “nicht wollen” erklärt werden kann. Aber, wo die Ideologie der Benachteiligung ihr Haupt erhebt, ist kein Platz für derartig individuelle Erwägungen. Deutscher Schwulst will es, dass Glück nur in Gemeinschaft zu finden ist, und weil dem so ist, gibt es kein nicht Wollen im Hinblick auf Gemeinschaft. Natürlich will jeder und wenn dann doch eine unterschiedliche Wahrscheinlichkeit der Mitgliedschaft in Fussball- oder Gesangsvereinen besteht, dann ist das Ausschluss und dem muss entgegen gewirkt werden.

Ich muss sagen, nach dem Lesen dieses Beitrags bin ich der Meinung, zu viel Gemeinschaft ist nicht gut. Mir scheint, die enge Beziehung zwischen DJI und BMFSFJ den Horizont  der DJI-Mitarbeiter doch erheblich einzuengen, und das kommunitaristische Glucken im eigenen “Geistessaft” wirkt sich äußerst negativ auf wissenschaftliche Unabhängigkeit und Lauterkeit aus. Aber immerhin hilft es dem BMFSFJ weiterhin die eigene Ideologie mit Nachdruck und ohne Selbstzweifel zu verbreiten. Schließlich wäre zu klären, ob die Zeitschrift für Erziehungswissenschaft mittlerweile in finanzielle Abhängigkeit vom BMFSFJ geraten ist. Eine andere Erklärung für den Abdruck dieses “Beitrags” fällt mir nämlich nicht ein.

P.S. Falls jemand eine Idee hat, was die Tatsache, dass Peter Bauer im Verein am Reck turnt, mit zivilrechtlicher Beteiligung zu tun hat, auch wenn das mit dem Kopf-nach-unten-Hängen sicher mit einem Perspektivenwechsel verbunden ist, dann bitte ich denjenigen, mir doch auf die Sprünge zu helfen.

Gille, Martina, de Rijke, Johann & Gaiser, Wolfgang (2011). Zivilgesellschaftliche Beteiligung in der Altersspanne von 13 und 32 Jahren – Entwicklung, Bedingungsfaktoren, Kontexte. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 14: 551-579.

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