Unsinn der Woche: Die “WIE”

Bürgerschaftliches Engagement war schon mehrfach Thema auf diesem Blog. Nicht jedoch vom bürgerschaftlichen Engagement des Blogbetreibers will ich heute schreiben, auch nicht vom staatlich verordneten freiwilligen bürgerschaftlichen Engagement, wie es das BMFSFJ vorsieht, sondern von einer Stilblüte, die mir schon vor einiger Zeit aufgefallen ist. Der im  Folgenden berichtete Unsinn, musste jedoch zurücktreten, da der Unsinn der “Aktion Unwort des Jahres” größere Aktualität reklamieren konnte. Nunmehr will ich mich aber der “WIE” widmen.

Die “WIE” ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie dem BMFSFJ besonders zu Willen sind, die Musterschülerinnen des Ministeriums, wenn man so will,  die, wie Staatssekretär Josef Hecken unlängst verkündet hat, “das bürgerschaftliche Engagement” stärken.

Nun denn:

“WIE” steht für “Wirtschaft. Initiative. Engagement.” – auch nicht viel sinnstiftender als das Akronym.  “WIE” hat ein eigenes Selbstverständnis: “Bürgerschaftliches Engagement ist eine Schlüsselressource für eine sozial integrierte Gesellschaft und für eine vitale Demokratie”, heißt es darin unter anderem. Ich will mich nicht weiter damit aufhalten, dass  nicht klar ist, worin bürgerschaftliches Engagement eigentlich besteht, warum es eine Schlüsselressource für eine sozial integrierte Gesellschaft ist, was eine sozial integrierte Gesellschaft überhaupt ist, nehmen wir das einfach hin als “management talk”. Weniger hinnehmbar sind allerdings die nunmehr folgenden inhaltsleeren Satzhülsen: So “fokussiert” die “WIE” nach eigenem Selbstverständnis (ob die “WIE” wirklich versteht, was jetzt kommt?) auf Themenfelder (nicht Themen, nein Themenfelder), die eine Nähe zu den Kernkompetenzen der beteiligten Unternehmen aufweisen, so dass Unternehmen echten gesellschaftlichen Mehrwert schaffen …”.

Kernkompetenz (core competency) ist ein Begriff, den Jay Barney (1991)  in den von ihm massgeblich beeinflussten resource-based view eingeführt hat. Kernkompetenzen sind das, was Unternehmen voneinander unterscheiden, ihnen einen Vorteil im Wettbewerb miteinander verschaffen soll. Nun sollen die Kernkompetenzen der “WIE” aber dem bürgerschaftlichen Engagement zu Gute kommen, von dem wir nicht wissen und von dem uns die WIE auch nicht sagt, worin es besteht, und wozu es nützlich ist. Dies ist kaum ein Bereich, in dem man sich Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen verschaffen kann – bestenfalls Ruhe vor regulationswütigen Ministerien. Entsprechend stellt sich die Frage, wie der Einsatz der unternehmerischen Kernkompetenzen im bürgerschaftlichen Engagement aussehen soll.

Ich zitiere: “Die Mitglieder der WIE” haben u.a. das Ziel:

  • “die transsektorale Zusammenarbeit aller Akteure zu verbessern und strategisch auszurichten;
  • Grundsätze gesellschaftlicher Verantwortung im Unternehmen zu stärken durch die Vernetzung mit Entscheidungsträgern aus Politik und Zivilgesellschaft, den Austausch von Experten und das Peer-Learning unter den Mitgliedsunternehmen”;

Alles klar?

Originaltitel des Bildes: "Nach der Unterzeichnung der Erklaerung zur Zusammenarbeit: VertreterInnen der WIE mit Staatssekretär Josef Hecken"

Mir auch nicht. Aber das ist angesichts der Aneinanderreihung von leeren Absichtsbekundungen, die von adjektivschwangeren Nominalkonstruktionen eingerahmt werden, auch nicht weiter verwunderlich. Dennoch will ich einen Deutungsversuch vornehmen. Die transsektionale Zusammenarbeit, die auf den oben genannten Kernkompetenzen beruht, besteht vermutlich darin, dass Arbeitnehmer der Beiersdorf AG, einem Mitglied der WIE, Arbeitnehmer der Coca Cola GmbH (ein weiteres Mitglied) im richtigen Gebrauch von Nivea Creme beraten und im Gegenzug eine Cola (diet) ausgegeben bekommen. Während die Arbeitnehmer der BMW AG (noch ein Mitglied der WIE) gemeinsam mit Arbeitnehmern der BP Europa SE (auch ein Mitglied der WIE) beraten, wie man den Absatz von Benzin durch die Nutzung von BMW Z4 Roadster maximieren kann. Damit sind auch gleichzeitig Aspekte des Peer-Learning angesprochen, und um die Vernetzung mit Entscheidungsträgern aus Politik und Zivilgesellschaft herzustellen, verspricht die Coca Cola GmbH als Catering-Unternehmen bei den Pressekonferenzen des BMFSFJ aufzutreten, BMW und BP bestücken die Funktionäre von GEW und IGM mit fahrbaren Untersätzen und dem dazu notwendigen Benzin, natürlich unentgeltlich weil im Rahmen des bürgerschaftlichen Engagements, und Beiersdorf denkt gemeinsam mit dem Bunderverteidigungsministerium über die Produktion von agent orange nach.

Früher hat man das Vetternwirtschaft (oder Nepotismus) genannt. Warum das heute “bürgerschaftliches Engagement” heißt, darüber kann ich nur spekulieren. So eignet sich der Begriff “bürgerschaftliches Engagement” zu zweierlei, einerseits ermöglicht er es den Unternehmen, ihre “Kernkompetenzen” auf neuem Feld umsatzfördernd einzusetzen, andererseits erhalten die vielfältigen Nutzenverflechtungen zwischen Politik, Zivilgesellschaft (also Funktionäre unterschiedlichster Provenienz) und Wirtschaft eine bürgerschaftlich altruistische Note.

Bildnachweis: WIE

Barney, Jay (1991). Firm Resources and Sustained Competitive Advantage. Journal of Management 17(1): 99-120.

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