Wem nutzt Anonymität?
Der Nutzen der Anonymität war im Zusammenhang mit dem Offenen Brief, den Arne Hoffmann und ich an Jimmy Wales, den Gründer der Wikipedia geschrieben haben, in vielen Diskussionen Gegenstand der Auseinandersetzung. Letztlich ist Anonymität jedoch kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck, und entsprechend muss sich Anonymität am Ergebnis, das durch Anonymität produziert wird, messen lassen. Und dieses Ergebnis, so will ich hier darlegen, spricht eindeutig gegen eine Anonymität – zumindest eine Anonymität von Wikipedia-Autoren.
Das Folgende ist ein Auszug aus dem ganz alltäglichen Editier-Krieg auf Wikipedia. Ich habe den Auszug zufällig gewählt. Es wäre problemlos möglich andere, noch heftigere Schlachten darzustellen, den Kreis der Beteiligten auszuweiten usw., aber für die Zwecke des vorliegenden Beitrags reicht das Teilstück als Beispiel dafür, was auf den Seiten der Wikipedia vorgeht und mit welchen “Anstandsformen” sich die Kontrahenten gegenübertreten.
Kann nur empfehlen, die arbeit auch zu lesen – bei Hoffmann kam da einiges interessantes raus. Hier wäre das auch angebracht. Bei Sanfran ist das odeur etwas abgestanden, ich kenn das verhalten sonst nur von Konfliktsocken. Polentario Ruf! Mich! An! 23:08, 22. Jul. 2012 (CEST)
SanFran versucht eine einizige Studie – die von Rosenbrock – als Mehrfachquelle darzustellen. Klassische Verleumdung bzw Aufblähung eines Solospielers zu einem mehrstimmigen Chor. Deswegen die änderung. Bastein sollte noch gesetzt werdenPolentario Ruf! Mich! An! 23:14, 22. Jul. 2012 (CEST)
Lern ersteinma, was “Verleumdung” ist, Gold..oops, ich meine Polentario, und dann lerne, wie man Artikel schreibt. Dass du in der Studie von Risenbrock eine gaanz böse “Stasiquelle” siehst und unbedingt entfernen möchtest, ist inzwischen aller klar. Aber bitte entferne keine Belege. –SanFran Farmer (Diskussion) 23:17, 22. Jul. 2012 (CEST)
“Konfliksocken”, “Verleumdung”, ja, ja, Polentario. Hast du etwas zu deinen Bearbeitungen zu sagen? –SanFran Farmer (Diskussion) 23:26, 22. Jul. 2012 (CEST)
Wie auf der VM schion azsgeführt: Rosenbrok habe ich dutzendfach im Artikel Hoffmann eingebaut, Gesterkamp halte ich für nur bedingt zitierfähig, SanFran Farmer für verzichtbar. Polentario Ruf! Mich! An! 07:28, 23. Jul. 2012 (CEST)
“Konfliktsocken”, “halte ich …. SanFran Farmer für verzichtbar” – was soll dieser PA-Stil, Polentario, den du nach der Diskussion zum Arne-Hoffmann-Artikel hier fortführst? Dein Feldzug gegen Rosenbrock ist schon bedenklich. Schließlich hat er sich mit manndat, Arne Hoffmann und Co. beschäftigt. Die Dankbarkeit drückte sich in massenhaften Hetz-Kampagnen incl. verächtlicht-Machen und Gewaltandrohungen in den einschlägigen Blogs und Foren, in denen Michael Klein und Arne Hoffmann auch verkehren, gegen ihn aus. Daran kannst du lernen, was der Unterschied zwischen einer reputablen Quelle und Verleumdung ist.–Finn (Diskussion) 13:48, 23. Jul. 2012 (CEST)
Wie ist diese unanständige und aggressive Form der Auseinandersetzung zu erklären? Wie kommt es zu dieser Vielzahl der logischen Fehlschlüsse, ad hominems, unbelegten Behauptungen und persönlichen Nickligkeiten? Ich will an dieser Stelle ein paar Forschungsergebnisse zusammentragen, die einen kleinen Einblick in die Psyche mancher Wikipedia-Nutzer geben und einen Beitrag zur Beantwortung der Frage liefern, warum bei Wikipedia so viel Zeit für die Bearbeitung persönlicher Animositäten und so wenig Zeit für die Arbeit an Beiträgen bleibt.
Der erste Einblick in den Streit-Moloch “deutschsprachige Wikipedia” entstammt einem Vortrag, den Dr. Thomas Roessing von der Universität Mainz im Jahre 2011 auf einer Konferenz der International Association for the Development of the Information Society (IADIS) in Rom gehalten hat. In seinem Vortrag analyisert Thomas Roessing Vandalismus und Editier-Kriege in der Wikipedia. Dabei beschreibt er Editier-Kriege als regelmäßig vorkommende, ideologische Auseinandersetzungen, bei denen die jeweiligen Kontrahenten mit “instrumental editing” arbeiten, also damit, Quellen zusammen zu suchen, die die eigene ideologische Position unterstützen bzw. die ideologische Position der Kontrahenten unterminieren. Diese Praxis der willkürlichen Quellenauswahl, die Arne Hoffmann und ich in unserem Offenen Brief angesprochen und auf das Fehlen eindeutiger Kriterien darüber, was eine verlässliche, reliable oder brauchbare Quelle auszeichnet, wie man sie erkennt, zurückgeführt haben, ist nach Ansicht von Thomas Roessing eine Ursache dafür das heftige Konflikte “regularly escalate to intense argument and sometimes members of the community loose their temper” (Roessing, 2011).
Eine weitere Ursache dafür, dass Editier-Kriege ausbrechen, hat Roessing auf Basis einer empirischen Analyse, in die 500 Vandalismusmeldungen (darunter 69 Editier-Kriege) eingegangen sind, die innerhalb von 10 Tagen und im November 2009 auf Wikipedia-Deutschland erfolgt sind, identifizieren können. Die Ursache ist schnell benannt: Die Administratoren, die eigentlich dafür da sind, Editier-Kriege zu unterbinden bzw. angesichts eines Editier-Krieges eine Entscheidung für die eine oder andere der Konfliktparteien zu treffen, machen ihre Arbeit nicht: “Administrators play a key role in Wikipedia’s system for conflict resolution. They do their work properly in simple and undisputed cases but tend to leave a discussion alone when it comes to heavy conflicts among users”. Und: “Of the 69 cases that were archived without a decision by an administrator or another resolution, 14 were consensual discussions, 9 somewhat disputed and 46 heavily disputed discussions. It is plausible that administrators fear to anger other users by deciding a disputed argument and thus refrain from doing so” (Roessing, 2009).
Eine weitere, neben der von Roessing angesprochenen Ursache für die “Arbeitsverweigerung” der Administratoren ist besteht wohl darin, dass Administratoren durch das Fehlen der bereits angesprochenen Kriterien nicht wissen, wie sie entscheiden sollen bzw. keine Basis haben, auf die sie ihre Entscheidung für alle nachvollziehbar stützen können. Das System “Wikipedia” ist eine Zeitbombe, denn die nicht gelösten Konflikte gehen ja nicht weg, vielmehr steht zu vermuten – und die Tatsache, dass die Konfliktherde immer von den selben Autoren ausgehen, spricht dafür – das Konflikte, die in einem Bereich nicht gelöst wurden, in den nächsten Bereich getragen werden.
Neben dem Fehlen eindeutiger und verlässlicher Kriterien, die die Arbeit bei Wikipedia strukturieren, ist die Anonymität der Autoren eine weitere Ursache für Umgangston, schwelende Konflikte und die zuweilen vergiftete Atmosphäre. Dass dem so ist, zeigt eine Studie aus Süd-Korea. Im Jahre 2007 hat die Süd-Koreanische Regierung Kommentatoren in Diskussionsforen mit mehr als 300.000 Besuchern pro Tag dazu verpflichtet, sich zu registieren und einen Identitätsnachweis zu führen. Im Jahre 2009 wurde die entsprechende Regelung auf Diskussionsforen mit mehr als 100.000 Besuchern pro Tag ausgedehnt. Wenn man die sprichwörtliche asiatische Freundlichkeit in Rechnung stellt, dann ist das Ergebnis dieser Untersuchung, die Daegon Cho durchgeführt hat, selbstredend: Die Anzahl der Beiträge in den Diskussionsforen ist nach kurzem Rückgang nach Einführung des Gesetzes wieder gestiegen, dagegen ist der Umgangston (noch) freundlicher geworden: Beleidigungen und ungezügelte verbale Einlassungen gingen deutlich zurück. Zieht man den Freundlichkeitsbonus, den man Asiaten gewähren muss, ab und transferiert dieses Ergebnis nach Deutschland, dann kann man sich ungefähr vorstellen, wie grundlegend eine Verpflichtung, sich als Wikipedia-Autor unter seinem richtigen Namen zu registrieren, sich auf den Umgangston, die Anzahl der Editier-Kriege und – letztlich – auf die Qualität der Wikipedia-Beiträge auswirken würde.
Die namentliche Registrierung der Wikipedia-Autoren hätte einen weiteren Effekt: Die politische Einflussnahme durch Parteien, Organisationen, Stiftungen und Verbände würde erkennbar. Ich habe auf diesem blog schon vom Sozialdemokratischen Pressekonzern Deutschland berichtet. Die Versuche der Heinrich-Böll-Stiftung, die öffentliche Meinung durch angebliche “Expertisen” zu beeinflussen, waren auch schon Gegenstand auf diesem blog. Wer vor diesem Hintergrund denkt, poltische Parteien, Stiftungen, Verbände, Interessenvertretungen welcher Art auch immer, würden davor zurückschrecken, bezahlte Autoren in die Wikipedia einzuschleusen, um vor Ort Meinungsbildung zu betreiben, ist aus meiner Sicht grenzenlos naiv.
Bleibt abschließend noch die Frage zu klären, was an Anonymität insgesamt so schön ist. Warum will ein Autor in Wikipedia nicht namentlich für sein Werk einstehen? Warum will er nicht stolz auf seine namentlichen Beiträge verweisen? Diese Fragen können mit Reicher, Spears und Postmes (1995) beantwortet werden, die davon ausgehen, dass von Anonymität eine Verstärkung der eigenen sozialen Identität ausgeht. Deutlich formuliert: Wer sich als Individuum zu einsam in der Welt fühlt, wird durch seine Zuordnung zu einer Gruppe sicherer und zieht aus der Zuordnung Status (jedenfalls in seiner Einbildung). Ein Autor, der zwar nicht namentlich, dafür aber als Vertreter von XY bekannt ist, erzielt in seinen eigenen Augen somit einen Zugewinn an Wichtigkeit. Dass dieser Zugewinn an Wichtigkeit sowohl positive als auch negative Effekte zeitigen kann, haben Robert Johnson und Leslie Downing bereits 1979 gezeigt als sie eine Reihe weiblicher Studenten zur Hälfte in die Montur des Ku Klux Klan, zur Hälfte in die Arbeitskleidung einer Krankenschwester gesteckt haben. Die “Krankenschwestern” waren, vor allem dann, wenn sie anonym blieben, also kein Namensschild tragen mussten, in aller Regel bereit, einen Stromstoß, den sie einem unbekannten Delinquenten verpassen sollten, in seiner Stärke zu reduzieren, während die anonymen Ku Klux Klanler bereit waren, die Stärke der Stromstöße zu erhöhen. Anders formuliert: Die Frage, wozu Anomymität genutzt wird, ist eine Frage der sozialen Zuordnung: Wer sich einer “netten” oder “höflichen” Gruppe zuordnet, wird sich in der Anonymität nett und höflich verhalten, wer sich einer aggressiven und ideologischen Gruppe zuordnet und noch dazu die Last der Unfehlbarkeit mit sich trägt, wird sich entsprechend verhalten und wie es Cohen 1996 festgestellt hat, und die Anonymität dazu nutzen, Andersdenkende mit Hass, Beleidigung, Drohungen und Verächtlichmackung zu verfolgen.
Die Frage, welcher Gruppe sich bestimmte Wikipedia-Autoren zuordnen, kann vor diesem Hintergrund und am konkreten Beispiel von jedem Leser selbst beantwortet werden. Die Erfahrung zeigt hier, dass diejenigen, die sich aggressiven und ideologischen Gruppen zuordnen, zu viele sind, als dass eine Anonymität der Autorenschaft weiterhin aufrecht erhalten werden könnte. Abgesehen davon, will ein mit einer personalen Identität ausgestatteter Autor unter normalen Umständen namentlich bekannt sein und nicht hinter einem “Gemeinschaftswerk” stehen, d.h. eine Pflicht zur Offenlegung der Identität für Wikipedia-Autoren würde als positiver Anreiz zur Mitabreit auf all diejenigen wirken, die sich nicht vorstellen können, ihr Wissen einem anonymenEditier-Mob vorzuwerfen.
Literatur
Cho, Daegon (2012). Real Name Verification Law on the Internet: A Poison or Cure for Privacy? University of Pittsburgh: School of Information Systems and Management.
Cohen, Julie .E. (1996). The Right to Read Anonymously: A Closer Look at ‘Copyright Management in Cyberspace. Connecticut Law Review 28(981).
Johnson, Robert & Downing, Leslie (1979). Deindividuation and Valance of Cues: Effects on Prosocial and Antisocial Behavior. Journal of Persoanlity and Social Psychology 37(9): 1532-1538.
Reicher, Stephen D., Spears, Russel & Postmes, Tom (1995). A Social Identity Model of Deindividuation Phenomena. European Review of Social Psychology 6(1): 161-198.
Roessing, Thoma (2011). Vandalism and Conflict Resolution in Wikipedia. An Empirical Analysis on How a Large-scale Web-based Community Deals with Breaches of the Online Peace. Paper for the IADIS International Conference “Web-based Communities and Social Media 2011”.
Bildnachweis:
Roger Freberg
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In dem Artikel geht es weder um Anonymität, noch enthält er eine schlüssige Kritik an der Wikipedia. Der Artikel problematisiert Pseudonymität und schreibt die Fehlentwicklungen aufgrund der Pseudonymität in der Wikipedia fälschlich einer Anonymität zu, die es jedoch tatsächlich in der Wikipedia nicht gibt. Gegen Anonymität wurde kein Argument gebracht. Im Gegenteil, meine Argumente, dass in Anonymität sich niemand Autorität anmaßen kann, gelten weiterhin. (siehe: http://sciencefiles.org/2012/07/29/feindliche-ideologische-ubernahme-deutsche-wikipedia-droht-im-desaster-zu-enden/#comment-2626 und http://zhenles.wordpress.com/2012/07/30/warum-eine-klarnamenpflicht-im-wissenschaftlichen-diskurs-keine-gute-idee-ist/)
In Anonymität wären Psychologisierungen der Diskutanten und Ad-Hominem-Angriffe absolut unmöglich. Es könnten sich auch die so schädlichen „Experten“ nicht etablieren und Administratoren, die Konflikte per Autorität zugunsten ihrer eigenen ideologischen Neigung entscheiden und entsprechend zensieren und sperren, gehörten auch der Vergangenheit an. Personen und Persönliches wären endlich völlig außen vor, was sehr zu begrüßen wäre, weil Persönliches im wissenschaftlichen Diskurs zur Sache nichts verloren hat, bloß ablenkt und hinderlich ist. Darauf, dass Anonymität auch im professionellen Wissenschaftsbetrieb absolut üblich und notwendig ist (Peerreview), habe ich bereits hingewiesen. In der Wikipedia wird permanent Peerreview betrieben. Autorität ist kein magisches Instrument, das irgendwie Wissen generieren oder Korrektheit sicherstellen würde. (Der entsprechende Denkfehler heißt Argumentum ad Verecundiam: http://www.fallacyfiles.org/authorit.html) Jede These muss sich der Prüfung durch andere stellen. Dafür ist es gleichgültig, wer eine These äußert.
Damit ist die Frage, „was an Anonymität insgesamt so schön ist“, bereits beantwortet. Was an einer Klarnamenpflicht so schön ist, habe ich bisher noch nicht erfahren. Ein massiver Anstieg der Selbstzensur ist zu erwarten. Die beträchtliche Anzahl an Artikeln und Bearbeitungen, die jetzt von anonymen Benutzern beigetragen werden, fiele dann weg. Aus gutem Grund ist die Meinungsfreiheit nicht von einer Identifikation abhängig gemacht. (Wobei das für Deutschland nicht ganz stimmt. Über das Presserecht der Länder und ein Sondergesetz fürs Internet wurde die Meinungsfreiheit ausgehebelt. Wer etwas publiziert oder eine Website „in Deutschland“ betreibt, darf das nur, wenn er nicht anonym ist.) Der Anteil der Ideologen wird steigen, weil die ja erwiesenermaßen unter ihrem Namen (Rosenbrock, Kemper usw.) publizieren, wie z.B. ihr jüngstes Buch über Maskulismus. Es waren oft die von Autoritäten unterdrückten Gedanken, die nur im Schutz der Anonymität verbreitet werden konnten. Diese Gedanken hätten also auch in der Wikipedia wieder eine Chance gegen die Ideologen.
Eine Klarnamenpflicht ist außerdem ein schwerwiegendes Problem für die Privatsphäre. Wenn schon der Abruf einer Wikipediaseite aus vielen Gründen anonym (nicht mit der eigenen IP-Adresse) erfolgen sollte (etwa weil niemand erfahren soll, über welche politischen Ideen man sich informiert oder welche Krankheiten einen interessieren), dann sollte das Editieren, das für jeden in der Versionsgeschichte einsehbar ist, erst recht anonym erfolgen. Womit sich jemand befasst, was er liest, was er wann schreibt, geht die Weltöffentlichkeit alles nichts an, es sei denn jemand will diese Daten über sich öffentlich machen.
Ich halte eine Unterscheidung zwischen Schwarz und Dunkelschwarz für unsinnig und entsprechend sehe ich nicht den Nutzen einer Unterscheidung zwischen Anonymität und Pseudonymität…
Warum soll niemand erfahren, wenn ich mich für liberale Ideen engagiere? Was ist so gefährlich daran, wenn man seine Meinung öffentlich macht? Sind die meisten Wikipedia-Autoren und möchte-gern Autoren Feiglinge und Duckmäuser oder einfach nur bigott? Im Übrigen: wenn die Angst derart groß ist, dass andere sich für einem interessieren, dann lässt man das sich-Äußern in öffentlichen Medien wie der Wikipedia am besten ganz sein. Niemand wird ja gezwungen, zu “sich” zu stehen. Übrigens finde ich die Selbstüberschätzung, die die Prämisse des zitierten Absatzes ausmacht, grandios. Wie schlimm muss es für manche sein, wenn sie merken, nachdem Ihr anonymes Pseudonym gelüftet wurde, dass niemand, aber auch wirklich gar niemand sich für sie interessiert.
Ich bin nicht überzeugt, dass Anonymität tatsächlich ein grundlegendes Problem der Wikipedia darstellt und das dies schlüssig gezeigt wurde. Roessings Untersuchung zeigt, dass die Administratoren zu lasch sind, um entscheidend einzugreifen und nennt dies als Hauptursache für Editierkriege. Das Beispiel aus den Koreanischen Studien scheint mir hingegen etwas weit hergeholt. Erstens geht es dort um Foren, was m.E. eine andere Form der Kommunikation darstellt, als die eines Wikis und zweitens scheinen dort staatliche Institutionen tatsächlich eine Klarnamenpflicht durchsetzen zu können, was bei der Wikipedia aufgrund ihrer Organisationsstruktur schon deutlich schwerer sein dürfte. Wer sollte bei der Wikipedia die Echtheit von Namen prüfen und speichern dürfen?
Zudem gibt es auch immer noch gute Gründe, warum Anonymität wünschenswert bzw. möglich sein sollte. Es gibt durchaus plausible Gründe für Autoren ihren Namen nicht preiszugeben, die von denen, die in der letzten Studie (Reicher e.a) angegeben wurden, abweichen. Man mag an Ausländer denken, die über ihr Heimatland schreiben und dafür durchaus mit Verfolgung rechnen könnten oder auch an reale (Macht-, Arbeits-) Verhältnisse, die Nachteile für denjenigen bedeuten könnten, wenn ihr Name mit Artikeln in Verbindung gebracht wird.
Mein Schluss ist der, dass die Wikipedia inhärente Vor- und Nachteile hat. Über beide muss man bei ihrer Nutzung Bescheid wissen und verstehen, wie Wikipedia gefüllt wird (1). Wer ahnungslos glaubt, zu Gesundheitsthemen (Naturheilkunde) oder politischen Themen hochqualititative Artikel zu lesen bekommt, der kann in die Irre gehen. Ein Blick in die Änderungsgeschichte oder auf die “Beobachtungskandidaten” (2) kann dem Nutzer jedoch einen Ansatz geben zu erkennen, dass da ein strittiges Thema vorliegt. Bei anderen Artikeln, die sich um randständige Themen drehen, die nur wenige Autoren interessieren, hilft das natürlich nicht. Da würde aber auch eine Klarnamenpflicht nicht helfen.
(1) http://www.heise.de/newsticker/meldung/Wer-schreibt-Wikipedia-159628.html
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Beobachtungskandidaten
Eine Klarnamenpflicht wird zunehmend von interessierter Seite gefordert. Wer dieser Forderung nachgibt, kann auch gleich den Informantenschutz aufgeben und Whistleblower kriminalisieren.
Anonymes Posten ist die Minimalanforderung an eine freie Informationsgesellschaft. Oder anders herum: Eine Klarnamenpflicht ist die Basis einer totalitären Überwachungsgesellschaft.
Ein harmloses Beispiel:
Ich habe einen Artikel verfasst, in dem ich die Auffassung vertrete, dass Zeit als physikalisches Element nicht existent ist.
http://wahrgesagt.de/gerhard-baumann/was-ist-zeit
Ich hatte kein Problem, meine Meinung unter meinem realen Namen kundzutun. Selbst meine Adresse ist publik, da es meine Website ist.
Könnte ein Wissenschaftler ebenso frei diese Meinung veröffentlichen? Sicher nicht – es sei denn, es wäre seine Absicht, sich mit dem Establishment anzulegen. Einem Physikstudenten würde ich nicht empfehlen, solche ‘ketzerischen’ Gedanken unter seinem realen Namen zu verbreiten, wenn er im Wissenschaftsbetrieb etwas werden will.
–
Eine Lösung für die Wikipedia-Probleme wäre eine Klarnamenpflicht ohnehin nicht. Als Beispiel wieder meine Meinung zum Thema ‘Zeit in der Physik’:
Ich bin wirklich fest davon überzeugt, dass Zeit nicht existiert. Meine Überzeugung könnte ich vehement in die deutsche und englischsprachige Wikipedia einbringen und einen Kampf gegen das Dogma Zeit starten – natürlich unter meinem realen Namen. Eine Pflicht zur Verwendung des Klarnamens würde mich nicht davon abhalten, Wiki-Autoren mit traditionellen Ansichten in den Wahnsinn zu treiben.
Tu ich natürlich nicht. Wikipedia ist eine Enzyklopädie – für alternative Ansichten gibt es geeignetere Sites. Ich bestehe nicht darauf, mit meiner abweichenden Meinung im Wiki präsent zu sein.
–
Michael Klein schrub:
“Warum soll niemand erfahren, wenn ich mich für liberale Ideen engagiere? Was ist so gefährlich daran, wenn man seine Meinung öffentlich macht?”
Seine Meinung öffentlich zu machen, ist niemals ein Problem, solange diese system-kompatibel sind. Fährt man damit jedoch den Herrschenden an die Karre (und damit meine ich nicht die Polit-Marionetten), kann es für den Einzelnen zum Problem werden. In einem totalitären System sind liberale Ideen generell problematisch.
–
Was wäre eine Lösung für Wikipedia-Problem?
User-Management!
Ein Website-Betreiber bestimmt die Spielregeln – und wer sich nicht daran hält, wird gesperrt bzw. Beiträge werden gelöscht.
Wikipedia ist sehr offen. Sollte das wirklich zum Problem werden, dann müssen die Spielregeln eben verschärft werden. Wichtig ist dabei, dass die Spielregeln ALLEN bewusst werden. Auch die reinen Leser sollen wissen, in welchem Ausmaß abweichende Ansichten veröffentlicht werden.
–
Einen Autoren für eine Website zu sperren, ist kein Problem. Alle Autoren für das gesamte Internet identifizierbar zu machen, ist ein Problem.
Gruß vom Gerhard
Hallo Herr Baumann,
vielen Dank für Ihren Kommentar, von dem ich nicht weiß ob er mich fröstelt oder bestätigt. Zunächst: Niemand fordert eine Aufhebung der Anonymität im Internet. Aber es macht einen Unterschied ob irgendjemand in einem Forum unter Pseudonym etwas posted, was kaum jemand zu lesen bekommt, oder ob jemand als “Mitarbeiter” in einer selbsterklärten Online-Enzyklopädie postet, die als Informationsquelle für das gesamte Internet dienen will. Für Autoren von Wikipedia, zumindest Wikipedia Deutschland muss eine Klarnahmenpflicht bestehen, denn sie tragen eine Verantwortung für den von ihnen erstellen Inhalt und wem man Verantwortung trägt, dann ist das eine öffentliche, keine geheime/anonyme Sache.
Ihre sonstigen Aussagen darüber, welche Konsequenzen z.B. einen Wissenschaftler erwarten, der seine Meinung “preis gibt”, macht mich schaudern. Ich lebe zugegebener Maßen seit rund 6 Jahren in England und somit in einer civic society, in der niemand ein Problem damit hat, für seine Meinung öffentlich und mit Namen einzustehen, weil er sich, wie abstrus seine Meinung auch sein mag, sicher sein kann, dass sie respektiert wird. Und so kommt es, dass in einem Vortrag von Nick Pope, in dem es um die britischen x-files geht, also die von der Britischen Regierung über Jahrzehnte untersuchten Ufo-Sightings, dass jemand in der Diskussion aufsteht, seinen Namen sagt und dann erzählt, dass die Erde von Raumschiffen umgeben ist, in denen Engel sitzen, die uns vor feindlichen Alien beschützen. Derartige Aussagen führen zwar dazu, dass manche Anwesende ein Grinsen nicht unterdrücken können, aber der Diskutant hat deswegen keine Konsequenzen zu fürchten, er wird weder gemieden noch in die Klapse eingwiesen. Und, ganz wichtig: Er hat überhaupt keine Angst seine abwegigen Theorien vorzutragen. In Deutschland, so schreiben sie, haben Akademiker Angst, zu ihrer Meinung zu stehen und deshalb benötigen sie die Anonymität des Internets. Ist der Totalitarismus so weit fortgeschritten? Kommt die Gesinnungspolizei dann vorbei und holt den entsprechenden “Meiner” ab? Oder sind die Konsequenzen eingebildet, um die eigene Feigheit zu bedecken, um darüber hinweg zu kommen, dass man sich für ganz wichtig hält, aber nicht den Mut hat, die eigene Wichtigkeit anderen mitzuteilen, was natürlich auch den Vorteil hat, dass man nicht merkt, dass man eigentlich ganz unwichtig ist…