Entschuldigung, dass ich für meinen Lebensunterhalt selbst sorge

Im letzten post habe ich die Frage gestellt, warum “Ökonomisierung” so schlecht ist. In diesem post muss ich die Frage stellen, ob man sich schon dafür entschuldigen muss, dass man seinen Lebensunterhalt selbst verdient. Der Hintergrund dieser Frage ist ein Beitrag in der neuen Zeitschrift für Soziologie, der den folgenden Titel trägt:

Väter mit Elterngeldbezug: Nichts als ökonomisches Kalkül?

Diese Überschrift ist aus mehreren Gründen interessant, Gründe, die man mit ein wenig Sprach-Logik schnell als “implizite Prämissen” offenlegen kann. Offensichtlich geht es im Text von Heike Trappe um Väter, die vom Angebot des BMFSFJ, sich für ihre Fortpflanzungsaktivitäten für mindestens zwei Monate aushalten zu lassen, Gebrauch machen, um auf diese Weise den Bezug von Elterngeld auf sein Maximum von 14 Monaten strecken zu können. 14 Monate Elterngeld können nur umgesetzt werden, wenn beide Partner sich an der Elternauszeit beteiligen. Da es im Rahmen des Elterngeldes “explizit um die Einbeziehung von Väter in die Betreuung ihrer Kinder” geht, wird hier ein finanzieller Anreiz (zwei Monate mehr Elterngeld) gesetzt, um Väter für die Kindererziehung zu “begeistern”.

Altruism half offAber das ist nicht genug. Väter sollen sich nicht aus ökonomischen Gründen um ihre Kinder kümmern, um zwei Monate mehr Elterngeld zu beziehen, sondern weil sie “gute” Väter sind, die ungeachtet von Elterngeld und Einkommen, sich in den Dienst am Nachwuchs stellen, ohne Rücksicht auf (finanzielle) Verluste. Nur so ist das “Nichts als ökonomisches Kalkül” zu interpretieren. Mehr noch: “ökonomisches Kalkül” ist, so lernt man bereits in der Überschrift zu einem vermeintlich wissenschaftlichen Beitrag, schlecht. Man macht gute Dinge nicht aus ökonomischem Kalkül! Der Notarzt, der um 3 Uhr nachts den Betrunkenen verarztet, der gerade aus dem Schrotthaufen, der einmal sein Auto war, geborgen wurde, tut dies natürlich nicht, weil er Nachtzulage und ein entsprechenden Gehalt erhält, nicht aus ökonomischem Kalkül, sondern weil er sich nichts Schöneres und Genugtuenderes vorstellen kann als mitten in der Nacht Betrunkene, die nur noch ein Haufen aus Blut, Fleisch und Knochen sind, zu flicken. Und Heike Trapp schreibt Beiträge über Väter und deren Elterngeldbezug nicht aus Kalkül, weil sie z.B. denkt, die Veröffentlichung in der Zeitschrift für Soziologie mache sich gut in ihrer Vita und erhöhe ihre Berufschancen, sondern weil sie der Menschheit zu Diensten sein und ihr ihre Erkenntnisse über Väter und deren Elterngeldbezug unbedingt mitteilen will.

Die Erkenntnisse, die aus rein altruistischen Motiven an die Leser der Zeitschrift für Soziologie, die die Zeitschrift nicht kaufen, sondern einen Obolus dafür entrichten, dass sie am gemeinsamen Projekt der Verbreitung von Wissen der Menschheit beteiligt sind, so wie die Verleger der Zeitschrift für Soziologie kein ökonomisches Kalkül mit dem Preis der Zeitschrift verbinden, sondern den “Käufern” die Gelegenheit geben, durch Entrichten des Kaufpreises etwas Gutes zu tun, diese Erkenntnisse könnten eindeutiger gar nicht ausfallen:

  1. (c) rubbish press
    (c) rubbish press

    Insgesamt stellten im Jahr 2008 34% der Elternpaare einen Partnerantrag, um 14 anstelle von 12 Monaten in den Genuß von Steuergeldern für die Beaufsichtigung ihres Nachwuchses zu gelangen. Anders formuliert: In 66% der Fälle haben sich die vermutlich mehrheitlich Väter nicht zum Windelnwechsel erweichen lassen und ihrer Karriere den Vorzug gegeben. 66% hoffnungslose Fälle, was den wahren nicht ökonomisch motivierten Opfer-Vater, der seine Zukunft für sein Neugeborenes gibt, angeht.

  2. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese 34% Väter sich zu mindestens zwei Monaten Elternzeit durchringen konnten, war besonders hoch, wenn
    1. die Väter älter als 34 Jahre alt waren (warum auch nicht),
    2. die Väter und die Mütter beide Abitur oder Studium hinter sich hatten (vermeintlich Intellektuelle sind für Ideologien der Gutheit scheinbar anfälliger oder empfinden einen höheren Anpassungsdruck an staatliche Vorgaben dessen, was gut und richtig ist),
    3. die Mütter ein höheres Einkommen haben als die Väter und umgekehrt weniger wahrscheinlich, wenn die Väter ein höheres Einkommen haben als die Mütter (die Kinderliebe geht also nicht soweit, dass auf Einkommen verzichtet wird),
    4. die Mütter erwerbstätig “sind”, während die Väter arbeitslos sind;
  3. Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer mehr als zwei Monate Elterngeld beziehen, ist dann besonders hoch, wenn:
    1. Elterngeldbereits mehr als zwei Kinder vorhanden sind (das nennen Ökonomen einen Agglomerationseffekt, man kann auch von einem “dedicated investment” sprechen),
    2. die Väter mindestens ein Jahr jünger sind als die Mütter (das beschreibt das Elend der Variablensoziologie, denn wofür dieser Altersunterschied steht, ist mir sowenig klar wie der Autorin des Textes),
    3. die Väter weniger als 1000 Euro monatliches Einkommen haben und die Mütter mehr als 2000 Euro monatliches Einkommen.
  4. In jedem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein ostdeutscher Vater Elterngeld bezieht, höher als die Wahrscheinlichkeit, dass ein Westdeutscher Vater Elterngeld bezieht

Diese Ergebnisse basieren auf Daten der Umfrage “Junge Familien 2008”, die das RWI Essen im Auftrag des BMFSFJ durchgeführt hat. Wie viele Personen im Rahmen dieser bundesweit durchgeführten Umfrage befragt wurden, weiß die Autorin offensichtlich nicht, aber sie weiß, dass die Umfrage “repräsentativ” ist (34), und das ist doch auch schon was. Ein Blick in die Tabellen lässt vermuten, dass der Datensatz aus 1865 Befragten oder jungen Familien, wer auch immer Angaben gemacht hat, besteht. Ergänzt wird dieser Datensatz durch Daten der Elterngeldstellen der Länder Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, die Informationen zu allen in den Jahren 2007 bis 2009 geborenen Kindern enthalten, für die kein oder ein Antrag auf Elterngeld gestellt wurde. Wieder aus den Tabellen kann man ableiten, dass es sich dabei um 9523 Einzeldaten handelt.

Die zusammengetragenen Ergebnisse sind mehr als eindeutig: Elterngeld beziehen Väter genau dann, wenn sie finanziell schlechter dastehen als Mütter, arbeitslos sind oder “nicht erwerbstätig” (was auch immer sich hinter dieser Kategorie verbergen mag, von der Ausbildung bis zur Rente). Mit anderen Worten: Wenn sich Väter entschließen, Elterngeld zu beziehen, dann steht dahinter nicht die Freude am Nachwuchs und der Wunsch, Windeln zu wickeln, so gerne manche Autoren und Politiker dies auch hätten, sondern ein ökonomisches Kalkül. Ich für meinen Teil finde das überhaupt nicht verwerflich. Im Gegenteil: ich finde das rational und halte jeden, der aus Gründen der Anpassung oder aus Rücksicht auf eine soziale Rolle, die versucht wird, ihm überzustülpen, bereit ist, einen finanziellen Verlust zu ertragen, für nicht ganz gescheit.

state femimism bookAber wir bewegen uns in den ideologischen Gefilden des Staatsfeminismus. Elterngeld ist ein zentraler Bestandteil der Neue Mann Bewegung, der Umerziehung vom angeblichen Macho zum tatsächlichen, dürren Schlaffi mit hoher Stirn, Designerbrille und Radfahrkostüm, und deshalb ist es verwerflich, wenn sich Väter wegen Geld und nicht aus Huldigung für die Fürchte ihrer Zeugungsfähigkeit zum Windelnwickeln entscheiden. Folglich wird mehr erwartet, und es ist ja auch nicht zu viel verlangt, wenn Männer auf ihre Karriere verzichten und Einkommenseinbußen hinnehmen, um sich um das Wichtigste, was die deutsche Welt derzeit kennt, zu kümmern: Ihre Kinder! Zudem dient das beschriebene Opfer der Reinigung: ökonomische Kalküle, rationale Entscheidungen, alles, was nicht vor Emotion und Affekt trieft und am Ende zu einem effizienten Ergebnis führt, ist männlich konnotiert und entsprechend genau das, was es zu überwinden gilt.

Also Männer: Wenn Ihr Euch als Neue Männer qualifizieren wollt, dann verzichtet auf Arbeit und Lohn, hört auf, Kalküle anzustellen und opfert Euer Leben der nachwachsenden Generation, denn der Zweck eines Mannes besteht für den Staatsfeminismus in der Fortpflanzung, alles weitere kann der nächsten Generation überlassen werden.

Und was hat das Ganze damit zu tun, ob man seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaftet? Nun, wer finanziell unabhängig ist, muss sich nicht zum Wasserträger der Ideologien machen, die ihm sein Staat aufgibt. Entsprechend hat er die Freiheit, Vorgaben abzulehnen, zu entscheiden, was er machen will und was nicht. Etwas Vorgegebenes abzulehnen, wird im Staatsfeminismus als typisches Macho-Gehabe diskreditiert. Es ist männlich konnotiert und noch dazu hegemonial und von daher im Staatsfeminismus nicht vorgesehen. Damit wird klar, dass der Staatsfeminismus nicht Männer, sondern Freiheit bekämpft. Er versucht, freie Individuen in staatliche Abhängigkeit zu bringen und Verhaltensweisen, die ihm nicht genehm sind, durch deren Konnotation mit männlichen Verhaltensweisen zu verunmöglichen, denn ein Heer von Transferbeziehern, die am Tropf des Staatsfeminismus hängen, ist leichter zu beherrschen als ein Heer von Individuen, die ein Leben auf eigene Rechnung führen.

P.S.

Mein Dank gilt Dr. habil. Heike Diefenbach, die regelmäßig dafür sorgt, dass die Klarheit der Argumentation nicht durch Ärgereinsprengsel leidet (außer da, wo der Ärger mit ihr selbst durchgeht…).

Trappe, Heike (2013). Väter mit Elterngeldbezug: Nichts als ökonomisches Kalkül? Zeitschrift für Soziologie 42(1): 28-51.


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