Von Werten, Wertigkeit und Logik

einige klärende Bemerkungen zur Diskussion anlässlich des ScienceFiles-Textes “Menschen sind nicht gleichwertig!”

Im Text “Menschen sind nicht gleichwertig!” haben wir aus einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag berichtet, in dem verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung u.a. von “Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen” gefordert werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Bündnis 90/Die Grünen für sich in Anspruch nehmen, Verfechter der These zu sein, nach der Menschen gleichwertig sind.

B90GDabei bleibt völlig unklar, was die These von der Gleichwertigkeit von Menschen genau bedeuten soll: Mit Bezug worauf werden von Bündnis 90/Die Grünen Menschen für gleichwertig erklärt? Von wem, für wen und in welchen Kontexten wird Gleichwertigkeit bestimmt, und vor allem: mit welcher Begründung und welcher Legitimation wird von einigen Menschen die pauschale, unspezifizierte These von der Gleichwertigkeit von Menschen aufgestellt? Und wie ist es möglich, dass das ausgerechnet solche Menschen tun, deren gesamter Text – d.h. der oben erwähnte Antrag – von Unterstellungen gegen andere, abfällige Bezeichnungen von anderen und Diskreditierungen von anderen Menschen nur so strotzt?

Man muss vermuten, dass die Verfasser des Antrages, die die Gleichwertigkeit von Menschen postulieren, diese Gleichwertigkeit auch gleich wieder bestreiten, denn die Rede ist u.a. von “populistischen Kräften”, die “lautstark” “in unserem [!] Land” “rassistische, völkische, homophobe und sexistische Deutungsmuster” “bedienen” (S. 2 im Antrag). Explizit wird z.B. die Bürgerbewegung PEGIDA als ein “klare[s] Warnsignal[…]” dafür bezeichnet, dass sich “die rechte Szene mobilisiert” (S. 4 im Antrag), obwohl empirische Forschung über die PEGIDA längst gezeigt hat, dass es sich bei ihr um Bürger mit ganz verschiedenen Anliegen handelt, die sich bei PEGIDA sammeln, um ihrer Unzufriedenheit mit dem derzeit herrschenden System in Deutschland kundzutun. Soviel Lautstärke ist für Bündnis 90/Die Grünen in einer Demokratie nicht erträglich, und deshalb wollen sie von der Bundesregierung Drohungen gegen die Bevölkerung ausgesprochen sehen wie die folgende: “Auch braucht es ein konsequentes Vorgehen gegen jede Form von Fraternisierung, Kumpanei, Durchstecherei zu Gunsten von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten durch einzelne Beschäftigte in Sicherheitsbehörden” (S. 4 im Antrag).

U.a. um die Bigotterie, die diesen Antrag kennzeichnet, auf den Punkt zu bringen, haben wir unserem Text die Überschrift gegeben: “Menschen sind nicht gleichwertig!” – mit Sicherheit gilt dies nämlich in den Augen von Bündnis 90/Die Grünen, deren Antrag in jedem einzelnen Absatz genau die “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit” – die Autoren mögen diesen Ausdruck sehr; er findet sich in dem sechsseitigen Antrag dreimal auf S. 2, einmal auf S. 3 und einmal auf S. 5 – propagiert und Hassrede gegen bestimmte Gruppen der Bevölkerung führt, die sie angeblich stärker bekämpft sehen wollen.

So viel zu unserem Text, der in Reaktion auf die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen dokumentierte Bigotterie verfasst wurde.

Unser Text hat erfreulich viele Kommentatoren gefunden. Zwei oder drei von ihnen haben in ihren Kommentaren mitgeteilt, dass es ihnen unangenehm sei, Menschen mit Wertigkeiten zu verbinden, und im Anschluss hieran hat sich ein Kommentaraustausch zwischen ihnen und nicht nur, aber hauptsächlich, uns ergeben, der wie wir meinen, als solcher recht aufschlussreich war – zumindest für uns selbst.

Aufschlussreich fanden wir vor allem, dass zwei Kommentatoren – vermutlich unabhängig voneinander, aber hierüber können wir nicht sicher sein – darauf hingewiesen haben, dass sie von “Wert” oder “Wertigkeit” mit Bezug auf Menschen nicht sprechen wollten, weil diese Begriffe ökonomisch konnotiert seien und Menschen “zur Ware” machten. Einer dieser Kommentatoren hat berichtet, dass in seinem “soziokulturellen Umfeld” diese Begriffe sogar “verpönt” seien, und dass sie “allgemein” so aufgefasst würden wie von ihm, d.h. als ökonomisch konnotierte Begriffe. Er hat weiter behauptet, dass der Duden seine bemerkenswert enge Interpretation des Begriffes “teile”.

Weil dies eine für uns überaus überraschende (wenn auch für die Argumentation nicht weiter relevante) Behauptung war, nehmen wir sie zum Anlass zur Klärung

  1. der Frage, was nach dem Duden “Wertigkeit” und “Wert” bedeuten sollen, und
  2. der Frage, ob es logisch möglich ist, sich der These von Bündnis 90/Die Grünen

von der Gleichwertigkeit der Menschen anzuschließen, wenn man die Begriffe “Werte” und “Wertigkeit” als ökonomisch konnotierte Begriffe ablehnt.

Vorweg sollten wir vielleicht erklären, warum uns die oben berichteten Behauptungen überrascht haben:

Wir sind selbst deutsche Muttersprachler, haben mehrere Jahrzehnte in Deutschland verbracht. Wir wissen daher, dass es vollkommen üblich ist, davon zu sprechen, dass einem etwas oder jemand “etwas wert” ist, ohne dass der Sprecher plant, dieses oder diese Person in die Sklaverei zu verkaufen o.ä. Wir wissen auch, dass Leute gewöhnlich Vorstellungen wie die von Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Empathie etc. als ihre Werte bezeichnen, der Begriff “Wert” also meist gerade nicht im ökonomischen Sinn gebraucht wird.

Wir sind außerdem Teil des öffentlichen gesellschaftspolitischen Diskurses und Sozialwissenschaftler, für die die Rede vom Wertewandel und materiellen und nicht- oder immateriellen Werten eine Selbstverständlichkeit ist. Die Vorstellung, nach der die Begriffe “Werte” und “Wertigkeit” “verpönt” sein sollen, weil sie ökonomisch konnotiert sein sollen, war für uns deshalb ein Novum und so bizarr, dass wir uns diese Vorstellung nur dadurch erklären können, dass es irgendwo Ewig-Gestrige gibt, die meinen, durch ein von ihnen kreiertes Neusprech Menschen bestimmte Sprachgewohnheiten aufoktroyieren zu können, in der vergeblichen Hoffnung, dass damit bestimmte Gedanken oder Bewertungen verschwinden mögen. Wir sagen “Ewig-Gestrige”, weil das eine Vorstellung ist, auf die vor langer Zeit, z.B. im kommunistischen China recht drastische, aber (auch dort) offensichtlich vergebliche Versuche der Gehirnwäsche aufgebaut wurden, und wir sagen “vergebliche” Hoffnung, weil die Sapir-Whorf-Hypothese, nach der die Struktur einer Sprache einen großen Einfluss auf die Denkart und das Verhalten von Menschen haben, die diese Sprache sprechen, in dieser simplen Form so oft falsifiziert worden ist, dass wir kaum glauben können, dass es noch irgendjemanden gibt, der Neusprech für eine Möglichkeit hält, Menschen zu manipulieren!

Wir haben uns also gefragt, woher eine so skurrile Vorstellung wie die, nach der die Begriffe “Wert” und “Wertigkeit” ökonomisch konnotiert seien, kommen kann. Die einzig plausiblen Kandidaten für solche Clownerien sind für uns besonders unaufgeklärte, aber auch besonders extremistische Zirkel, in denen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gepflegt wird, wobei die verhassten Gruppen Liberale, Ökonomen, Demokraten und der so genannte Konsumbürger schlechthin sein dürften – eigentlich alle Leute außer ihnen selbst.

Wir können und wollen uns nicht weiter mit diesen Zirkeln und ihren Clownerien befassen, aber wir wollen zu ihrer und nicht nur ihrer Aufklärung die beiden oben genannten Fragen beantworten.

Die Antwort auf die erste Frage lautet wie folgt:

Im Online-Duden ist nachzulesen, dass die Begriffe “Wert” und “Wertigkeit” das Folgende bedeuten sollen:

Wert, der
Wortart: Substantiv, maskulin
Häufigkeit: ▮▮▮▮
RECHTSCHREIBUNG
Worttrennung: Wert
Beispiele: auf etwas Wert legen; von Wert sein

BEDEUTUNGSÜBERSICHT

  1. einer Sache innewohnende Qualität, aufgrund deren sie in einem gewissen Maße begehrenswert ist [und sich verkaufen, vermarkten lässt]
  2. (marxistisch) in einer Ware vergegenständlichte, als Tauschwert erscheinende gesellschaftliche Arbeit, deren Maß die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist
    • zu einem Satz gehörende Briefmarke mit einem bestimmten aufgedruckten Wert
    • in Zahlen oder Zeichen ausgedrücktes Ergebnis einer Messung, Untersuchung o. Ä.; Zahlenwert
    • positive Bedeutung, die jemandem, einer Sache zukommt
    • Dinge, Gegenstände von großem Wert, die zum persönlichen oder allgemeinen Besitz gehören
    • Kurzform für: Wertpapier

Wer­tig­keit, die

Wortart: Substantiv, feminin
Häufigkeit: ▮▮▯▯▯
RECHTSCHREIBUNG
Worttrennung: Wer|tig|keit

BEDEUTUNGSÜBERSICHT

  1. (Chemie) Verhältnis der Mengen, in denen sich ein chemisches Element mit einem anderen zu einer Verbindung umsetzt; Valenz
  2. (Sprachwissenschaft) Valenz
  3. [höherer] Wert

Damit ist für jeden nachlesbar die Behauptung des Kommentators, nach dem im Duden stehe, dass diese Begriffe ökonomisch (und nicht bzw. nicht überwiegend anders) konnotiert seien, falsch.

Nun zur zweiten Frage:

Ist es logisch möglich, sich der These von Bündnis 90/Die Grünen von der Gleichwertigkeit der Menschen anzuschließen, wenn man die Begriffe “Werte” und “Wertigkeit” als ökonomisch konnotierte Begriffe ablehnt?

Die Antwort lautet eindeutig “nein”, und zwar deshalb:

Logik f dummiesWenn man die Begriffe “Werte” und “Wertigkeit” als ökonomisch konnotierte Begriffe ablehnt, dann lehnt man eben ihre Verwendung ab. Und wenn man das tut, dann macht es keinerlei Unterschied, ob jemand von Gleichwertigkeit oder Ungleichwertigkeit spricht, denn in jedem Fall legt er nach Auffassung derer, die die Begriffe “Werte” und “Wertigkeit” als ökonomisch konnotierte Begriffe ablehnen, eben diese Begriffe und damit die – unterstellte – ökonomische Sichtweise auf den Menschen zugrunde.

Deshalb muss jemand, der die Begriffe “Werte” und “Wertigkeit” als ökonomisch konnotierte Begriffe mit Bezug auf Menschen ablehnt, die These von Bündnis 90/Die Grünen von der Gleichwertigkeit von Menschen ablehnen. Und da wir das auch tun, stimmen wir in der Ablehnung dieser These überein (wenn wir dies auch aus gänzlich unterschiedlichen Gründen tun).

Die erwähnten Kommentatoren scheinen sich hierüber nicht klar gewesen zu sein, und wir haben unsererseits versäumt, das in unseren eigenen Kommentaren explizit klarzustellen. Um weitere Verwirrungen im Umgang mit den Begriffen “Werte” und “Wertigkeit” und deren Implikationen zu verhindern, haben wir uns entschlossen, dies hier nachzuholen.

Für diejenigen, die das nicht verstehen oder daran interessiert sind, ihren Kindern oder Schülern Logik beizubringen, mag die folgende Analogie hilfreich sein:

  • Person A lehnt es ab, dass Menschen Kuchen essen und an andere verteilen, weil er damit die Zufuhr von Zucker und leeren Kohlehydraten befördert.
    1. Person B verteilt an vier Personen vier gleich große Stücke Kuchen.
    2. Person C verteilt an vier Personen vier ungleich große Stücke Kuchen.
    3. Person D verteilt nur an eine von vier Personen ein Stück Kuchen unbekannter Größe.

Preisfrage: Mit welchen der Personen B, C oder D stimmt Person A überein?

Richtig – mit keiner dieser Personen, eben weil Person A das Essen und Verteilen von Kuchen ablehnt. Für jemanden, der dies tut, ist die relevante Frage, ob jemand Kuchen ißt/verteilt oder nicht. Es ist für ihn aber eine völlig irrelevante Frage, wer wie viel an wen und zu welchen Teilen verteilt – es sei denn, er wäre selbst bigott und meinte nicht, was er sagt.

Vor diesem Hintergrund können wir nur hoffen, dass die Kommentatoren, die uns haben wissen lassen, dass sie die Begriffe “Werte” und “Wertigkeit” mit Bezug auf Menschen ablehnen, weil sie ökonomisch konnotiert seien, dies auch Bündnis90/Die Grünen wissen lassen werden und ihnen ihren Antrag aus diesem Grund um die Ohren hauen werden, der ein Grund unter vielen ist, warum man ihnen diesen Antrag um die Ohren hauen sollte!


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