Framing für Arme: Wenn Dilettanten sich sozialpsychologischer Konzepte bemächtigen
Spätestens seit die ARD sich in einem Framing-Manual das hat erzählen lassen, was man wohl nur als „utter Bullshit“ bezeichnen kann, ist der Begriff des Framings in aller Munde und wie so oft zeichnet sich der Diskurs in Deutschland dadurch aus, dass viele eine Meinung und Überzeugung zum Framing haben, aber nur wenige eine Ahnung davon, was das Konzept beschreibt.
Den bislang größten Unsinn haben die Neuen Deutschen Medienmacher mit dem folgenden Tweet verbreitet:
“Ich esse eine Zitrone.”->Gedanke an sauren Geschmack.
“Esse ich eine Zitrone?”->Gedanke an sauren Geschmack.
So funktioniert #Framing.
“Heimat Deutschland–nur für Deutsche oder offen für alle?” heißt in vielen Köpfen “Deutschland den Deutschen” – egal wie viele Fragezeichen.
— Neue deutsche Medienmacher (@NDMedienmacher) February 26, 2019
Jeder Erstsemester in Psychologie oder Sozialpsychologie weiß, dass die Medienlacher hier eine einfache Assoziation beschreiben. Je nach Erfahrungshintergrund haben Menschen unterschiedliche Assoziationen, die sie mit Begriffen verbinden. Sie hören Zitrone und denken an den letzten Urlaub im Sudan, daran, dass jetzt bestimmt wieder so ein Knallkopf von Medienmacher versucht, sie zu framen oder daran, dass Zitronen in die Klasse der Südfrüchte gehören, Vitamin C enthalten und als heiße Zitrone gut sind, um Erkältung zu bekämpfen oder gut sein sollen.
Framing ist etwas GANZ ANDERES.
Es beginnt schon damit, dass Framing nicht Gedanken auslösen will, wie die Neuen Deutschen Medienquacksalber meinen, sondern VERHALTEN, es soll durch die Einbindung der anstehenden Verhaltensentscheidung in eine Rahmengeschichte beeinflusst werden.
Wir haben schon wiederholt Experimente von Amos Tversky und Daniel Kahneman beschrieben, den beiden Vätern des Framing, die das deutlich machen. Das bekannteste Experiment testet Entscheidungen von Probanden in Abhängigkeit von der Formulierung einer Entscheidungs-Aufgabe.
Die Situation ist folgende: Eine Epidemie ist ausgebrochen. Ein Impfstoff, der in aller Eile entwickelt wurde, verspricht, die Zahl der Opfer zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund sollen sich die Probanden für oder gegen den Einsatz des Impfstoffs entscheiden, wobei zwei Frames vorgegeben sind, ein Mortalitätsframe und ein Überlebensframe. Beide unterscheiden sich lediglich in der Art der Formulierung voneinander. Im ersten Fall sterben 75% der Geimpften, im zweiten Fall überleben 25%. Wie sich herausstellt, wird die Entscheidung, den den Impfstoff einzusetzen, häufiger im Überlebens- als im Mortalitätsframe getroffen.
Dass dem so ist, das hat nun ÜBERHAUPT nichts mit Assoziationen zu tun, von denen neue Deutsche Medienlacher glauben, sie stellten Framing dar.
Tversky und Kahneman haben die Logik hinter ihrem Ergebnis in eine Theorie verpackt, die sie „Prospect Theory“ genannt haben, und wie folgt beschrieben:
„Prospect theory distinguishes two phases in the choice process: a phase of framing and editing, followed by a phase of evaluation. The first phase consists of a preliminary analysis of the decision problem, which frames the effective acts, contingencies and outcomes. Framing is controlled by the manner in which the choice problem is presented, as well as by norms, habits and expectancies of the decision maker”.
Die Art und Weise, wie ein Entscheidungsproblem, das in VERHALTEN resultieren soll, präsentiert wird, geframed ist, trifft also auf Normen, auf Erfahrungen, Verhaltensweisen, Routinen, auf Wissen, Präferenzen und allerlei sonstige Dinge, die Kahneman und Tversky später als Heuristiken bezeichnet haben. Heuristiken stellen Shortcuts dar, derer sich Menschen in Entscheidungssituationen bedienen, um den Entscheidungsprozess kurz zu halten, den Ressourceneinsatz, also Zeit, Gehirnschmalz, Beobachtung usw. zu minimieren.
Im Hinblick auf Handlungspräferenzen greifen Tversky und Kahneman auf eine lange Reihe von Forschungsergebnissen zurück, die zeigen, dass Menschen im groben in risikofreudige (risk seeking) und Risiko vermeidende (risk avoiding) Menschen unterteilt werden können. Diejenigen, die Risiko suchen, sind seltener als diejenigen, die auf Nummer sicher gehen. Das erklärt den Unterschied im oben beschriebenen Experiment, denn der Mortalitätsframe korreliert mit Risiko, während der Überlebensframe auf Sicherheit rekurriert.
Lange Rede kurzer Sinn: Während man bei den Dilettanten, die Neue Medien machen wollen, der Ansicht sind, man müsse Menschen nur ein Stöckchen hinhalten, um sie hüpfen zu lassen, hat Forschung wieder und wieder belegt, dass Menschen keine leeren Eimer sind, sondern in ihren Gehirnen Präferenzen, Normen, Werte, Erfahrungen, Wissen und vieles mehr gespeichert haben, auf das der Versuch, sie zu framen, trifft.
Während Neue Deutsche Medienmacher offenkundig mit einer Zitrone zum säuerlichen Dope gemacht werden können, ist die Mehrzahl der Menschen diverser, komplexer, vermutlich auch intelligenter.
Ist es nicht verblüffend, dass diejenigen, die der Diversität von morgens bis abends huldigen, auch diejenigen sind, die Menschen für einfältige, leicht beeinflussbare, framebare bzw. dumme Marionetten halten, die man alle über einen Kamm scheren und nach Lust und Laune manipulieren kann?
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Es gibt ein Buch namens “Nudge” von zwei US Experten geschrieben. Da ist das alles sehr klar beschrieben: man muss die “einfachen Menschen” etwas schubsen, um sie auf den “richtigen Weg” zu bringen. Das machen unsere Medien
https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/ID21266184.html
Obwohl ich kein Freund von Sunstein und Thaler bin, selbst ihr Nudging-Konzept ist umfangreicher und nicht so primitiv, wie man in Deutschland zu denken glaubt, und es hat in jedem Fall nur am Rande mit dem Framing Konzept etwas zu tun. Richard Thaler ist Ökonom und Mitbegründer einer Richtung, die sich behavioural economics nennt. Darin werden Ergebnisse von Tversky und Kahneman verarbeitet, wie die behavioral economists denken, was zeitweise auch zutrifft, dessen ungeachtet ist NUDGING nicht FRAMING.
Hilfreich in diesem Zusammenhang ist Daniel Kahneman’s Nobel Laureat Lecture:
https://www.valuewalk.com/wp-content/uploads/2014/06/kahnemann-lecture.pdf
Danke! Werde mir ansehen
Danke für die Klarstellung. Immer diese Fremdwörter.
Selbstverständlich lösen die meisten/alle Wörter Verknüpfungen aus, intellektuelle oder emotionale, was mit Framing erst mal gar nichts zu tun hat. Wer bei einer Zitrone an „extrem süß“ denkt, hat einfach keine Ahnung. Wer es andererseits schafft, in seinem Gegenüber mit dem Begriff Zitrone Wohlfühlen pur, innere Bilder von lieblichen Zitruspflanzen im sonnigen sommerlichen Florenz auszulösen, ist zumindest begabt in Werbung und Marketing.
Die Neuen Deutsche Medienmacher liefern selbst mit ihrem Glossar fleißig so genannte „Formulierungshilfen für die Berichterstattung“, mit denen ganz offenbar versucht wird, Begriffe mit bestimmten Inhalten zu verbinden und so zu tun, als gäbe es keine alternativen Operationalisierungen und Inhalte als die eigenen. „Heimat beschreibt, als persönlich definierter Begriff, den Ort an dem Menschen sich heimisch fühlen, egal ob sie dort geboren sind oder nicht. Entsprechend können Menschen mit internationaler Geschichte eine Verbundenheit zu mehreren Heimaten empfinden. Politisch wird der Heimatbegriff teils weiterhin nationalistisch interpretiert (vgl. Volk). …“ Leitet dann gleich weiter zu: Rechtspopulismus, Rechtsradikale und -extreme. So diskreditiert man den Begriff charmant (Hilfe, kann nationalistisch interpretiert werden) und hält ein für allemal fest, dass Flüchtlinge und Migranten sich natürlich im Zweifel mit (wie?) vielen Ländern identifizieren können. Ja, können sie. a) Bei großen kulturellen und politischen Unterschieden zwischen den Heimaten kann die weltoffene multiple Identifikation aber dennoch psychologische und weltanschauliche Spannungen auslösen. b) Und wenn die frühere Heimat und Kultur einem im ehrlichen Vergleich lieber und sympathischer als die der derzeitige auch ganz nette Wohnort ist, ist die Integration vermutlich auch nicht einfach.
Von Ferda Ataman liest man auf Twitter, die Frage nach der Herkunft [„Woher kommen Sie? ] sei für sie „eine verbale Ausbürgerung“. Deswegen hat sie #vonhier gestartet, zwecks Erziehung der bösen ignoranten Mitbürger/_*Innen wohl. Nun frage ich mich allerdings, warum sich eine Person, die 1979 in Stuttgart geboren ist, überhaupt so gerne als „Neue Deutsche“ in den neuen deutschen organisationen und bei den Neuen Deutschen Medienmachern sieht. Wer nicht gefragt werden möchte, woher er kommt (sie ist ja von hier), sollte nicht so offensichtlich Wert darauf legen, sich von den Alten Deutschen abzugrenzen, sogar wenn er schon 40 ! Jahre im Land lebt.
Der Name Neue Deutsche Medienmacher sollte vielleicht geändert werden in Fünfte Kolonne der Medienmacher, denn: wessen Geschäft betreiben diese Leute?
Na das des Bumsregimes, denn die finanzieren schließlich diesen “Laden” primär, der von der “Aufgabe” her die Fortführung eines “Institutes” des “roten Klosters” in der DDR stellt…
“Heuristiken stellen Shortcuts dar”. Ich würde es als “Interpolation” bezeichnen, die auch das Fundament fast eines jeden erfolgreichen scheinrationalen (also irrationalen) Überzeugungssystemes (Religion) ist.
Interpolation gaukelt letztlich immer “Informationsgehalt” vor, der nicht wirklich vorhanden ist. So schaffen viele Digitalkameras in Handys und Co. eine “höhere Bildauflösung” mittels Interpolation – ohne tatsächlich mehr Bildinformation von der Realität zu haben. Interpolation bedient sich mehr oder weniger wahrscheinlich erfolgreicher Entscheidungsmuster, die sich bereits in anderen Situationen bewährt haben und daher “besser” sind als blindes Raten, weil reines Raten selbst diese unbekannt korrelierende Erfahrung außer Acht lässt.
Menschen / Tiere interpolieren, weil es Zeit und/oder Energie spart, die für dringendere Dinge erforderlich sind – auf Kosten der “Genauigkeit” der Analyse einer Situation.
Achja: Mittels Interpolation alter Wetterdaten (“nachträglicher Korrektur”) kamen die “Klimaforscher” überhaupt erst auf eine “echte” Klimaerwärmung im 20. Jahrhundert – die gab nämlich die zugrundeliegende Datenbasis bis dahin gar nicht her….
Es ist keineswegs verblüffend…
Versuchen Sie doch mal einem Dummkopf klar zu machen, daß er zu dumm ist zu verstehen, daß er dumm ist.
… es würde ja völlig genügen, wenn sich die Erkenntnis durchsetzen würde, dass man besser den Mund hält, wenn man von etwas nichts versteht. Das ist ja weder eine Sünde noch eine Schande.
Das hat auch mit Dumm-Sein, glaube ich, nichts zu tun, sondern einfach mit der Erkenntnis, dass man sich während seiner Lebenszeit nun ‘mal nur mit sehr wenigen Dingen so lange und so gründlich auseinandersetzen kann, dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass – relativ zu anderen Themen und zu anderen Leuten – man davon etwas versteht.
Ich diskutiere prinzipiell nicht mit IT-Spezialisten, mit Klempnern oder Zanhärzten (und vielen, vielen anderen Leuten über “deren” Themen). Macht mich das dumm? Nein. Ich weiß nur von deren Spezialgebieten halt nur sehr, sehr wenig – und halte deshalb die Klappe (besonders, wenn ein Zahnarzt in der Nähe ist 🙂 ). Oder ich stelle Fragen. Und wenn mir etwas seltsam vorkommt, dann frage ich einen zweiten IT-Spezialisten, Klempner oder Zahnarzt. So einfach ist das.
Und ich wünschte, die Mittelschichts-Zeitgenossen würden der Soziologie denselben Respekt angedeihen lassen!
Statt dessen verunstalten irgendwelche Dilettanten in der Öffentlichkeit soziologische Konzepte, weil sie anderen Dilettanten das Verunstaltete für viel Geld, gewöhnlich Steuergeld, verkaufen können, interpretieren kräftig drauf los, wenn sie irgendwo eine Prozentzahl erkennen können, benutzen Vokabeln, die sie nicht verstehen, wie ein knapp Zweijähriges Wörter imitiert, die es nicht versteht, und phantasieren die falschesten “Schlussfolgerungen” aus ihren falschen Interpretationen herbei – und tragen sie im Brustton der Überzeugung polternd vor. Und wer widerspricht ist irgendetwas gaaaaanz schlimmes, notfalls: rechts.
Das macht einen je nach Tagesform müde, böse, lachen. Aber irgendwie muss man so viel Unsinn bewältigen….
“Der eindimensionale Mensch” von Herbert Marcuse beschreibt sehr anschaulich wie über Begriffe, Kombination von Begriffen, Sichtweisen wirksam manipuliert werden.
Das Beispiel der NDM ist tatsächlich dumm. Es ist jedoch nicht so, dass das Konzept des Framing allein im Kontext der Prospect Theory Sinn macht. Da ist es am präzisesten formuliert und mit messbarem Verhalten verknüpft. Wehling bezieht sich in ihren Arbeiten aber v.a. auf George Lakoff, einem Linguisten, der sich mit Metaphern beschäftigt hat (Metaphors we live by). Er meint, dass das Denken in den meisten Fällen metaphorisch konzeptualisiert ist. Sobald wir über Dinge sprechen, oder auch nur denken, die nicht materieller Natur sind, also auch nicht sichtbar sind, sind wir unweigerlich gezwungen Metaphern zu verwenden. Wenn man kurz darüber nachdenkt, wird das offensichtlich. Wenn ich z.B. sage, dass ich mich mit meiner Partnerin “auseinander gelebt” habe (räumliche Metapher) und wir nun “andere Weg gehen”, dann muss man sich fragen, warum ich diese Aussage überhaupt verstehen kann. Man überträgt ein bestimmtes Konzept, etwa das der “gemeinsamen Reise”, auf das schwer greifbare Konzept der Partnerschaft. Nur mit diesem Konzept, welches ich implizit anwende, kann ich die metaphorische Aussage überhaupt verstehen. Der Punkt ist: Es könnte auch ein anderes Konzept sein. Die jeweilige Metapher aktiviert dabei ein bestimmtes mentales Konzept (meist unbewusst. Das ist dabei der Clou). Das jeweilige Konzept ermöglicht dann weiter gehende (metaphorische) Gedanken und kann dabei mehr/weniger mit bestimmten Wertvorstellungen und Präferenzen kompatibel sein. Das ist auch der Unterschied zu bloßen Assoziation wie bei: “Zitrone”. Diese ist etwas Konkretes und manche mögen sie, andere nicht. Das ist banal und hat insofern nichts mit dem besagten Framingkonzept zu tun. Und das ist der Grund, warum das Ganze für die Politik so interessant ist: Bestimmte Metaphern aktivieren absichtlich bestimmte Konzepte (z.B. Gemeinschaft, bzw. Gemeinwohl, Füreinander verantwortlich sein etc.), was bei einigen Leuten positive Emotionen und anknüpfbare Assoziationen hervorruft und damit die ganze Debatte in eine gewünschte Richtung lenken kann.
Ich halte die dahinterstehende Theorie von Wehling, bzw. von Lakoff also keineswegs für dümmliche Zigeunerei, sondern für eine überaus interessante Theorie, auch wenn ich natürlich sämtliche genannte Vorbehalte gegen das Framing-Manual der ARD und deren Absicht teile.
Ich verstehe auch nicht ganz, warum die Soziologen-Kollegen hier allein auf Kahneman/Tversky verweisen und dabei so tun, als gäbe es die Arbeiten von Schütz, Garfinkel oder auch Esser nicht.
Aber nur um hier nicht falsch verstanden zu werden: Bitte weiter so und Vielen Dank!
Besten Gruß
Was Sie hier anführen, ist ein alter Konflikt, den Ian Jarvie und Peter Winch, in dem es darum geht, ob Konzepte ohne Worte dafür, das Beispiel, um das beide am meisten streiten, ist “Höhe”, erfahrbar sind. Das ist aber nicht das, worum es beim Framing geht. Die Kollegen in der Linguistik haben sicher Recht, dass Sprache, die Benutzung bestimmter Worte, bestimmte Konzepte, zumeist über Erfahrung erlernte Konzepte, im Gehirn anspricht, aber das ist kein Framing, sondern eine Frage von Wahrnehmung und in der Regel auch Bewertung.
Den “Soziologenkollegen” geht es, wie Schütz, Garfinkel oder Esser im übrigen auch, um Verhalten, darum, wie menschliches Verhalten durch Framinung beeinflusst werden kann, was den Vorteil hat, direkt beobachtbar und damit messbar zu sein. Insofern sehe ich nicht, wo Sie einen Gegensatz zwischen dem, was wir schreiben und dem, was Schütz oder Garfinkel (letzterer spielt auf ScienceFiles eine große Rolle) sehen. Im Gegenteil, das, was Schütz beschrieben und Esser in seiner unnachahmlichen Art in seine eigenen Bücher inkorporiert hat, unterscheidet sich kaum von der Prospect Theory. Es ist einfach eine andere Form der Beschreibung. Garfinkel geht es um das, was cultural colleagues unhinterfragt teilen, Esser geht es explizit darum, die Randbedingungen bzw. Brückenhypothesen zu modellieren, unter denen Akteure dann rational handeln und Tversky und Kahneman geht es darum, Shortcuts, Heuristiken zu zeigen, die von Menschen angewendet werden, um sich langwierige Informationssuche und Vergleiche zwischen Handlungsalternativen zu ersparen. Das sind einfach nur variations of a theme, aber das Thema ist Handeln, nicht sinnieren.
Ich denke, dieser Beitrag, den Dr. Diefenbach und ich bereits vor 21 Jahren verfasst haben, trägt einiges zur Klärung bei:
https://sciencefiles.org/wp-content/uploads/2012/10/brueckenhypothesen.pdf
Michael Klein hat ja schon mit Bezug auf Schütz, Garfinkel und Esser geantwortet, und dem habe ich hier nichts Wichtiges hinzuzufügen.
Davon abgesehen und eingedenk der Tatsache, dass wir alle drei hier keinen wirklich grundlegenden Dissens haben, möchte ich aber ergänzen, dass ich Lakoffs Buch “Metaphors we live by” schon vor vielen Jahren gelesen habe und ich die Lektüre ansprechend fand. Das ist so ein Buch, bei dem man liest und anfänglich denkt “naja, mal sehen …” und das einen dann, wenn man sich auf die Prämissen Lakoffs und seine Art zu denken eingelassen, hat, sozusagen auf den fahrenden Zug mit aufspringen lässt; man denkt zunehmen, “ja, das macht alles Sinn …” Jedenfalls ging es mir so.
Nur – als ich das Buch zuende gelesen hatte, beiseite legte und mich fragte, was ich daraus für meine eigenen soziologischen Analysen oder ganz grundsätzlich für mein soziologisches Forschungsprogramm, wenn ich es jetzt einmal so nennen darf zur Bezeichnung einer allgemeinen Herangehensweise an die Beobachtung und Erklärung sozialer Phänomene, entnehmen kann, hatte ich das seltsame Gefühl, dass die Lektüre, die mir Spaß machte und mich wie gesagt durchaus “in die Sache zog”, eigentlich Zeitverschwendung war.
Wie Sie selbst auch schreiben:
Ja, es ist nicht nur offensichtlich, sondern seltsam trivial: Konzepte sind, weil sie Konzepte sind, notwendigerweise Metaphern. Was sonst sollten sie sein?
Selbst dann, wenn ich auf einen Hund deute und “Hund” sage, ist das, was ich sage oder bezeichnen will, nicht identisch mit dem, was da auf vier Füßen steht und auf das ich deute, und das soll es ja auch meist gar nicht sein. Wenn jemand kein Deutsch kann und fragt: “Was bedeutet Hund?”, dann deute ich vielleicht auf den Vierfüßler, aber sicherlich versuche ich damit nicht zu sagen, dass just DIESES Tier (und nur dieses Tier) “Hund” heiße, in der Art wie er, was weiß ich, “Peterchen” heißen könnte, weil es mein Hund ist und ich ihn so genannt habe, was ihn (metaphorisch) bezeichnen würde (und sei es nur als eben “mein Hund”). Der Nicht-Deutschsprecher wird vermutlich intutiv verstehen, dass ich nicht sagen will, dass das mein Tier ist und ich es “Hund” genannt habe, sondern dass “Hund” ein Kollektivbegriff ist, aber warum eigentlich? Man kann vermuten, dass das menschliche Gehirn Sprache entsprechend verarbeitet (was auch immer das genau bedeuten soll), aber das ist keine Erklärung dafür, warum das so ist.
Und das ist, glaube ich, der Punkt:
1. wir benutzen Metaphern (notwendigerweise) und teilen sie sprachlich, aber wir überschätzen sehr stark das Ausmaß, in dem wir auch die Bedeutung der Metapher teilen. Wissen wir wirklich, wie es um die Beziehung zwischen zwei Leuten steht, wenn uns jemand berichtet, er und seine Frau hätten sich “auseinandergelebt”? Bedeutet das, dass er sie nach wie vor liebt, aber irgendwie eine Distanz spürt, die er nicht erklären kann? Bedeutet es, dass sie ihm inzwischen ziemlich gleichgültig geworden ist? Bedeutet es, dass sie beschlossen hat, sich scheiden zu lassen, und er vor anderen Gesicht wahren will, weil er selbst nicht versteht, was mit der Beziehung passiert ist? Etc. etc. etc., und
2. in den allermeisten Fällen ist es gar nicht notwendig, dass wir genau verstehen, was die Metapher bedeutet; es genügt vollauf zu wissen, was der “range” der Bedeutungen sein könnte, wenn wir DENKEN, dass wir verstehen, weil uns diese Überzeugung verbal handlungsfähig macht. “Ich liebe dich” und “ich liebe dich auch” kann, wie wir vermutlich alle wissen, eine ganze Menge Handlungen auslösen, die zwei Leute in der Regel sehr angenehm finden werden, auch, wenn sie nur eine sehr, sehr vage Ahnung haben, was ihnen da jeweils gerade mit Bezug auf Gefühle und zukünftiges Verhalten angekündigt wurde. Beispielsweise mag Eheschließung mag darunter sein, oder gerade nicht – weil jemand denken könnte, dass Institutionalisierung Motivation zerstört; wer weiß es!?
Für soziologische Erklärungen, die letztlich immer auf Handlungserklärungen basieren müssen (denn auch, wenn “Krieg erklärt” wurde, müssen letztlich Leute Waffen in die Hand nehmen oder auf Knöpfe drücken …. Esser!), genügt das nur leider nicht.
Und deshalb habe ich mich nach Lektüre des Buches wieder da gefunden, wo ich vorher schon war: für soziologische Erklärungen muss man definieren, wovon man spricht, man muss probeweise als relevant vermutete Randbedingungen benennen, Annahmen über Präferenzen des Akteurs machen, die benannten Größen sauber operationalisieren und entsprechende Daten erheben ….
Ich vermute, dass es nicht nur mir so geht:
dass ich etwas lese, mehr oder weniger fasziniert bin, mich vielleicht damit identifiziere, weil es mir irgendwie etwas oder sogar sehr viel “sagt”, aber wenn man dann einen Schritt zurücktritt und sich fragt: “was genau “sagt” mir das denn?” und vor allem: “was genau sagt es mir, was ich vorher noch nicht wusste?” oder “was genau sagt es mir, von dem ich nicht schon vorher meine Gründe hatte, zu meinen, dass die in Frage stehende Sache richtig/falsch/irrelevant ….(was auch immer) ist?”, dann stellt sich Ernüchterung ein, und die Lektüre bleibt eine angenehme Erinnerung, hat aber sonst keine (Handlungs!-)Relevanz.
Jedenfalls für mich ist “Metaphors we live by” genau solch ein Buch.