Das Ende von Vielfalt und Pluralismus – leider keine Dystopie

DGBBVFallen Sie auch einer unsäglichen Öde und Hoffnungslosigkeit zum Opfer, wenn Sie einen Blick auf Politiker werfen? Haben Sie auch dieses Gefühl von, deja vue, wenn Sie einen Funktionär vor sich sehen? Und das Fernsehprogramm: immer dieselben Unsympathen in immer denselben Rollen-Stereotypen mit immer demselben Aussehen von der Stange, so als wären sie handverlesen, um die neue Uniformität deutlich zu machen. Die Formulare von Bank X, bei der Sie ein Konto eröffnen wollen, stimmen mit denen von Bank Y überein, nur Kopf und Logo sind unterschiedlich. Anwalt R verwendet die selben Textbausteine wie Anwalt W – die Anwaltskammer macht’s möglich. Die Aufschriften auf Packungen sind normiert: Bei Plastik droht Kindern Erstickungsgefahr und bei Karton ist alles recycled. Die Birne in ihrer Lampe macht zwar nicht hell, aber sie entspricht der Regulation, und wenn Sie denken, Sie können eben einmal nach Tschechien fahren und eine normale Glühbirne erwerben, die auch Licht gibt, dann haben Sie sich geirrt: Harmonisierung!

cdu_bvBauern in Bayern erhalten dieselbe Subvention pro Liter Milch wie Bauern in Wales. Die Sicherheitsbestimmungen auf dem Flughafen in Heathrow entsprechen den Sicherheitsbestimmungen in Frankfurt. Der Vertreter einer beliebigen europäischen Gewerkschaft muss überhaupt nicht den Mund aufmachen, man weiß auch so, was er sagen will. Bei Funktionären von FIFA, UEFA oder DFB muss man nicht hinsehen, um zu wissen, die meisten sind übergewichtig und die, die es nicht sind, sind zumeist bestechlich oder zumindest einer kleinen Gabe nicht abgeneigt.

Mitglieder von Attac sehen weltweit gleich aus. Bei Greenpeace und anderen NGOs, die gutes zu tun, vorgeben, weiß man genau, welche ideologische Ausrichtung sie haben, dass die Spendenbitte auf dem Fuß folgt und dass sie natürlich eine Frauenquote in Aufsichtsräten von Vorständen befürworten. Und immer und immer wieder weiß man ohne genau hinzusehen, dass die große Mehrzahl derjenigen, die in der Öffentlichkeit große Worte schwingen, anderen ins Gewissen reden, sie von dem, was (für sie) gut ist, überzeugen wollen, in ihrem Leben noch nie etwas mit ihren Händen gearbeitet haben. All die beschriebene Gleichförmigkeit, die Soziologen dazu veranlassen kann, zu verzweifeln, insbesondere, wenn sie einen individualistischen Ansatz pflegen, muss erklärt werden: Warum sind Funktionäre, Politiker, Bürokraten, Verwaltungsangestellte oder Lehrer einfach untereinander austauschbar, ohne dass man einen Unterschied bemerkt?

uniformitIch könnte es mir nun einfach machen und sagen, weil ihre Leistung nicht an einem objektivierbaren Ergebnis gemessen wird, man daher keine Möglichkeit der Unterscheidung zwischen ihnen hat (außer vielleicht, dass Gewerkschaftsfunktionäre Champagner bevorzugen, während Parteifunktionäre eher auf Prosecco stehen…). Aber das ist zu einfach und erklärt nicht, warum man den Chef von “verdi” in den Bundestag stellen und als Gesundheitsminister verkaufen könnte, und niemand würde einen Unterschied bemerken. Nein. Diese Antwort ist nicht befriedigend. Deshalb habe ich auf einen legendären Artikel zurückgegriffen, den Paul DiMaggio und Walter Powell im Jahre 1983 veröffentlicht haben, und auf dessen Grundlage man erklären kann, warum nan den Chef von Greenpeace mit dem Chef von Human Rights Watch austauschen kann, ohne dass jemand den Austausch bemerkt.

DiMaggio und Powell starten bei Max Weber und seiner These, nach der Bürokratien geschaffen werden, um Effizienz und Wettbewerb zu ermöglichen. Die Standardisierung in Bürokratien, so hat Max Weber geglaubt, erleichtere nämlich den Tausch von Gütern, u.a. dadurch, dass die Tauschregeln und der Ablauf eines Tausches festgelegt sind. Bürokratie war für Max Weber durch ihre Effizient legitimiert und nur durch ihre Effizienz. Wenn Bürokratie nicht zu Effizienz im Wettbewerb und in Märkten führt, dann hat sie für Max Weber keinen Sinn und keine Daseinsberechtigung (Max Weber hat bis 1920 geschrieben und somit die EU nicht gekannt…).

Weber WirtGesDiMaggio und Powell setzen hier an und machen aus dem Idealtypus von Bürokratie, wie ihn Max Weber beschrieben hat, einen Realtypus, der beschreibt, was wirklich ist. Bürokratie, so sagen DiMaggio und Powell ist nicht über Effizienz legitimiert, vielmehr ist es so, dass Bürokratien ein sich selbsterhaltendes System geworden sind, das sich nicht über seine Effizienz legitimiert, sondern über seine Existenz, und je mehr Bürokratie vorhanden ist, desto legitimer erscheint Bürokratie. Das passt schon eher zur Europäischen Union und ihrer Bananen-Krümmunsgwinkel-Richtlinie, und man könnte es als die normative Kraft des Faktischen beschreiben. Gibt es erst einmal Bürokratie, dann folgt die Ansicht, dass die viele Bürokratie legitim sein müsse, weil wäre sie es  nicht, dann gäbe es sie nicht, als astreine Tautologie auf dem Fuß. Wir leben eben nicht in einem rationalen, sondern in einem irrationalen Zeitalter, in dem der Wahnsinn nicht mehr auffällt, weil er zur bürokratischen Methode geworden ist (Wenn Sie nicht wissen, was ich meine: Sind Sie auch schon der Geldwäsche verdächtigt worden, weil sie eine Lebensversicherung abgeschlossen haben?).

Bürokratie, so DiMaggio und Powell, schafft sich selbst und legitimiert sich, durch den Akt der Ausbreitung. Das erklärt, warum man heutzutage nichts mehr tun kann, ohne auf Bürokratie und Normierung zu stoßen. Aber es erklärt noch nicht, warum die Vertreter der Bürokratie, die Funktionäre, Nicht-Regierungs-Aktivisten, die Politiker und alle anderen, die mit Worten ihren Lebensunterhalt verdienen, alle so uniform, so austauschbar, so gleichförmig sind. Zurück zu DiMaggio und Powell: Die Abkehr von der Effizienz hin zu Existenz als Legitimationsgrund und die immer größer werdender Übereinstimmung zwischen verschiedenen Organisationen führen DiMaggio und Powell auf Isomorphie zurück: „Isomorphism is a constraining process that forces one unit in a population to resemble other units that face the same set of environmental conditions“ (DiMaggio & Powell, 1983, S.149). Mit anderen Worten: Gleiche Randbedingungen (z.B. durch Harmonisierung) üben einen Druck auf „units“, also zum Beispiel Institutionen, Organisationen und Unternehmen aus, sich einander anzugleichen. Es gibt für die Autoren drei Arten von Isomorphie:

  • coercive isomorphism = Zwang
  • mimetic isomorphism = Nachahmung
  • normative isomorphism = normativer Druck

Zwang zur Einförmigkeit wird von gesellschaftlichen Randbedingungen, von immer mehr Regulationen, von immer mehr Vorgaben und Ansprüchen sich an einer vorgegebenen Norm auszurichten, ausgeübt. Entsprechend hat die Europäische Union ihr Ziel der Harmonisierung dann erreicht, wenn nicht nur Funktionäre und Politiker, sondern auch Unternehmensführer, Manager und Arbeiter uniform sind, wenn Sie und ich uns nur noch durch die Nasenlänge unterscheiden, weil unsere normierte Einrichtung in unseren normierten Häusern, die von normierten Gärten, in denen normierte Spielgeräte stehen und zwei normierte Kinder auf Zuruf schreien, identisch sind.

Die Notwendigkeit zur Nachahmung ergibt sich aus der Unsicherheit, die u.a. dadurch hergestellt wird, dass immer neue Regulationen Dinge regulieren, an die man bislang gar nicht gedacht hat. Entsprechend schaut man, was andere machen, um dann, wenn es schief geht, zumindest nicht alleine dazustehen. Der vorauseilende Gehorsam, mit dem manche Unternehmen, wie die Telekom, eine Frauenquote eingeführt haben, schafft entsprechend einen Präzedensfall und führt eine Harmonisierung zwischen Unternehmen herbei, bei anderen, die die Telekom zum Vorbild nehmen. Ähnliches kann man bei der Corporate Social Responsibility beobachten: Nicht mehr unternehmerische Ziele bestimmen das Unternehmensmanagement, sondern Compliance mit Umweltnormen, die wiederum von Umweltorganisationen, die sich zum verlängerten Arm der EU gemacht haben, überwacht werden.

zombiesDer normative Druck nimmt die Ergebnisse von Genderstudies und Bologna Prozess vorweg: Studenten, die keine eigenen Gedanken mehr haben und außer Kurs-Credits und Leistungsanforderungen nichts von bestimmten Seminaren erinnern, gleichgeschaltete Absolventen, die z.B. die Litanei des Staatsfeminismus herunterbeten können, wie einst Marxismus-Leninismus(ML)-Kader in der DDR die Gebete des ML auswendig kannten. Diese Zombies, die ihr Leben verbringen können, ohne auch nur eine einzige unabhängige Idee zu entwickeln, sind der Stock, aus dem sich wiederum die oben beschriebenen Funktionäre rekrutieren, die Politiker, die Gewerkschaftler, die Nicht-Regierungs-Aktivisten usw. Diese Dystopie, die derzeit von Harmonisierungs-Fanatikern, Staatsfeministen und geistlosen und ideenlosen Funktionären und Bürokraten in die Tat umgesetz wird, ist der Grund dafür, dass ich oben beklagt habe, dass die vielen institutionellen Zombies noch nie eine Arbeit mit ihren Händen ausgeführt haben. Hätten sie z.B. ihr Studium auf dem Bau verdient, dann hätte es passieren können, dass sie mit den Folgen von Regulationen konfrontiert worden wären, damit, dass praktisch nicht umsetzbar ist, was in bürokratischen Gehirnen ausgebrütet wurde oder auch nur damit, dass Menschen die Lust an Engagement und Einsatz verlieren, wenn sie ständig bürokratischer Gängelung ausgesetzt wird. Aber all diese Eindrücke aus dem wirklichen Leben fehlen den institutionellen Zombies, und entsprechend gibt es nichts, was ihrer Regulierungswut, was der Beseitigung von Vielfalt und Pluralismus durch Zombies, die gar nicht wissen, von was da eigentlich die Rede ist, Einhalt gebieten könnte.

DiMaggio, Paul J. & Powell, Walter W. (1983). The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields. American Sociological Review 48(2): 147-160.


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