Berufspolitiker, Kriminalität und Unmoral: Kommt zusammen, was zusammengehört?
Die ZEIT berichtet, dass man in der Essener SPD seit Jahren darüber Bescheid gewusst hat, dass Petra Hinz ihre Bildungskarriere frei erfunden und eben einmal behauptet hat, sie habe ein Abitur, Jura studiert und das entsprechende Studium mit beiden Staatsexamen abgeschlossen. Derartige Lügen und Versuche, sich Vorteile zu verschaffen, regen die Genossen in Essen nicht weiter auf.
Zustände, wie die in Essen, in denen politische Seilschaften auf Stillschweigen gegen Gefälligkeit mit dem Ziel der gemeinsamen Vorteilsnahme zu Lasten von Steuerzahlern gegründet sind, sind auch aus Köln bekannt. In den 1990 Jahren war die Rede von Colognia Corrupta, und die Affäre um die Kölner SPD endete in Freiheitsstrafen von 21 und 18 Monaten für den ehemaligen Kölner SPD-Vorsitzenden Klaus Heugel und den SPD-Fraktionsvorsitzenden im Kölner Stadtrat Norbert Reuther.
Wo Berufspolitiker sind, ist Korruption nicht weit. Politik und Korruption sind in Zeiten der Berufspolitiker, deren einziges Kapital darin besteht, politische Gefallen gegen Unterstützung zu verkaufen, zu zwei Seiten derselben Medaille geworden.
Einer der Auguren, die auf fundierter Basis die Entwicklung des deutschen Parteiensystems zu einem Feudalsystem der Vorteilsnahme und des Verkaufs politischer Gefallen, zu einem System der innigen Umschlungenheit von Berufspolitik und Korruption vorhergesehen hat, ist Erwin K. Scheuch. Wir geben nunmehr einen Auszug aus seinem 1992 gemeinsam mit Ute Scheuch veröffentlichen Buch „Cliquen, Klüngel und Karrieren“ wieder, der so manchen treffen wird, wie die bekannte Faust aus dem Nichts:
“Mit der Veränderung der Parteiaktivisten, dem Aufstieg der ‚weichen‘ Themen und der Verlagerung der Personalauswahl an die Regionalorganisation hat sich das politische System der Bundesrepublik gewandelt. Parallel hierzu, und sich wechselseitig bedingend, ist die Staatstätigkeit ausgeweitet worden, und ausgeweitete Staatstätigkeit bedeutet nun einmal mehr Möglichkeiten der Vorteilsnahme. … Erhalten Firmen öffentliches Geld, so sehen sie sich auf genötigt, Politikern gefällig zu sein. Unterstützt die öffentliche Hand kulturelle Aktivitäten, so entstehen daraus Abhängigkeiten. Schleichend wurde so die Bundesrepublik in den Führungsberufen parteipolitisiert.
Noch ist parteipolitische Einflussnahme auf Berufungen an Universitäten nicht die Regel, aber sie ist inzwischen auch kein Grund für besonderes Erstaunen mehr. Hochschulen werden gefördert oder behindert nach dem Grad ihrer Gefälligkeit in den Vorstellungen von Ausschußvorsitzenden und Ministern. Für Nordrhein-Westfalen war die unterschiedliche Behandlung der Universitäten Köln und Bonn auf der einen sowie Bielefeld und Siegen auf der anderen Seite ein Beispiel. Die Ämterpatronage bei den Rundfunkanstalten ist bekannt, aber sie ist auch nicht größer als in unserem weiterführenden Schulwesen. Heute wird man nicht mehr Schulleiter ohne entsprechende Förderung durch Berufspolitiker. Kommunen gründen immer mehr Firmen, deren wichtigste Funktion es ist, Einkommensquellen für aufsichtsführende Politiker zu schaffen.
Aus den bereits erwähnten Gründen wird die Politik in der Bundesrepublik inzwischen von Berufspolitikern beherrscht. Für deren Erfolg ist dreierlei bestimmend: Zunächst und vor allem die Unterstützung in einer Seilschaft, um die Wiedernominierung als Kandidat zu erreichen. Ein Verfehlen der Kandidatur ist meist gleichbedeutend mit Existenzvernichtung. An zweiter Stelle ist das über die Medien vermittelte Ansehen wichtig. An dritter Stelle ist ein Kapital von Gefälligkeiten wichtig, vor allem erwiesen den politischen Gegnern und einflußreichen Bürgern. Nicht so wichtig ist, jedenfalls für die beiden großen, das Abschneiden der eigenen Partei in einer Wahl; denn so viele Stimmen für ihre Partei, wie es für die Ämter und sonstigen Vorteilsnahmen der Berufspolitiker in CDU und SPD nötig ist, wird es in deren Augen allemal geben.
Auf Bundesebene und in einer Anzahl von Kommunen, auch größeren Städten, haben sich die Seilschaften zu Feudalsystemen fortentwickelt. Zentral für ein jedes Feudalsystem ist der Tausch von Privilegien gegen Treue. Treue ist im Feudalsystem immer personenbezogen, wenngleich sie rechtlich dem Amt gilt. Stirbt der König, so sind im Feudalsystem alle Eide neu zu leisten – wie dies auch für das kommunistische System bei einem Wechsel des Generalsekretärs galt.
[…]
In Seilschaften ersetzt unbedingte Treue zueinander den Rückhalt, den sonst die Formalorganisation einer Vereinigung bzw. eines Verbandes bietet. Warum diese Seilschaften nun oft einen ‚Feudalherren‘ entstehen lassen, ist noch nicht untersucht worden. Vermutlich hängt es mit der starken Personalisierung durch die Medien zusammen.
[…]
Es ist noch zu früh zu entscheiden, ob die jetzige Feudalisierung des politischen Systems in der Bundesrepublik nur eine Übergangserscheinung oder ein Systemwandel ist. Letzteres wäre eine Angleichung im Selbstverständnis und im Verhalten bundesdeutscher Berufspolitiker an die tatsächlichen Verhältnisse in der Endphase der Staaten des Ostblocks. Schon mit Breschnew war für die Sozialwissenschaftler in den Ländern des ‚real existierenden Sozialismus‘ sichtbar geworden, dass die Beziehungen in Partei, Betrieben und Verwaltungen – nach außen bürokratischen Regeln unterworfen – zunehmend personalisiert wurden. Persönliche Ergebenheit wurde mit Privilegien vergolten. Privilegien verpflichteten zu Ergebenheit. Zugleich löste sich der Gesamtzusammenhang in ‚Herzogtümer‘ von Beziehungsnetzen auf.Für die Entwicklung zu einem Feudalsystem spricht die solide Finanzierung des Systems. Auf der Bundesebene bedeutet eine Existenz als Berufspolitiker, neben guten Einkünften von jährlich ca. 130.000 Mark und Ausstattung mit Apparaten noch sehr gute Privilegien zu genießen (Freifahrten mit der Bundesbahn und der Lufhansa, selbstverständlich erster Klasse; bis zu drei Mercedes zum Stückpreis von über 100.000 Mark; freie Weltreisen in der Form des Besuches einer selbstgewählten Botschaft oder eines Konsulates; weitgehende Sicherheit vor Strafverfolgung. In einer Reihe von Gebietskörperschaften können Bezüge als Minister oder Staatssekretär kumuliert werden. Die Altersversorgung ist nach acht, spätestens zwölf Jahren exzellent.
Auf der Ebene der Kommune bedeutet eine Existenz als Berufspolitiker – einer Stadt wie Köln sind das schätzungsweise acht bis zwölf Personen -, dass noch mehr verdient wird als im Bund, bei allerdings nicht ganz so ausgeprägten Privilegien“ (Scheuch & Scheuch, 2013[1992]: 117-119).
Die ursprüngliche Veröffentlichung dieses Textes erfolgte im Jahre 1992. Damals hat sich Scheuch noch gefragt, ob Deutschland nur zeitweilig oder dauerhaft eine Feudalisierung erfahren hat und ob die Berufspolitiker, die das Land mit einem Netz der Korruption und des Nepotismus überzogen haben, von Dauer sein werden. Rund 25 Jahre nachdem diese Zeilen geschrieben wurden, kann man wohl feststellen, dass die Frage, ob die Feudalisierung einen Systemwandel darstellt oder nicht, entschieden ist. Die Feudalisierung ist Realität, so wie die Verquickung von Politik, Korruption und Amoral eine Realität ist, die man nicht mehr leugnen kann. Dabei geht die Feudalisierung weiter als es Scheuch sich hat träumen lassen, denn um Ministerien haben sich ganze Legionen von Nutznießern angesiedelt. Es sind also nicht nur Berufspolitiker, die sich von Steuerzahlern aushalten lassen, ein ganzes Netzwerk der Profiteure ist um Ministerien gelagert, deren einziges Ziel darin besteht, sich an Steuerzahlern gütlich zu tun.
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http://thumulla.com/home/ich_bin_politiker.html
Das paßt schon einmal ganz genau! Das Hauptproblem ist aber, daß man sich eine Berufspolitikerkarriere aufbauen kann – und zwar unabhängig von einer Karriere “draußen” sowie, daß bei dieser Karriere Linientreue über Leistung rangiert!!! Das war im “real existierenden Sozialismus” am extremsten, wird inzwischen aber schon wieder erreicht! Sobald nämlich das Regierungssystem in Mißwirtschaft endet, die viele unzufrieden macht, die Linientreue immer wichtiger wird. Der Unfähige wird sich also immer mehr nur durch Gefolgschaft einen Job – und vor allem eben Pfründe sichern, die er “draußen” nie bekommen hätte!
Jeder Anwaltskanzlei hätte sich vor Einstellung der Dame eben die Papiere zeigen lassen! (Während die “Genossen” wohlmöglich froh waren, daß da mal jemand ohne abgebrochene Ausbildungskarriere vor ihnen stand – und sie es garnicht wirklich weiter prüfen wollten.
In antiken Demokratieen mußten Leute, die sich für höhere Ämter bewarben oft 40 Jahre alt sein. Das verunmöglichte es über die Politik Karriere zu machen, sondern zwang sie, erst “draußen” Karriere zu machen, ehe sie in die Politik konnten. Bei einer damaligen bereinigten Lebenserwartung für Männer – ohne Kriegseinwirkungen – zwischen 45 und 60 Jahren würde das heute bedeuten, daß Politiker mindestens 60 sein müßten, was aber auch nicht geht, da dann die Politik dann zu unflexibel wird. (Senilenherrschaft)
Der gangbare Mittelweg wäre die Voraussetzung einer abgeschlossenen und mindestens für 10 Jahre ausgeübten Berufsausbildung für irgendein – und sei es auch nur das kleinste mit Bezahlung und Pfründen behaftete – politische Amt! Wer nur auf abgebrochene Ausbildungskarrieren, häufige Arbeitsaufgabenwechsel u.ä. zurückschauen kann, darf über den Plakatkleber oder Brötchenschmierer in einer Partei nicht hinauskommen! Schon die “Verbeamtung” der Politik ist in sofern ein Problem, da Beamte mit der Arbeitswelt “draußen” nicht in Berührung kommen! Sie sollten von daher höchstens ein Drittel der Mandatsträger stellen dürfen!
Das Problem ist, solche Leute interessieren sich nicht für Politik, unterbrechen oder beenden ihre Karrieren dafür höchst ungern. (Die Nachfolger in der eigenen Firma werden auch viel später geboren, als in früheren Zeiten, da die Kinder erst mit 40+ kommen, nicht mehr mit 25.) Für sie ist es einfacher, die Mittelmäßigen zu schmieren – auch weil sie dann nur ihre eigenen Interessen vertreten (können) und nicht für das Ganze verantwortlich sind! Also hat sich die Politik heutzutage allzuoft als Sammelbecken für gescheiterte Existenzen etabliert.