Unsinn der Woche: Faulstich-Wielands Liebe zu Widersprüchen
“Die Jungen sind nicht die Bildungsverlierer”, so ist ein Beitrag in den Fränkischen Nachrichten überschrieben, der einen Vortrag von Hannelore Faulstich-Wieland zum Gegenstand hat. Während dieses Vortrags hat Faulstich-Wieland verkündet: “Die Verallgemeinerungen in der Diskussion um Jungen als Bildungsverlierer sind für mich problematisch”. Dies ist erstaunlich, denn im Laufe ihres Vortrags hat Faulstich-Wieland Verallgemeinerungen in großer Zahl von sich gegeben, z.B. dass Jungen im Lesen “Studien zufolge” deutlich hinter Mädchen zurückbleiben und – allerdings – in Mathematik besser sind als Mädchen. “Im Vergleich der Kompetenzen”, so die zusammenfassende Verallgemeinerung von Faulstich-Wieland, “sind also keineswegs alle Jungen als Bildungsverlierer anzusehen”.
Verallgemeinerungen sind offensichtlich für Faulstich-Wieland nur dann problematisch, wenn sie nicht von ihr selbst kommen. Aber geschenkt, mit derart Widersprüchen im Denken will ich mich gar nicht aufhalten und statt dessen einmal mehr versuchen zu verstehen, wie jemand denken kann, dass Jungen z.B. unter den Abiturienten seltener und unter den Abschlusslosen häufiger sind als Mädchen, dass sie also unbestreitbar Nachteile bei der Schulbildung haben, könne dadurch relativiert werden, dass Jungen in Mathematik besser sind als Mädchen. Es nützt Jungen nichts, besser in Mathematik zu sein als Mädchen, wenn sie auf der Hauptschule geparkt wurden, weil Ihnen bei der Grundschulempfehlung der trinkende Vater oder die alleinerziehende Mutter als Lernproblem angelastet wurde. Es sollte eigentlich ab einem bestimmten IQ möglich sein, einzusehen, dass die Nachteile von Jungen sich bei Schulabschlüssen ergeben und nicht bei Schulleistungen. So schwierig kann das doch eigentlich nicht sein. Und wenn man dies verstanden hat, dann sind Schulleistungen insofern von Interesse, als nunmehr zu erklären ist, wieso Jungen, obwohl sie in Mathematik besser sind als Mädchen dennoch bei den Schulabschlüssen (da sind sie wieder) deutlich hinter Mädchen zurückbleiben, denn dass sie das tun steht außer Frage.
Da jeder normalbegabte Denker mir bis hierher eigentlich folgen muss, also auch Faulstich-Wieland, ist der nächste Schritt ein Blick auf die Institution “Schule”, um zu klären, ob Jungen durch die Institution und die dort Arbeitenden benachteiligt werden. Studien wie die Hamburger Lau-Studie, die von Maaz, Baeriswyl und Trautwein (2011) gerade erstellte Studie “Herkunft Zensiert?” und Diefenbach (2007) sprechen dahingehend eine eindeutige Sprache: Jungen müssen eine bessere Leistung erbringen als Mädchen, um dieselbe Grundschulempfehlung oder dieselbe Benotung zu erhalten. Das, daran führt kein Weg vorbei, nennt man Diskriminierung oder aktive Benachteiligung, und da rund zwei Drittel aller Lehrer und rund 90% der Grundschullehrer weiblich sind, liegt der Verdacht nahe, dass weibliche Grundschullehrer und weibliche Lehrer etwas mit der Diskriminierung von Jungen zu tun haben. Dies ist so offensichtlich, dass auch Faulstich-Wieland es verstehen müsste.
Aber Faulstich-Wieland ist mehr damit beschäftigt, sich in schneller Abfolge in Widersprüche zu verwickeln als damit, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. So hat Sie bei besagtem Vortrag nacheinander gesagt, dass (1) männliche und weibliche Lehrer sich im Lehrstil nicht unterscheiden (übrigens eine sehr grobe Verallgemeinerung), um damit gegen eine Männerquote bei Lehrern zu argumentieren und dann (2) festgestellt, dass die Forderung nach mehr Männern im Bildungssystem die Gefahr in sich berge, dass Jungen auf ein “Stereotyp von Männlichkeit programmiert” würden. Wenn sich männliche und weibliche Lehrer nicht im Lehrstil unterscheiden, dann frage ich mich, (1) wer die Jungen auf welches Stereotyp von Männlichkeit programmieren können sollte, (2) wieso es Faulstich-Wieland nicht egal ist, ob Männer oder Frauen und vor allem in welchen Mengenanteilen sie unterrichten und (3) ob Faulstich-Wieland nicht, im Hinblick auf ihre Befürchtung einem Stereotyp oder gar Vorurteil von Männlichkeit anhängt, das Männer zu Abziehbildern von Leinwandhelden degradiert und damit die Heterogenität, die man unter Männer nun einmal findet, in einer Weise verallgemeinert, die nun wiederum mir Probleme macht.
Zum Schluß noch eine allgemeine Aussage: Zum Nachweis der Originalität oder auch nur Folgerichtigkeit des eigenen Denken genügt es nicht, sich selbst, die anderen aber nicht, als zu komplexen Überlegungen fähig zu stilisieren. Am Anfang allen komplexen Denkens steht die Fähigkeit, breit belegte Forschungsergebnisse zu rezipieren, zu verstehen und vor allem zu akzeptieren. Das hat natürlich die Konsequenz, dass man in Vorträgen nicht alles erzählen kann, was einem ideologisch gefällt, sondern nur, was sich belegen lässt.
Diefenbach, Heike (2007). Die schulische Bildung von Jungen und jungen Männern in Deutschland. In: Hollstein, Walter & Matzner, Michael (Hrsg.). Soziale Arbeit mit Jungen und Männern. München: Reinhardt, S.101-115.
Maaz, Kai, Baeriswyl, Franz & Trautwein, Ulrich (2011). Herkunft zensiert? Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheit in der Schule. Eine Studie im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland.
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