Unfähig oder hinterhältig? Steuerzahler zahlen in jedem Fall
Was passiert, wenn Bildungsforscher, die nicht nur Standardlehrbücher, sondern auch viele empirische Artikel zur deutschen Bildungsforschung beigetragen haben, mit einem Text konfrontiert werden, der die Bildungsforschung hinter Pestalozzi zurückwerfen will, können sich nicht-Bildungsforscher vielleicht nicht vorstellen. Deshalb ist im Folgenden zu lesen, was. Dr. habil. Heike Diefenbach zum DIPF-Versuch, Wissenschaft zu betreiben, den wir im Beitrag „Pädagogen lügen: Wie Bildungsnachteile von Jungen aus der Welt geredet werden sollen“ besprochen haben, zu sagen hat:
So langsam muss man es als Bildungsforscher persönlich nehmen, wenn Leute, die sich Bildungsforscher nennen und solchen Schwachsinn produzieren, mit ihrem Schwachsinn die gesamte Bildungsforschung lächerlich machen:
Was das DIPF hier ernsthaft behaupten will, ist, dass Söhne in Deutschland immer oder stark überwiegend Eltern aus der Arbeiterschicht haben und Töchter in Deutschland immer oder stark überwiegend Eltern aus der Mittelschicht haben, denn NUR DANN, also genau unter dieser Bedingung, ließe sich der Effekt von „Schülergeschlecht“ auf die verschiedenen Maße von Schulerfolg durch „soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern“ gänzlich oder nahezu wegerklären (denn nur dann wäre die Korrelation zwischen „Schülergeschlecht“ und „soziale Schichtzugehörigkeit“ hinreichend eng, um diese Variablen füreinander einsetzen zu können) – dies würde dann allerdings auch UMGEKEHRT gelten: der Effekt von „soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern“ auf verschiedene Maße von Schulerfolg ließe sich durch „Schülergeschlecht“ wegerklären. SELBST DANN, wenn die eingangs formulierte Annahme stimmen würde, wäre es also ein rein willkürlicher Akt, wenn man die Korrelation in die Richtung interpretieren würde, die dem DIPF ideologisch genehm erscheint. Würde man es vorziehen, die Richtung der Korrelation umgekehrt zu interpretieren, würde die Schlagzeile lauten:
„Soziale Schicht (nahezu) bedeutungslos für Schulerfolg! Vielmehr erklärt ‚Geschlecht‘ den Schulerfolg in Deutschland!“
Na, das wäre doch wenigstens einmal etwas Neues!
Aber die eingangs formulierte Annahme ist selbstverstänlich abstrus, und deshalb ist die grandiose Erkenntnis, die das DIPF hier produziert haben will, diejenige, dass Variablen, die man in ein statistisches Modell hineingibt, gewöhnlich mehr oder weniger stark miteinander korrelieren, und zwar nicht nur die erklärenden jeweils getrennt mit der zu erklärenden Variable, sondern auch die erklärenden Variablen untereinander. Das ist IMMER so, und es wäre ein echtes Novum in der Geschichte der mit Statstik arbeitenden Sozialforschung, wenn jemand ein statistisches Modell anhand empirischer Daten testen würde und herauskäme, dass alle erklärenden Variablen vollkommen unabhängig voneinander sind.
Oder anders formuliert: Wenn man in der empirischen Sozialforschung NUR DANN von relevanten statistischen Zusammenhängen sprechen wollte, wenn ALLE erklärenden Variablen einen statistischen Zusammenhang von NULL untereinander aufweisen würden, dann gäbe es in der empirischen Sozialforschung KEINERLEI relevante Zusammenhänge.
Was das DIPF hier als großartige bildungsforscherisch relevante Nachricht verkaufen will, ist schlicht die Trivialität
dass auch in Bezug auf die Erklärung von Schulerfolg mehrere Variablen erklärungskräftig sind und diese Variablen untereinander in einem Zusammenhang stehen.
Wow!!!
Wen will das DIPF denn damit veralbern??? Solche Dummheiten sind bestenfalls an Mainstream- Medien und deren Angestellte zu verkaufen, die ohnehin immer automatisch den Mund öffnen, wenn ein voll gefüllter Löffel an ihrem Horizont auftaucht. Aber die nimmt ja ohnehin fast niemand mehr ernst. Was also soll dieser schwächliche Versuch der Manipulation und Indoktrination?
Und dass es sich hier um einen solchen Versuch handelt, kann man aus einer einfachen Tatsache ableiten: Die grandiose „Erkenntnis“ der DIPF-Angestellten, deren fachliche Qualität offensichtlich dazu ausgereicht hat, um am DIPF eine Anstellung zu finden (was ein sehr schlechtes Licht auf das DIPF wirft), hätte sich bei ihnen auch schon einstellen können, als es darum ging, die vermeintlichen schulischen Nachteile von „Mädchen“ zu behaupten und zu beklagen. Aber seltsamerweise fiel es ihnen nicht ein, eine differenzierte Sicht auf die angeblichen Nachteil von „Mädchen“ anzumahnen. Warum nur?
Naja, für Mädchenförderung und die pseudowissenschaftliche Legitimation derselben gab es und gibt es immer noch Geld, und beim Geld hört die wissenschaftliche Rechtschaffenheit auf.
Oder ist es möglich, dass jemand die unsägliche Arroganz besitzt zu meinen, dass er trotz vollkommener statistischer Unkenntnis eben solche, d.h. statistische Mittel einsetzen könnte, um sein ideologisches Geschwätz als Wissenschaft erscheinen zu lassen? Anders formuliert: Kann man sich selbst so sehr fehleinschätzen?
Ich fürchte es läuft auf die Frage hinaus: Wollen diese Leute bewusst täuschen, oder sind sie so erschreckend unfähig?
Then again – in beiden Fällen ist es ein unhaltbarer Zustand, dass solche Leute auf von Steuerzahlern finanzierten Stellen sitzen, um just dieselben Steuerzahler hinters Licht zu führen.
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Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Pädagogik und Bildungsforschung? Bzw. gibt es einen Unterschied zwischen Erziehung und Bildung? Das würde man doch eigentlich annehmen, oder?
Allerdings sind die Grenzen sehr verschwommen. Zumindest für mich.
Erfüllen Institute wie das DIPF oder Medien wie das ÖR eigentlich noch einen Bildungsauftrag oder versuchen sie nicht eher die Öffentlichkeit zu erziehen … also oktroyieren ihre Wertevorstellung auf andere Menschen, wie es Eltern bei Kleinkindern machen?
Vielleicht geht es den Bildungsforschern ja wie mir und sie sehen keinen/kaum einen Unterschied zwischen Bildung und Erziehung.
Ja, über das Verhältnis zwischen Bildung und Erziehung lässt sich sicherlich trefflich diskutieren. Ich persönlich bin der Auffassung, dass jede Bildung, die über das schlichte Auswendiglernen von Fakten oder Vokabeln (oder Floskeln, falls man deren Auswendiglernen überhaupt unter “Bildung” fassen will), hinausgeht, eng mit Erziehung zusammenhängt. Damit meine ich allerdings eine Erziehung, die häufig als “menschliche Bildung” bezeichnet wird.
Ich persönlich halte deshalb beispielsweise Leute, die mit einem Abitur ausgestattet wurden und sich anschließend an Universitäten eingeschrieben haben, wo sie ihre Zeit u.a. damit verbringen, Redner mit Trillerpfeifen mundtot machen zu wollen oder nur Texte zur Kenntnis zu nehmen, die ihren schon vorher bestehenden unbegründeten Auffassungen entsprechen, für völlig ungebildet. Aber ich hätte keinerlei Schwierigkeiten damit, wenn jemand sie als “unerzogen”, um nicht zu sagen: “ungezogen” bezeichnen würde.
Zum Begriff “Bildungsforschung”:
Wenn ich in einem Zusammenhang wie dem, der in meinem obenstehenden Text angesprochen ist, von “Bildungsforschung” spreche, dann meine ich damit aber ganz schlicht all diejenigen, die mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden versuchen, Fragen, die sich auf Bildung, mindestens: formale Bildung, die zertifiziert wird und normalerweise im Zuge des Besuchs von Bildungsinstitutionen erworben wird, zu behandeln und zu beantworten. Das sind normalerweise Pädagogen oder Soziologen, und diese – und andere, auf die das eben formulierte Kritierium zutrifft – kann man praktischerweise unter den Begriff “Bildungsforscher” fassen.
Dementsprechend fiele also die Traktierung meiner Person in einer Englisch-Klassenarbeit mit genderistischen Texten oder klar ideologisch gefärbten Inhalten unter Erziehung? Ich bin mir nämlich nicht ganz sicher, wo genau wiederum eigentlich die Grenze zwischen Erziehung und Indoktrination verläuft, falls es überhaupt einen geben sollte.
“Dementsprechend fiele also die Traktierung meiner Person in einer Englisch-Klassenarbeit mit genderistischen Texten oder klar ideologisch gefärbten Inhalten unter Erziehung?”
Nein, wie kommen Sie darauf?
Ich hatte geschrieben:
“Damit meine ich allerdings eine Erziehung, die häufig als „menschliche Bildung“ bezeichnet wird.”
Und ideologische Indoktrination darf doch wohl als Gegenteil menschlicher Bildung gelten, denn als menschliche Bildung bezeichnet man u.a. solche Dinge wie Respekt vor der Person/Integrität anderer Menschen, vor deren Erfahrungen, Überzeugungen, Wünschen etc., wobei Respekt nicht gleichbedeutend ist mit fragloser Akzeptanz oder irgendwelchen Ideen von Gleichwertigkeit von allem, sondern vielleicht am besten zu übersetzen ist mit: Nicht-Einmischung in die persönlichen Angelegenheiten anderer Menschen, zu denen u.a. deren Überzeugungen über Geschlechterrollen, die Existenz oder Nicht-Existenz eines menschenverursachten Klimawandels oder deren heterosexuelle oder homosexuelle Präferenzen gehören.
Respekt bedeutet: Grenzen als solche anerkennen, und die Grenzen, die andere Menschen mir setzen, nicht mutwillig zu verletzen.
Wo persönliche Grenzen verlaufen, mag individuell etwas variieren, aber als Ethnologin kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass man gut beraten ist, wenn man davon ausgeht, dass sie ungefähr dort verlaufen, wo man selbst Grenzverletzungen anmahnen würde. Und es macht überall auf der Welt (außer vielleicht in Deutschland, sicher aber: an deutschen Schulen) einen sehr schlechten Eindruck, wenn man ungefragt seine persönliche Version der Weltverbesserung zum Besten gibt.
Wer z.B. Genderismus predigen will, der muss daher seinerseits akzeptieren, wenn ihm jemand die Prämissen und Ergebnisse der Evolutionspsycholgoie präsentiert, oder er als der berüchtigte Elefant im Porzellanladen verlacht wird.
Aufgabe der Schule in einer liberalen Gesellschaft muss es zuallererst sein, Schüler insofern zu bilden als sie das Handwerkszeug an die Hand bekommen, sich selbst und in Verantwortung für und vor sich selbst Urteile zu bilden. Das erfordert Sachwissen, Verfahrenswissen, die Fähigkeit zum gedanklichen Transfer und – grundsätzlich – Respekt vor anderen, aber auch sich selbst.
Der Einfachheit halber könnte man sagen, dass menschliche Bildung mit dem Verständnis des Kant’schen Instrumentalisierungsverbotes beginnt.
Wenn Ihre Lehrkräfte dies nicht kennen oder sich ihm nicht verbunden fühlen, so fürchte ich, dass auch für sie gelten muss, dass sie in einem tiefen Sinn schlichtweg ungebildet sind (egal, wie gut sie Englisch können mögen).
@ Roland
Bildung und Erziehung sind schwer zu differenzieren, weil beides auf das selbe gewünschte Resultat der Verhaltensprogrammierung abzielt. Der wesentliche Unterschied besteht wohl darin, dass Bildung dabei die erforderlichen Denkmuster erzeugt, während Erziehung die dazugehörigen Handlungsmuster hervorbringt, so dass ein vorhersagbares Verhalten andressiert wird. Der Gebildete denkt, was der Erzogene tut.
Weil ein Sozialsystem einerseits vor allem stabil, andererseits aber auch lern- und anpassungsfähig sein sollte, braucht man zwar Großteils entsprechend erzogene Menschen mit zuverlässigen Handlungen, aber auch solche, die vor allem gebildet sind, in ihren Handlungen jedoch offen bleiben, um aus veränderten Situationen heraus neue Wege und Lösungen zu finden, die die Stabilität wiederherstellen.
DIPF und ÖR erfüllen einen Bildungsauftrag, wenn sie die gewünschten Denkmuster also auch Wertevorstellungen erzeugen. Sie erziehen, wenn sie konkrete Handlungen zu deren Umsetzung vermitteln.
“Bildung und Erziehung sind schwer zu differenzieren, weil beides auf das selbe gewünschte Resultat der Verhaltensprogrammierung abzielt.”
Dem kann und will ich nicht uneingeschränkt zustimmen.
Ja, es stimmt, letztlich sind Bildung und Erziehung Enkulturationsprozesse, aber erstens sind diese nicht per se suspekt; ich finde es beispielsweise sehr hilfreich für uns alle, wenn (fast) jeder die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen beherrscht (und Letzteres ist in Deutschland ja schon keine Selbstverständlichkeit mehr …).
Und zweitens kann Bildung und Erziehung, wenn sie Formalia und Selbstverantwortlichkeit und nicht Inhalte und Kollektivismus betont, das Handwerkszeug an die Hand geben, das man braucht, um sich selbst Urteile zu bilden und selbst zu entscheiden, welche Art von “Verhaltensprogrammierung” man mit sich geschehen lassen will (z.B. eine Fremdsprache lernen) und welche nicht (den mehr oder weniger offen belobhudelten Genderismus in Schulbüchern nachbeten).
Aber all dies sagt noch nichts über den Unterschied zwischen Bildung und Erziehung.
Vermutlich ist es kein Zufall, dass man z.B. im Englischen gewöhnlich von “education” spricht, wenn man im Deutschen “bildung” oder eben “Erziehung” sagen würde.
Mal ehrlich: Ich vermute, (auch) die meisten Pädagogen hätten Schwierigkeiten, spontan anzugeben, worin der Unterschied besteht oder für sie bestehen soll.
Man kann sagen, dass sich Erziehung und Bildung insofern unterscheiden als der Eigenanteil beim Erwerb von Bildung deutlich größer ist als bei der Erziehung, bei der man eher Objekt als Subjekt ist
Oder man kann “Bildung” und “Bildungsprozesse” als Begriffe benutzen, die sich gesellschaftliche organisierte, formale Prozesse des Erwerbs von Wissen oder (meinetwegen) Verhaltensmustern, die im Rahmen von entsprechenden Institutionen stattfinden, und “Erziehung” für entsprechende informelle Prozesse (die vor allem in der Familie oder Verwandtschaft oder Dorfgemeinschaft, je nachdem, wo auf der Welt man ist, stattfindet).
De facto beschäftigen sich Bildungsforscher auch tatsächlich gewöhnlich mit gesellschaftlich organisierten, formalen, eben: Bildungsprozessen, und Erziehungsforscher eben mit eher informellen, eben: Erziehungsprozessen.
Wie tragfähig diese Unterscheidungen, die man begrifflich zu fassen versucht, angesichts der gelebten Realität sind, ist eine Frage, die sich nur durch entsprechende Untersuchungen klären lässt.
Aber wenn Begriffe solche Untersuchungen anleiten, dann erfüllen sie ja ihren Zweck als Suchanleitungen in der unübersichtlichen gelebten Realität.
Begriffe beschreiben ja nicht irgendwelche letzten Wahrheiten, sondern sind Instrumente, die man idealerweise sinnvoll einsetzt, z.B. als Suchanleitungen, aber auch sinnlos verwenden kann, z.B. als Kampfbegriffe oder wenn man Bevölkerungsgruppen als “Pack” bezeichnet. Wer Begriffe so verwendet, kann eigentlich nicht richtig sprechen und hat es insofern verpasst, eine wichtige Kulturtechnik zu erlernen.
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Liebe Leser,
gerade haben Sie uns dabei geholfen, eine Finanzierungslücke für das Jahr 2023 zu schließen, da ist das Jahr auch schon fast zuende.
Weihnachten naht.
Und mit Weihnachten das jährlich wiederkehrende Problem: Ein Weihnachtsmann, der im Kamin stecken bleibt, weil er zu viel anliefern muss.
Vermeiden Sie dieses Jahr diese Kalamität. Diversifizieren Sie Ihr Geschenkportfolio.
Z.B. indem Sie unsere Sorgen um die Finanzierung des nächsten Jahres mindern.
Unser Dank ist Ihnen gewiss! Und Sie können sicher sein, dass Sie auch im nächsten Jahr ScienceFiles in gewohntem Umfang lesen können.
Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Pädagogik und Bildungsforschung? Bzw. gibt es einen Unterschied zwischen Erziehung und Bildung? Das würde man doch eigentlich annehmen, oder?
Allerdings sind die Grenzen sehr verschwommen. Zumindest für mich.
Erfüllen Institute wie das DIPF oder Medien wie das ÖR eigentlich noch einen Bildungsauftrag oder versuchen sie nicht eher die Öffentlichkeit zu erziehen … also oktroyieren ihre Wertevorstellung auf andere Menschen, wie es Eltern bei Kleinkindern machen?
Vielleicht geht es den Bildungsforschern ja wie mir und sie sehen keinen/kaum einen Unterschied zwischen Bildung und Erziehung.
@Roland
Ja, über das Verhältnis zwischen Bildung und Erziehung lässt sich sicherlich trefflich diskutieren. Ich persönlich bin der Auffassung, dass jede Bildung, die über das schlichte Auswendiglernen von Fakten oder Vokabeln (oder Floskeln, falls man deren Auswendiglernen überhaupt unter “Bildung” fassen will), hinausgeht, eng mit Erziehung zusammenhängt. Damit meine ich allerdings eine Erziehung, die häufig als “menschliche Bildung” bezeichnet wird.
Ich persönlich halte deshalb beispielsweise Leute, die mit einem Abitur ausgestattet wurden und sich anschließend an Universitäten eingeschrieben haben, wo sie ihre Zeit u.a. damit verbringen, Redner mit Trillerpfeifen mundtot machen zu wollen oder nur Texte zur Kenntnis zu nehmen, die ihren schon vorher bestehenden unbegründeten Auffassungen entsprechen, für völlig ungebildet. Aber ich hätte keinerlei Schwierigkeiten damit, wenn jemand sie als “unerzogen”, um nicht zu sagen: “ungezogen” bezeichnen würde.
Zum Begriff “Bildungsforschung”:
Wenn ich in einem Zusammenhang wie dem, der in meinem obenstehenden Text angesprochen ist, von “Bildungsforschung” spreche, dann meine ich damit aber ganz schlicht all diejenigen, die mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden versuchen, Fragen, die sich auf Bildung, mindestens: formale Bildung, die zertifiziert wird und normalerweise im Zuge des Besuchs von Bildungsinstitutionen erworben wird, zu behandeln und zu beantworten. Das sind normalerweise Pädagogen oder Soziologen, und diese – und andere, auf die das eben formulierte Kritierium zutrifft – kann man praktischerweise unter den Begriff “Bildungsforscher” fassen.
Dementsprechend fiele also die Traktierung meiner Person in einer Englisch-Klassenarbeit mit genderistischen Texten oder klar ideologisch gefärbten Inhalten unter Erziehung? Ich bin mir nämlich nicht ganz sicher, wo genau wiederum eigentlich die Grenze zwischen Erziehung und Indoktrination verläuft, falls es überhaupt einen geben sollte.
@Autor
Nein, wie kommen Sie darauf?
Ich hatte geschrieben:
Und ideologische Indoktrination darf doch wohl als Gegenteil menschlicher Bildung gelten, denn als menschliche Bildung bezeichnet man u.a. solche Dinge wie Respekt vor der Person/Integrität anderer Menschen, vor deren Erfahrungen, Überzeugungen, Wünschen etc., wobei Respekt nicht gleichbedeutend ist mit fragloser Akzeptanz oder irgendwelchen Ideen von Gleichwertigkeit von allem, sondern vielleicht am besten zu übersetzen ist mit: Nicht-Einmischung in die persönlichen Angelegenheiten anderer Menschen, zu denen u.a. deren Überzeugungen über Geschlechterrollen, die Existenz oder Nicht-Existenz eines menschenverursachten Klimawandels oder deren heterosexuelle oder homosexuelle Präferenzen gehören.
Respekt bedeutet: Grenzen als solche anerkennen, und die Grenzen, die andere Menschen mir setzen, nicht mutwillig zu verletzen.
Wo persönliche Grenzen verlaufen, mag individuell etwas variieren, aber als Ethnologin kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass man gut beraten ist, wenn man davon ausgeht, dass sie ungefähr dort verlaufen, wo man selbst Grenzverletzungen anmahnen würde. Und es macht überall auf der Welt (außer vielleicht in Deutschland, sicher aber: an deutschen Schulen) einen sehr schlechten Eindruck, wenn man ungefragt seine persönliche Version der Weltverbesserung zum Besten gibt.
Wer z.B. Genderismus predigen will, der muss daher seinerseits akzeptieren, wenn ihm jemand die Prämissen und Ergebnisse der Evolutionspsycholgoie präsentiert, oder er als der berüchtigte Elefant im Porzellanladen verlacht wird.
Aufgabe der Schule in einer liberalen Gesellschaft muss es zuallererst sein, Schüler insofern zu bilden als sie das Handwerkszeug an die Hand bekommen, sich selbst und in Verantwortung für und vor sich selbst Urteile zu bilden. Das erfordert Sachwissen, Verfahrenswissen, die Fähigkeit zum gedanklichen Transfer und – grundsätzlich – Respekt vor anderen, aber auch sich selbst.
Der Einfachheit halber könnte man sagen, dass menschliche Bildung mit dem Verständnis des Kant’schen Instrumentalisierungsverbotes beginnt.
Wenn Ihre Lehrkräfte dies nicht kennen oder sich ihm nicht verbunden fühlen, so fürchte ich, dass auch für sie gelten muss, dass sie in einem tiefen Sinn schlichtweg ungebildet sind (egal, wie gut sie Englisch können mögen).
Danke für die Klarstellung, mir ist die von Ihnen zitierte Stelle wohl entfallen. Kommt davon, wenn man müde noch Kommentare schreibt.
@ Roland
Bildung und Erziehung sind schwer zu differenzieren, weil beides auf das selbe gewünschte Resultat der Verhaltensprogrammierung abzielt. Der wesentliche Unterschied besteht wohl darin, dass Bildung dabei die erforderlichen Denkmuster erzeugt, während Erziehung die dazugehörigen Handlungsmuster hervorbringt, so dass ein vorhersagbares Verhalten andressiert wird. Der Gebildete denkt, was der Erzogene tut.
Weil ein Sozialsystem einerseits vor allem stabil, andererseits aber auch lern- und anpassungsfähig sein sollte, braucht man zwar Großteils entsprechend erzogene Menschen mit zuverlässigen Handlungen, aber auch solche, die vor allem gebildet sind, in ihren Handlungen jedoch offen bleiben, um aus veränderten Situationen heraus neue Wege und Lösungen zu finden, die die Stabilität wiederherstellen.
DIPF und ÖR erfüllen einen Bildungsauftrag, wenn sie die gewünschten Denkmuster also auch Wertevorstellungen erzeugen. Sie erziehen, wenn sie konkrete Handlungen zu deren Umsetzung vermitteln.
@Roland
Sie schreiben:
“Bildung und Erziehung sind schwer zu differenzieren, weil beides auf das selbe gewünschte Resultat der Verhaltensprogrammierung abzielt.”
Dem kann und will ich nicht uneingeschränkt zustimmen.
Ja, es stimmt, letztlich sind Bildung und Erziehung Enkulturationsprozesse, aber erstens sind diese nicht per se suspekt; ich finde es beispielsweise sehr hilfreich für uns alle, wenn (fast) jeder die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen beherrscht (und Letzteres ist in Deutschland ja schon keine Selbstverständlichkeit mehr …).
Und zweitens kann Bildung und Erziehung, wenn sie Formalia und Selbstverantwortlichkeit und nicht Inhalte und Kollektivismus betont, das Handwerkszeug an die Hand geben, das man braucht, um sich selbst Urteile zu bilden und selbst zu entscheiden, welche Art von “Verhaltensprogrammierung” man mit sich geschehen lassen will (z.B. eine Fremdsprache lernen) und welche nicht (den mehr oder weniger offen belobhudelten Genderismus in Schulbüchern nachbeten).
Aber all dies sagt noch nichts über den Unterschied zwischen Bildung und Erziehung.
Vermutlich ist es kein Zufall, dass man z.B. im Englischen gewöhnlich von “education” spricht, wenn man im Deutschen “bildung” oder eben “Erziehung” sagen würde.
Mal ehrlich: Ich vermute, (auch) die meisten Pädagogen hätten Schwierigkeiten, spontan anzugeben, worin der Unterschied besteht oder für sie bestehen soll.
Man kann sagen, dass sich Erziehung und Bildung insofern unterscheiden als der Eigenanteil beim Erwerb von Bildung deutlich größer ist als bei der Erziehung, bei der man eher Objekt als Subjekt ist
Oder man kann “Bildung” und “Bildungsprozesse” als Begriffe benutzen, die sich gesellschaftliche organisierte, formale Prozesse des Erwerbs von Wissen oder (meinetwegen) Verhaltensmustern, die im Rahmen von entsprechenden Institutionen stattfinden, und “Erziehung” für entsprechende informelle Prozesse (die vor allem in der Familie oder Verwandtschaft oder Dorfgemeinschaft, je nachdem, wo auf der Welt man ist, stattfindet).
De facto beschäftigen sich Bildungsforscher auch tatsächlich gewöhnlich mit gesellschaftlich organisierten, formalen, eben: Bildungsprozessen, und Erziehungsforscher eben mit eher informellen, eben: Erziehungsprozessen.
Wie tragfähig diese Unterscheidungen, die man begrifflich zu fassen versucht, angesichts der gelebten Realität sind, ist eine Frage, die sich nur durch entsprechende Untersuchungen klären lässt.
Aber wenn Begriffe solche Untersuchungen anleiten, dann erfüllen sie ja ihren Zweck als Suchanleitungen in der unübersichtlichen gelebten Realität.
Begriffe beschreiben ja nicht irgendwelche letzten Wahrheiten, sondern sind Instrumente, die man idealerweise sinnvoll einsetzt, z.B. als Suchanleitungen, aber auch sinnlos verwenden kann, z.B. als Kampfbegriffe oder wenn man Bevölkerungsgruppen als “Pack” bezeichnet. Wer Begriffe so verwendet, kann eigentlich nicht richtig sprechen und hat es insofern verpasst, eine wichtige Kulturtechnik zu erlernen.