Mitläufereffekt: Plötzlich ist eine Mehrheit für Zensur
Schon 1975 hat Kurt Holm in seinem Standardwerk über die Befragung den Mitläufereffekt als Mittel der Meinungsmanipulation in Umfragen beschrieben. Den Befragten wird suggeriert, dass zu einer bestimmten Frage bereits eine Mehrheit oder eine Obrigkeit oder eine Autorität zu einem bestimmten Urteil gekommen ist und dann werden die Befragten gefragt, zu welchem Urteil sie denn kommen: „Dieser Appell an den Mitläufereffekt“, so schreibt Holm, hat „natürlich nur einen Sinn, wenn der Befragte auch tatsächlich unter dem Eindruck steht, dass so wie er denkt und handelt, auch viele andere denken und handeln, ohne offen darüber zu sprechen“ (Holm, 1983: 63).
Entsprechend kann der Mitläufereffekt auch als Variante sozialer Erwünschtheit angesehen werden, soziale Erwünschtheit, die darin besteht, mit seiner Meinung die Mehrheitsmeinung zu repräsentieren, sich als Mitglied der Mehrheit, der In-Group darzustellen, nicht als Außenseiter mit abweichender Meinung.
In jedem Fall führen Mitläufereffekt und soziale Erwünschtheit dazu, dass Befragte den Befragern nach dem Mund reden, was Letztere leidlich ausnutzen, wenn es darum geht, eine bestimmte Verteilung von Antworten in angeblich repräsentativen Befragungen herbei zu manipulieren.
YouGov leistet dies seit neuestem sogar in besonders innovativer Weise und in eigenen Worten dadurch, dass „1036 Personen ab 18 Jahren im Zeitraum vom 7. bis 11. April repräsentativ befragt“ wurden. Wie man repräsentativ befragt, ist eine Frage, die mit Sicherheit niemand bei YouGov beantworten kann, einfach deshalb nicht, weil die Formulierung vollkommener Unsinn ist.
Aber darum geht es auch nicht. Es geht darum, mit dem Wörtchen „repräsentativ“ jenen Köder zu legen, den Journalisten gerne fressen, so dass die Ergebnisse von YouGov ihren Weg in die Medien Deutschlands finden, sich dort in Schlagzeilen wie: „Mehrheit der Deutschen finden Gesetzentwurf gegen Hasskommentare sinnvoll“ niederschlagen.
Die Mehrheit der Deutschen hat mit Sicherheit keine Ahnung, was in dem Gesetzentwurf, den sie nach den Ergebnissen, die YouGov verkaufen will, „sinnvoll finden“, steht. Entsprechend muss diese Mehrheit, nicht der Deutschen, sondern der 1036 Befragten, die YouGOV zusammenbekommen hat, auf das Vertrauen, was YouGOV an Informationen über den Gesetzentwurf bereitstellt.
YouGov Stellt diese Informationen bereit:
„Die Bundesregierung will stärker gegen Hasskommentare und Falschnachrichten im Internet vorgehen. Sie stimmte dem Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas zu. Dieser sieht vor, dass Betreiber sozialer Netzwerke innerhalb von 24 Stunden strafbare Inhalte löschen müssen. Sonst drohen im Extremfall bis zu 50 Millionen Euro Bußgeld. Sind Sie der Meinung, dass dieses Vorgehen sinnvoll ist, um gegen Hasskommentare und Falschnachrichten im Internet vorzugehen?“
Die Mehrheit der Befragten, die nicht wissen, was im Gesetzentwurf steht, erfährt von YouGov, dass das, was sie nicht kennen, von der Bundesregierung bereits abgesegnet wurde, dass Betreiber sozialer Netzwerke strafbare Inhalte löschen müssen, die zwar wenig mit Hasskommentaren und gar nichts mit FakeNews zu tun haben, aber dennoch mit beidem in Verbindung gebracht werden. Sie werden dann gebeten, anzugeben, ob das Gesetz, mit dem gegen strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken vorgegangen werden soll, ein Vorgehen, von dem sie zwar nicht wissen, wie es aussieht, so dass sie es auch nicht beurteilen können, von dem ihnen aber gesagt wurde, dass es gegen strafbare Inhalte gerichtet sei, also gegen Kriminalität und dass es die Bundesregierung bereits abgesegnet habe, auf jeden Fall sinnvoll ist, eher sinnvoll ist, eher nicht sinnvoll ist oder auf keinen Fall sinnvoll ist.
Und als wäre der Aberwitz nicht bereits auf die Spitze getrieben, geben nunmehr die Befragten, zu dem, von dem sie nicht wissen, wie es funktionieren soll, weil es noch niemand weiß, nicht einmal Heiko Maas weiß es, eine Beurteilung darüber ab, ob das, von dem sie nicht wissen, wie es funktionieren soll, sinnvoll ist.
Letztlich misst die Frage von YouGov, die man nicht anders als als vollkommenen Blödsinn bezeichnen kann, Blödsinn, der mit Manipulationsabsicht in die Welt gesetzt wird, nichts, gar nichts.
Das hindert YouGov natürlich nicht daran, reißerische Schlagzeilen zu formulieren und das Ergebnis den Pressevertretern anzudienen, die gerne auf solche Ergebnisse zurückgreifen, um ihre eigene Ideologie bestätigt zu finden.
Fragt man nun, wie es dazu kommt, dass Meinungsforscher ihre Aufgabe vor allem darin sehen, Zustimmung zu dem herbei zu manipulieren, was als politisch Korrekt angesehen wird, dann bieten sich eine Reihe von Erklärungen an:
Die Erklärung durch Opportunismus: Meinungsforscher finden, was der, der die Meinungsforscher bezahlt, gerne erfunden hätte.
Die Erklärung durch Inkompetenz: Mit dem Advent des Genderismus an Hochschulen sind Methoden der empirischen Sozialforschung und die dazu gehörigen Kenntnisse weitgehend verschwunden. Die meisten Absolventen haben keine Ahnung mehr von Reliabilität und Validität und kennen auch die Kunst des Frageformulierens nicht einmal mehr vom Hörensagen.
Die Erklärung durch Isomorphie: Meinungsforscher rekrutieren sich alle aus dem selben Meinungssumpf, zeichnen sich alle durch die selbe Unkenntnis im Hinblick auf die Methoden empirischer Sozialforschung aus und sind entsprechend darauf angewiesen, Fragen zu kopieren und zu verwenden, die andere Meinungsforscher, die genauso inkompetent sind, aber nicht so zögerlich, bereits formuliert haben.
Welche Erklärung zutrifft, ist anyones guess.

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Krank! Zensur nützt immer nur denen, die zensieren (lassen). Ich fasse es nicht. Die sind so dumm, dass sie die Schweine beißen.
In der Demokratie entscheiden ständig Menschen über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben.
Da ist die Manipulation schon in der Frage angelegt. Es geht ja nicht nur um strafbare, sondern sogar schon um rechtswidrige Inhalte. Das ist ein Unterschied!
NEIN zu ZENSUR !
Allianz für Meinungsfreiheit* wendet sich jetzt gegen Justizminister Maas’ Netzwerkdurchsetzungs-Gesetz
*Reporter ohne Grenzen, Bitkom, der Deutsche Journalisten-Verband, Verbände wie BIU, eco, BVDW und BITMi, die Internet Society, der Chaos Computer Club, Digitale Gesellschaft, D64, cnetz.e.V., Wikimedia Deutschland, zahlreiche Juristen u.a.
> https://netzpolitik.org/2017/breites-buendnis-stellt-sich-mit-deklaration-fuer-die-meinungsfreiheit-gegen-hate-speech-gesetz/
> https://kirchfahrter.wordpress.com/2017/04/17/allianz-fuer-meinungs%c2%adfreiheit-macht-gegen-maas-mobil-freiewelt-net/
Kann mir jemand erklären, warum ausgerechnet die AAS-Geier (Amadeu-Antonio-Stiftung) gegen das “Netzwerkdurchsetzungsgesetz” sind? Meines Wissens gehören die doch zu dem von Maas und Schwesig betriebenen Zensurapparat?
@ Hans Rudolph
Nicht nur die AAS, auch andere Unterzeichner waren sicherlich schon am Entwurf beteiligt. Daher bezweckt die Deklaration wohl mehr eine Scheindebatte. So entsteht der Eindruck, dass der Gesetzentwurf tiefgehend rechtlich hinterfragt und ausgiebig beraten wird, Gegener des Gesetzes dem Irrtum erliegen, bereits angemessen politisch vertreten zu sein, und damit einer sachlichen Prüfung durch den Bundestag zuvorgekommen werden kann.
Ich bin von YouGov dazu befragt worden. Meine Antwort war die mit der kleinsten Prozentzahl. Die Befragung erfolgte bei mir elektronisch. Als manipulativ empfand zumindest ich das nicht. Die Frage ist meiner Ansicht nach klar und neutral formuliert. Ich hatte Zeit, sie mir in Ruhe durchzulesen und dann zu beantworten.
Und wie funktioniert die Durchsetzung in sozialen Netzwerken?
Ganz Deiner Meinung. Man hatte genügend Zeit. Und auch ich bin in der kleinsten Gruppe.
Es kann aber schon sein, dass dieses Ergebnis korrekt ist. Diejenigen, die die Frage nicht verstanden haben, da sie selbst für YouGov-Verhältnisse sehr ist, haben entsprechend das für sie einfachste angeklickt, und das ist die erste Antwort.
Die Ergebnisse zu sehen, ist auch für mich immer wieder interessant, wie daneben einige Leute denken.
Da brate mir doch einer einen Storch :O
Wer hat sich denn da unter die Gegner des Maasschen Gesetzesentwurfes gezeckt?! Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die einen Teil der Task Force gegen Hatespeech in sozialen Netzwerken gestellt und Maas unterstützt hat, will von alledem plötzlich nichts mehr wissen und ist nun Verteidigerin des Artikel 5 des Grundgesetzes??? Was ist da los?
Haben die einen neuen Herrn und Meister gefunden? Ich glaube zumindest nicht, dass da irgendjemand ein Rückgrat aus seinem alten FDJ-Hemd geschüttelt hat. Ist das eine Nebelkerze?
Zum Vergleich ein Artikel über die Amadeu-Antonio-Stiftung von 2016
https://www.mobilegeeks.de/artikel/hatespeech-antonio-amadeo-stiftung-einschraenkung-meinungsfreiheit/
Die vielen Artikel von Sciencefiles zur AA-Stiftung (IM Victoria alias Anetta Kahane als Vorsitzende der AA-Stiftung und der Selbstmord von Klaus Bartsch; Verflechtung mit anderen fragwürdigen Organisationen wie den Neuen Medienmachern oder die AA-Stiftung und die Neuen Rechten) kann ja jeder selbst raussuchen
Und nun das hier:
https://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/news/192196/index.html
“Kritik an Netzwerkdurchsetzungsgesetz” und die Amadeu-Antonio-Stiftung wird explizit erwähnt
Mir genügen die zehn Gebote, wenn ich mich im Netz bewege!
Richtig: Du sollst keinen anderen Gott neben ScienceFiles haben… :))
Natürlich ist die Frage suggestiv gestellt und es wird auch im Bericht “sinnvoll, um .. vorzugehen” ausgetauscht gegen “sinnvoll, dass .. vorgegangen wird” vertauscht. Aber warum fallen die Leute auf derlei Suggestionen herein? Das setzt doch voraus, dass sie keine klar strukturierte Meinung zum Thema haben. Möglicherweise ist das Thema ihnen egal, sie haben es nicht zu Ende gedacht, oder die Meinung ist eher diffus vorhanden. Davon gehen die Befrager offenbar aus, sonst würde es sich nicht lohnen, manipulativ zu fragen. Ich finde es erschreckend, das offenbar viele Bürger keine klare Meinung zum Thema Meinungsfreiheit haben, die nun doch Grundlage einer funktionierenden Demokratie ist. Gab es nicht einmal den Vorschlag, das Wahlrecht mit einem Intelligenztest zu koppeln?
Hierzu passt eine Untersuchung von Latane & Darley (allerdings praktisch umgekehrt).Beispiel ist volgender Fall aus dem Jahre 1960 wo Kitty Genovese ueber einen Zeitraum von 45 Minuten am hellichten Tage vor ihrer Wohnung misshandelt, vergewaltigt und schliesslich mit mehreren Messerstichen ermordet wurde. Dieser Vorgang wurde von 38 Personen beobachtet. Niemand eilte ihr zur Hilfe.
Daraufhin haben die beiden Psychologen Versuche unternommen, wie sich Umstehende in Notfaellen verhalten. Ein Raum wurde in kleine abeschlossene Kabinen unterteilt. In einer Kabine war ein Student. In einer anderen liefen Tonbaender ab, in dem einer um Hilfe rief und Erstickungs Symptome spielte. Wenn der andere Student der Annahme war, dass die Person alleine war, reagierten 85% der Versuchspersonen positiv und wollten helfen. Sobald der Student annahm, dass 2 Personen in der anderen Kabine waren, sank die Hilsbereitschaft auf 65%. Wenn er glaubte, dass 4 Personen in der Kabine waren sank dies auf 30% ab. MaW sobald 4 oder mehr Augenzeugen gegenwaertig sind, denkt jeder irgendein anderer wird etwas unternehmen. Je groesser die Zahl der Umstehenden ist, desto weniger zeigen sie sich hilfsbereit.
Ein anderes Beispiel: eine Versuchsperson simuliert auf einem Burgersteig einen Epilepsy Anfall. Wenn nur ein Augenzeuge gegenwaertig war, wurde sofort vesucht zu helfen. Bei 5 oder mehr warteten die anderen, dass irgend einer hilft. Der Grenzwert liegt demnach bei mehr als 4/5 Personen.
Ein kuerzliches Beispiel aus Deutschland. Ein (angeblich) erst kurz in Dt Lebender, verhielt sich gewalttaetig in einem vollbesetzten Bus oder Zugabteil. Ein Mann – gruener Politiker – interveniert. Niemand half ihm. Ein Leserkommentar im Netz ” das Letzte was ich tun wuerde, ist, einem Gruenen zu helfen”. Starker Tobak.