Der multifunktionale Özil
15 von 18 Artikeln bei Spiegel Online behandeln Özil. Die Tagesschau hat seit Tagen Özil als Aufmacher. Alle Gazetten kennen scheinbar nur ein Thema: Özil. Seit Tagen trendet Özil auf Twitter. Mesut Özil ist gelungen, was nur wenigen gelingt, er hat Donald Trump auf die Plätze verbannt.
Die Geschichte, wie wir sie für relevant halten.
Der Fußballspieler Özil trifft sich mit Recep Tayyip Erdogan zum Fototermin; Passenderweise im Wahlkampf, den Erdogan gewinnen will.
Das sei Respekt für das Amt, habe mit Politik nichts zu tun, sagt Özil. Er trenne zwischen Person und Position, treffe sich daher nicht mit Erdogan, sondern dem türkischen Präsidenten. Elaboriert, aber in einem Ausmaß naiv und weltfremd, das nicht einmal ein Fußballspieler und nicht einmal dann, wenn man alle Stereotype bemüht, die mit Fußballspielern verbunden werden, erreichen kann.
Der Nationalspieler Özil tritt auf den Politikseiten in die Schlagzeilen; als Wahlhelfer Erdogans. Und weil er Erdogan als „seinen Präsidenten“ bezeichnet hat, gibt es Ärger mit seinem Engagement in der deutschen Fußballnationalmannschaft.
Ein Termin beim deutschen Präsidenten Steinmeier soll es richten. Man lacht gemeinsam in die Kameras der Journalisten und hofft, die Sache sei ausgestanden. Steinmeier ist eben auch Özils Präsident, er habe zwei Herzen, ein türkisches und ein deutsches, so wird Özil später schreiben.
Dann kommt das Fiasko in Russland, nicht das erste, aber eines im Fußball und beim Fußball hören Spaß; Freundschaft und Integration auf. Özil wird zum Schuldigen für die Pleite erklärt, obwohl er der Spieler ist, der während der WM die meisten Chancen in einem Spiel geschaffen hat.
5.5 – @MesutOzil1088 created more chances per 90 minutes than any other player at the 2018 World Cup (minimum 90 minutes played). Tackled. pic.twitter.com/IQTGWqba9Q
— OptaJoe (@OptaJoe) July 23, 2018
Egal.
Die Erdogan-Sache kocht wieder hoch.
Der DFB bemüht Volkes Enttäuschung in Bahnen zu lenken, die von Funktionären wegführen, will nun und urplötzlich, dass sich Özil erklärt.
Özil erklärt sich, verkündet seinen Rückzug aus der Nationalmannschaft und macht alles nur noch schlimmer.
Es ist schwierig vorstallbar, wie Özil hätte reagieren sollen, um nicht in den Malstrom derer zu geraten, die jede Gelegenheit nutzten, um aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, die alles und jeden instrumentalisieren, um gegen Extremismen zu Feld zu ziehen und sich zum Anwalt für oder gegen eine Person zu erklären.
Wie immer in einem solchen Fall, erweisen sich die Deutschen als Spezialisten der logischen Fehlschlüsse.
Zum Beispiel des induktiven Fehlschlusses:
1) Özil sei schuld am schlechten Abschneiden der Nationalmannschaft
Elf Mann stehen in einer Mannschaft. Niederlage und Sieg wird geteilt. Spielt die Mannschaft schlecht, ist nicht ein Spieler daran schuld, sondern alle. Spielt sie gut, ist es auch so.
Özil mag Teil einer schlechten Mannschaftsleistung sein, aber er ist nicht am schlechten Abschneiden der Nationalmannschaft schuld.
Zum Beispiel des psychologischen Fehlschlusses:
2) Die Erdogan-Sache habe den Versuch der Nationalmannschaft, Weltmeister zu werden, überschattet.
Das nennt man einen nicht fundierten und deshalb psychologischen Fehlschluss. Es gibt keinen Agens, nennen wir ihn Erdogan-Agens, der sich in gleicher Weise spielverhindernd auf alle Spieler einer Mannschaft niederlässt und sein Unwesen treibt. Wer einen derartigen Agens annimmt, muss logischer Weise auch an die heilende Kraft von Steinen glauben und vermuten, die Weltmeisterschaft sei deshalb nicht gewonnen worden, weil im deutschen Team nicht genug spielen, die im Sternzeichen Stier und Zwillinge geboren sind, denn beide wären einem Sieg förderlich gewesen.
Zum Beispiel der wilden Assoziation:
3) Der Rückzug Özils aus der Nationalmannschaft zeige, dass es mit der Integration in Deutschland im Argen liege, oder er werfe die Integrationspolitik um Jahrzehnte zurück, oder er zeige, dass Türken immer noch Bürger zweiter Klasse seien oder …
Die Gutmenschen hyperventilieren.
Der Rückzug Özils zeigt, dass es Özil reicht, instrumentalisiert zu werden. Dass er nunmehr und nach seinem Rückzug von anderen instrumentalisiert wird, ist Ironie der Geschichte, die uns zum Titel dieses Posts bringt:
Der multifunktionale Özil.
Er steht für die Instrumentalisierung von Menschen durch Dritte, die sich deren Gutmütigkeit, Naivität, Eitelkeit oder Dummheit zunutze machen.
- Erdogan instrumentalisiert Özil für seinen Wahlkampf.
- DFB-Funktionäre instrumentalisieren Özil, um eine Debatte über die Ursachen und Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden in Russland von sich fern zu halten.
- Politiker und Funktionäre aller Couleur instrumentalisieren Özil,
um das Ende oder Scheitern der Integrationspolitik zu verkünden oder zu befürchten, Rassismus zu wittern, zum Kampf gegen Rassismus aufzurufen, sich – wie Ulli Hoeneß – als Meister der Fäkalsprache ins Gespräch zu bringen, die Notwendigkeit, neuer Mittel für Integration zu betonen, die AfD für die angebliche Ablösung der türkischen Gemeinden von Deutschland verantwortlich zu machen …
Mesut Özil ist wirklich multifunktional instrumentalisierbar. Hat er Mitleid verdient? Er, der Millionär, der in Großbritannien lebt, wie Ralf Stegner festgestellt hat: nein.
Schrille Debatte um Özil-Rückzug aus Nationalelf. Rassistische Töne+Anti-Ausländer Klischees vollständig daneben!
Mitleid mit Millionären,die weder auf noch neben dem Platz überzeugen, ist auch unangebracht.
Es gibt genug Talente, die sich anstrengen und Vorbild sein wollen.— Ralf Stegner (@Ralf_Stegner) July 23, 2018
Hat er etwas gelernt?
Hoffentlich. Die Lektion lautet: Lass‘ Dich nicht von Politikern oder Funktionären instrumentalisieren, halt‘ Dich von Ihnen fern. Nur so kann man ein cleanes Leben führen, sofern man das will.
Wie schreibt schon Kant. Die Würde eines Menschen sei zu achten. Man dürfe Menschen nicht bloß als Mittel zum Zweck, müsse sie immer als Mittel und Zweck behandeln. Das, was die deutsche Diskussion um Özil so abstoßend macht, ist, dass ihn fast jeder nur als Mittel, für den von ihm gerade verfolgten Zweck sieht, entweder den Rassismus zu beschwören und einen neue Integrationsdebatte natürlich mit zugehörigen Bundesprogrammen zur Förderung der Integration von Türken, an denen sich gut verdienen lässt, anzufeuern oder ihn zum Fanal für den Kampf gegen die türkische Unterwanderung der deutschen Kultur zu erklären oder ihn zum Sündenbock des schlechten Abschneidens der Fußballnationalmannschaft zu machen.
Mesut Özil ist eben multifunktional instrumentalisierbar.
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“Fußballerisch wird er auch nicht vermisst, denn auf seine 5-Meter-Sicherheitspässe können die deutschen Fans verzichten. Wie Uli Hoeneß sagte, Özil ist ein „Alibi-Kicker, der seit Jahren nichts mehr in der Nationalmannschaft verloren hat und nur Dreck spielt“.
http://www.pi-news.net/2018/07/die-oezil-debatte-geht-in-wahrheit-um-den-islam-nicht-um-rassismus/
Es gibt wenig Grund, Özil wegen vor dem momentanen Rummel um seine Person in Schutz zu nehmen, denn die gesamte Diskussionen, die derzeit laufen, haben seine „Berater“ und Presseleute bewusst lanciert. Ich glaube zwar nicht, dass er so gescheit ist, die ganze Situation zu überblicken, trotzdem ist er letztendlich selber schuld daran, was sein PR-Leute hier initialisiert haben.
Er ist Geschäftsführer seiner Firma Fußballprofi und ist deshalb auch verantwortlich für das Tun der von ihm beauftragten PR-Leute. Fußball gehört zum Wirtschaftszweig Showbusiness/Unterhaltung, dazu gehören selbstverständlich auch entsprechende PR-Aktivitäten. Ob die in diesem Fall gut für sein Geschäft sind – das mag ich nicht zu beurteilen.
Schaut man in Özils Londoner Wohnung, wie ein Beitrag eines britischen Lifestyle Magazins zeigt, so hängt dort über dem Sofa ein großes Ölgemälde von Mehmet II., der Konstantinopel eroberte und damit die islamische Unterwerfung der kleinasiatischen Halbinsel abschloss. Darauf weist Özil im Video-Rundgang auch stolz hin. Özil steht den Neoosmanen um Erdogan viel näher als manche wahrhaben wollen. Die Ursünde war aber die politische Aufladung des Sports und die Stilisierung Özils zur Ikone der Integration, die jetzt irgendwie die verteidigen müssen, die ihn damals politisch instrumentalisiert haben, bevor Erdogan zugriff und das aktuelle Dilemma erzeugte.
Nur eine Korrektur: Nicht Özil, sondern Gündogan hat Erdogan als “seinen Präsidenten” bezeichnet und sich das auf ein Trikot drucken lassen. Gündogans Koketterie und halbgare Erklärung geht im Herdenjournlaismus aber derzeit unter.
Ich widerspreche den Ausführungen zum Punkt: psychologischer Fehlschluß.
Natürlich gibt es kein Erdogan Agens. Aber man kann Szenarien denken, die in der Tat eine Überschattung darstellen.
Eine entscheidende Frage ist zum Beispiel die, ob Özils letzliche Nominierung (und z.B. das Heimschicken von Sane) zu 100% nur aufgrund sportlicher Erwägungen erfolgte. Ist es z.B. vorstellbar, daß man Özil deswegen mitnahm, um einem Rassismusvorwurf aus dem Wege zu gehen, der sicherlich erhoben worden wäre, hätte man Özil letzlich nicht nominiert nach seiner Erdogan-Aktion? Ich halte es für höchst wahrscheinlich, daß solche Gedanken in den Köpfen der anderen Spieler herumspukten. Was natürlich niemand öffentlich äußern würde, aus bekannten Gründen. Auch manch „schwammigen“ Äußerungen anderer Spieler lassen sich in diese Richtung deuten.
Es gab ja auch schon Mutmaßungen um Özils Bevorzugung wegen des gleichen Beraters wie Löw. Ist so ein Zwefel erst einmal vorhanden, arbeitet dieser weiter. Warum also nicht auch in geschilderter überschattender Weise…
Es ist reinstes Affentheater. Wir waren doch mal alle Charlie. Dann ist Macron doch auch mein Präsident.
Und zur WM: Vielleicht hatte auch A:M: keine Lust zu P nach Moskau zu fahren und Frankreich war eh an der Reihe.