Professor schlägt Alarm: Zugewanderte verarmen in Deutschland
Manche Pressemeldungen, die wir auf unseren Schreibtisch bekommen, muss man verarbeiten, man muss sie reifen lassen, mehrfach lesen, um sich zu vergewissern, dass das, was man meint, gelesen zu haben, auch wirklich in der Pressemeldung steht. Letzteres ist vor allem dann notwendig, wenn das, was man gelesen hat, an allen Richtwerten scheitert, die man an sinnvolle Äußerungen anlegt.
Eine Pressemeldung von der Universität Duisburg-Essen, vom gestrigen Tag, gehört zu diesen Pressemeldungen.
„UDE [Universität Dusiburg-Essen]: Das Armutsrisiko wächst vor allem bei Zugewanderten“, so lautet die Schlagzeile. Und in diesem Tenor geht es weiter: „Die Gefahr, in Deutschland zu verarmen, wächst – vor allem bei zugewanderten ausländischen Mitbürgern. … Vor allem die kürzlich zugewanderten Flüchtlinge müssen mehrheitlich in großer Armut leben. Das hat verschiedene Ursachen: Flüchtlinge, Asylbewerber und Schutzsuchende haben in der Regel keine Arbeitserlaubnis und sind auf die niedrigen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetzt angewiesen. Selbst wer nach einer Anerkennung eine Arbeitserlaubnis hat, ist überproportional häufig arbeitslos oder arbeitet für einen Niedriglohn. ‚Auch niedrigere Bildung, nicht anerkannte Abschlüsse und nicht zuletzt offene und versteckte Diskriminierung tragen zu einer erhöhten Armutsgefährdung bei‘, konstatiert der IAQ-Forscher Prof. Dr. Gerhard Bäcker“.
Wir haben schon länger den Eindruck, dass Gutmenschen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, sich um Kopf und Kragen und letztlich um den Verstand zu reden. Diese Gefahr ist unter denen, die mit Daten und Statistiken herummachen, die ihnen Anteile ausweisen, von denen sie nicht wissen, was sie in der Realität bedeuten, besonders hoch.
Beginnen wir mit dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Leistungen, die ein Asylbewerber in Deutschland erhält, entsprechen im Wesentlichen dem, was ein Hartz-IV-Empfänger erhält. Wir haben das vor einiger Zeit zusammengestellt.
Regelleistung | Hartz-IV | AsylbLG |
Alleinstehend | 416 Euro | 354 Euro |
volljährige Partner in Bedarfsgemeinschaft | 374 Euro | 318 Euro |
< 25 Jahre im Haushalt der Eltern oder Asylbewerberunterkunft | 332 Euro | 284 Euro |
Kinder: 14-17 Jahre | 316 Euro | 276 Euro |
Kinder: 6-13 Jahre | 296 Euro | 242 Euro |
Kinder: 0 bis 5 Jahre | 240 Euro | 214 Euro |
Herr Bäcker ist also der Ansicht, dass ein Flüchtling, der nach Deutschland kommt, hier verarmt, wenn er Leistungen in der oben genannten Höhe aus einem Topf erhält, in den er keinen Euro einbezahlt hat. Wie weit von der Realität kann man als Elfenbeinturmbewohner eigentlich entfernt sein. Dass die Flüchtlinge, Zugewanderten und Schutzsuchenden (die Begriffe werden zur Beschreibung derselben Personengruppe benutzt) in Deutschland „verarmen“, und „mehrheitlich in großer Armut leben“, setzt zudem voraus, dass sie, bevor sie nach Deutschland gekommen sind, in Saus und Braus gelebt haben, was wiederum die Frage aufwirft, warum sie, wenn sie in Saus und Braus gelebt haben, in Kauf nehmen, in Deutschland zu verarmen.
Um das ganze dumme Geschwätz von der Armut in Deutschland einmal in Relation zu setzen. Das Armutsrisiko ist eine statistische Konstruktion. Der ganze Hokuspokus beginnt mit dem Nettoäquivalenzeinkommen. Das Nettoäquivalenzeinkommen berechnet sich aus der Summe der Nettoeinkommen (aller Haushalte) geteilt durch die Anzahl der im Haushalt lebenden Personen. Es wird auf Grundlage des Mikrozensus jährlich vom Statistischen Bundesamt errechnet und basiert auf einer 1%-Stichprobe der deutschen Bevölkerung.
Im Jahr 2016 lag das Nettoäquivalenzeinkommen der deutschen Haushalte bei 21.275 Euro. Wessen Einkommen unter der 60%-Grenze dieses Haushaltsäquivalenzeinkommens liegt, der gilt als armutsgefährdet. Im Jahre 2016 waren insgesamt 16,5% der Haushalte nach dieser Definition armutsgefährdet. 2017 waren es 15,8%, woraus in der Pressemeldung der UDE der Schluss gezogen wird: „Das Armutsrisiko stieg in Deutschland in den letzten zehn Jahren fast 13 Prozent.“ Es ist eben immer eine Frage der Bewertung und der Zielsetzung, die man mit seinen Pressemeldungen verfolgt. Die Pressemeldung aus dem UDE zielt eindeutig darauf, mit an Hysterie grenzendem Eifer, Menschen in die Armut zu schreiben, immer in der Hoffnung, sich selbst damit in den Adel derer erheben zu können, die anderer Armut benötigen, um selbst strahlen zu können.
Die Armutsgrenze für Flüchtlinge beträgt -wie für den Rest der Gesellschaft – 12.765 Euro. Dieser Wert gilt für Alleinstehende. Haushalte, in denen zwei Erwachsene und zwei Kinder unter 14 Jahren leben, gelten als vom Armutsrisiko erfasst, wenn sie über ein Einkommen von nicht mehr als 26.807 Euro im Jahr verfügen.
Zugewanderte, die in Deutschland zuerst aus dem Asylbewerberleistungsgesetz und dann aus Hartz-IV finanziert werden, die in den meisten Fällen ihr Glück, plötzlich über Einnahmen in einer Höhe zu verfügen, die ihnen in ihrem Herkunftsland fremd war, kaum fassen können, verarmen also in Deutschland, nach Ansicht von Herrn Bäcker, weil sie nicht mehr 1063,75 Euro pro Monat zur Verfügung haben, ohne einen Strich dafür gearbeitet zu haben.
Der durchschnittliche Rentner, der mehrere Jahrzehnte in die Gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt hat, lebt nach seiner Erwerbstätigkeit dagegen in dem Luxus, der ihm mit 1078 Euro pro Monat Rente möglich ist. Die 15 Euro, die durchschnittliche Rentner im Vergleich zu Armutsgefährdeten mehr haben, machen sie vermutlich in den Augen von Herrn Bäcker, selber Pensionär, zum Krösus.
Aber die deutsche Gesellschaft ist wirklich nicht nett zu Zugewanderten. Sie werden mit nicht mehr als 1063,75 Euro im Monat oder nach Asylbewerberleistungsgesetz (354 Euro im Monat bei freier Kost und Logis und Übernahme aller Kosten für Gesundheit oder Transport oder Ausbildung oder Arbeitssuche) abgespeist. Sie werden unter dem Vorwand, sie hätten keine Berufsausbildung, keine adäquate Schulbildung oder keine Schriftfähigkeit, von den lukrativen Posten in Aufsichtsräten und Unternehmensvorständen ferngehalten, und wenn sie dann einen Arbeitsplatz bekommen, dann werden sie nicht sofort in der Höhe bezahlt, wie Fritz H., der seit 25 Jahren im Unternehmen als Vorarbeiter tätig ist. Deutschland ist eben eine ungerechte Gesellschaft, wie man schon daran sieht, das 2017 lediglich 5,9 Milliarden Euro für Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgegeben wurden. Peanuts für eine reiche Gesellschaft wie Deutschland.
Zeit, die Zuwandernden davor zu warnen, dass sie in Deutschland „verarmen“, dass sie aus dem Reichtum, den sie zurücklassen, in die Armut in Deutschland flüchten. Verbreitet diese Meldung. Wir wollen nicht noch mehr Flüchtlinge in Deutschland in Armut stürzen. Beruft Euch dabei auf Prof. Bäcker. Der hat es gesagt.
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es werden nicht alle Deutschen in der Lage sein, das so klar zu formulieren aber ich denke dass es durchaus ein allgemeines Gefühl dafür gibt.
Der Mensch ist nach wenigstens 50.000 Jahren verdammt gut im Mensch-Sein, selbst der Ungebildetste kann eine Menschengruppe gut beurteilen und erkennen wer übervorteilt wird und wer übermäßig Vorteile rauszieht.
Da ist das Ergebnis der Sonntagsumfrage (SPD < AfD) kein Wunder.
Prekariat ist nicht nur in bildungsfernen Schichten zu finden. Es gibt auch den akademischen Abschaum, der seine Wissenschaft verbiegt und sich wie jede Dirne, eben nur an politische Entscheider verkauft. Wissenschaftler sind eben auch nur Menschen mit allen Fehlern und Verfehlungen behaftet wie alle Anderen.
Kann man jemand diesen hier oben Text dem Prof. an der Uni Duisburg-Essen zukommen lassen?
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Ob er ihn versteht?
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Ich würde noch das Stichwort “Krankenversicherung” hinzufügen, die Kosten für die Flüchtis sind nochmal wesentlich höher als die Leistungen, die sie beziehen.
Die Analyse von Prof. Bäcker impliziert nach meinem Verständnis, dass wer nach Deutschland flieht oder freiwillig zuwandert, quasi ein Menschenrecht auf einen angenehmen Lebensstandard jenseits von Armut erwirbt. Viele Einheimische sind, wie wir wissen, letztlich auch nicht auf Rosen gebettet. Flüchtlinge dürfen m. E. erwarten, geschützt und grundversorgt zu werden, nicht unbedingt, einen bestimmten höheren Lebensstandard gewährt zu erhalten, den einige von ihnen mutmaßlich im Heimatland, zumal bei größerer Familie, auch nicht hatten.
Dass „niedrige Bildung“ und potenziell schulische oder berufliche Abschlüsse, die nicht mit den hiesigen vergleichbar sind, bzw. „überproportional häufige“ Arbeitslosigkeit ein eher niedriges Einkommen verursachen, ist doch irgendwie plausibel. Niedrige Bildung heißt des Öfteren: eine nach bundesdeutschen Verhältnissen bescheidene formale Schulbildung, manchmal vermutlich keine ausreichenden Schreib- und Lesekenntnisse, wenig Deutschkenntnisse usw. Wie soll man da einen gut bezahlten Job erhalten? In seiner diesbezüglichen Ausarbeitung weist der Professor auch auf die Faktoren: Nichterwerbstätigkeit der Ehefrau und im Schnitt höhere Kinderzahl als zusätzliche Einkommensbelastung hin. Wo Prof. Bäcker „offene und versteckte Diskriminierung“ gegenüber „Flüchtlingen, Asylbewerbern und Schutzsuchenden“ (die durfte ja nicht fehlen) als Ursache für eine erhöhte Armutsgefährdung erblickt, wäre zu klären.
„Das Ziel, ein Leben führen zu können, das der Würde des Menschen entspricht, gilt für alle Einwohner“,
fordert Prof. Dr. Gerhard Bäcker in der Pressemitteilung. Das ist ein wahrhaft interessanter grundlegender Satz. Das Bundesverfassungsgericht habe das bereits in seinem Urteil aus dem Jahr 2002 bestätigt. In der Urteilsbegründung heiße es: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“. An dieser Stelle müsste man nun wohl auf Heller und Pfennig belegen und konkretisieren, was für Flüchtlinge und Migranten „ein Leben in (Menschen-)Würde“ im Aufnahmeland bedeutet. Anders gesagt: Verstößt das monierte Armutsrisiko bzw. faktische Armut gegen die Menschwürde? Dann wäre Armut zu verbieten. (Wobei man schon überlegen sollte, ob jede Person, die über die Grenze kommt, automatisch als „Einwohner“ zu gelten hat.)
In Sachsen verdient man in der Regel zwischen 1.100 – 1400 Euro netto im Monat – in ganz normalen Produktionsbetrieben, nicht im öffentlichen Dienst.
Warum nimmt eigentlich der Rentner Bäcker einem verarmten Soziologie-Professor-Flüchtling den Arbeitsplatz weg?
“Seit März 2012 ist er pensioniert und ist als Senior Professor dem Institut Arbeit und Qualifikation angeschlossen.”
Ich würde den Bericht mal den verarmten Flüchtlingen zukommen lassen, damit sie alsbald in ihre Heimat zurückkehren, bevor sie in Deutschland der Armut anheimfallen!