Politische Eliten als „Füchse“ und „Löwen“ und die “Selbstherrlichkeit” politischer Eliten (Teil 6 der Serie „Populismus, Elitismus und das Ringen um Demokratie“)
In Teil 5 der Serie sollte hinreichend deutlich geworden sein, dass es nicht die Bereitschaft ist, den Bürgerwillen umzusetzen, die politische Eliten in demokratischen Systemen zu denselben machen könnten: Empirische Befunde zeigen klar, dass Politiker demokratische Werte vor allem in der Theorie vertreten, aber mehrheitlich ihrer Repräsentationsfunktion weder nachkommen wollen – sie fühlen sich stark mehrheitlich den eigenen Überzeugungen statt dem Bürgerwillen verbunden – noch können – mangels Kenntnis der Präferenzen der Bürger–, und außerdem dann, wenn politische Toleranz gefordert wäre, nämlich in Situationen, in denen ihre Politiken mehr oder weniger kritisiert werden, dieselbe im Interesse ihres Machterhaltes auszusetzen bereit sind.
Aufgrund der in Teil 5 berichteten empirischen Befunde muss festgestellt werden, dass die Figur des Politikers, der in einem demokratischen System seinen Souverän, den Bürger, bestmöglich repräsentiert, ein Ideal ist, das zwar zu Legitimationszwecken aufrechterhalten wird, das für (die Mehrheit der) Politiker aber keine Geltung, geschweige denn: Verbindlichkeit, (mehr) hat.
Soziokulturelle Desintegration repräsentativer Demokratie in der Gegenwart

Es scheint, dass wir es hier mit einem Phänomen soziokultureller Desintegration zu tun haben bzw. mit einem Fall von Kulturverlust: demokratische Systeme stellen ein Instrumentarium in Form von Institutionen und Verfahrensweisen bereit, das vom Bürger als dem politischen Souverän ausgeht und (mehr oder weniger stark) auf der Idee beruht, dass sie Personen wählen, von denen sie glauben, dass sie ihre Präferenzen und Anliegen bestmöglich repräsentieren werden – so die Idee. Dieses Instrumentarium existiert weiter, aber es wird zunehmend aus seinem Sinnzusammenhang herausgelöst – so weit, dass Bürger, die Unzufriedenheit mit der Repräsentationsleistung der von ihnen Gewählten ausdrücken, von just diesen Gewählten als politische Feinde, als Störer des gesellschaftlichen Friedens bis hin zu Feinden der Demokratie stilisiert werden. Die Idee der repräsentativen Demokratie existiert dann nur noch in einer verstümmelten Form, in wenig mehr als allgemeinen Wahlen alle paar Jahre, bei denen Wähler zwischen Parteien wählen können, die sich kaum mehr unterscheiden, und zwischen Kandidaten, deren Namen die Pateien auf Listen gesetzt, also im voraus ausgewählt haben.
Während das Instrumentarium des demokratischen Systems also formal weiterexistiert, ist die Idee, die ihm (tatsächlich oder vermeintlich) zugrundeliegt, in weiten Teilen ausgehöhlt, vergessen oder systematisch unterdrückt worden, so dass man sagen kann, dass das demokratische System zwar noch institutionell vorhanden ist, aber nicht mehr kulturell, verwurzelt ist – wenn man unter „Kultur“ ein Set erlernter und weitgehend für selbstverständlich gehaltener und deshalb geteilter Denk- und Verhaltensweisen versteht, das von einer Generation an die nächste weitergegeben wird.
Wenn dies der Fall ist, d.h. das institutionell etablierte Instrumentarium demokratischer Systeme samt Wahlen und Parlamenten nicht oder nicht mehr den Rahmen abgibt, in dem die Idee der Demokratie im Vollzug durch das politische Personal ausgedrückt wird, dann stellt sich erneut die Frage, wodurch sich die politische Elite, die die Positionen besetzt, die das Instrumentarium bereitstellt, auszeichnet. Wie kann sie angemessen charakterisiert oder beschrieben werden?
Um die Frage beantworten zu können, muss man politische Eliten offenbar in allgemeiner Weise betrachten, d.h. unabhängig von den spezifischen politischen Systemen, deren Positionen sie bestücken. Die Autoren der Schriften, die gewöhnlich als frühe(ste) Abhandlungen über politische Eliten bzw. über politische Soziologie in der Neuzeit genannt werden – allen voran Niccolo Machiavelli, Gaetano Mosca, Vilfredo Pareto und Robert Michels – haben dies getan. Wir werden im Folgenden auf Machiavellis und auf Michels diesbezügliche Vorstellungen eingehen.
Politische Macht als Funktion von Heucheln, Verbergen, Täuschen und Gewalt-Ausüben: „Füchse“ und „Löwen“ bei Niccolo Machiavelli
Niccolo Machiavelli hat in „Il Principe“, einer Schrift, die er in italienischer Sprache im Jahr 1513 verfasst hat (die aber erst im Jahr 1532 veröffentlicht wurde), Überlegungen dazu angestellt, wie es „dem Fürsten“ am besten gelingt, seine Herrschaft über ein ererbtes, annektiertes oder neu geschaffenes Fürstentum bzw. einen Stadtstaat zu sichern.
Trotz der oft zu hörenden Behauptung dass Machiavellis Schrift eine Art Anleitung zum Machterhalt mit bestimmten (wenn nicht: allen) Mitteln sei, wenn nicht sogar ihre Rechtfertigung, handelt es sich bei der Schrift tatsächlich um eine nüchtern vorgebrachte Analyse der Umstände und Eigenschaften des Fürsten bzw. Machthabers, die der Sicherung seiner Herrschaft zu- oder abträglich sind. Machiavellis Analyse basiert auf seiner Interpretation der Er- oder Mißerfolge historischer Machthaber wie Hannibal, Alexander (dem Großen) und Julius Cäsar. Sie kann ebenso gut als Anleitung zum Machterhalt mit bestimmten Mitteln gelesen werden wie als Versuch, den sogenannten einfachen Menschen die Augen mit Bezug auf die Mittel zu öffnen, mit denen sie beherrscht werden und anhand derer Kritik am Fürsten ruhiggestellt wird.
Hinsichtlich der Eigenschaften des Fürsten ist das 18. Kapitel dieser Schrift ein zentrales Kapitel. Dort findet sich – hier in einer deutschen Übersetzung aus dem Jahr 1870 wiedergegeben – die weithin bekannte Füchse-und-Löwen-Analogie:
„Wie lobenswerth es für eine Fürsten ist[,] die Treue aufrecht zu erhalten und mit Redlichkeit, nicht mit Arglist[,] zu leben, sieht Jeder ein. Gleichwohl zeigt in unserer Zeit die Erfahrung[,] dass diejenigen Fürsten große Dinge vollbracht haben, die auf Treue wenig gegeben und mit Arglist die Köpfe der Menschen zu verdrehen gewußt und am Ende diejenigen überwunden haben, welche sich auf ihre Rechtschaffenheit verlassen hatten. Ihr müßt nämlich wissen[,], daß es zwei Gattungen von Kampf gibt, die eine durch Gesetze, die andre durch Gewalt, die erste ist den Menschen eigenthümlich, die zweite den Thieren; aber weil die erste oftmals nicht ausreicht, muß man zur zweiten seine Zuflucht nehmen. Daher ist es für den Fürsten nöthig[,] daß er das Thier und den Menschen wohl zu gebrauchen wisse … [denn die] eine [Natur] ohne die andre [ist] nicht von Dauer […]. Da also der Fürst des Thieres sich wohl zu bedienen verstehen muß, so soll er davon den Fuchs und den Löwen wählen, weil der Löwe sich nicht vor den Schlingen, der Fuchs nicht vor den Wölfen schützen kann. Er muß also Fuchs sein[,] um die Schlingen zu erkennen, und Löwe[,] um die Wölfe abzuschrecken … und wer am besten den Fuchs zu spielen gewußt hat, ist am besten weggekommen“ (Machiavelli 1870: 38).
Machtgewinn und -erhalt basieren demzufolge also nicht nur auf der Interpretation und Anwendung (oder Neuschaffung) von Gesetzen, die auf der Seite des Fürsten zu buche schlagen, ihm dabei helfen, „… den Wortbruch zu beschönigen“ (Machiavelli 1870[1513]: 38), ihn (u.a. dadurch) zu „verteidigen“ (Machiavelli 1870: 40). Der Fürst muss auch (ggf. hinter-/)listig (wie der Fuchs) und gewaltbereit sein und (daher) einschüchtern können (wie der Löwe), um den Versuchen, seiner Feinde, ihn von seiner Machtposition zu verdrängen, zu entgehen. Machiavelli selbst wählt in der hier zitierten deutschsprachigen Übersetzung mit Bezug auf die fuchsähnlichen Eigenschaften die Begriffe „Erheucheln und Verbergen“:
„Man muß aber diese Natur wohl zu bemänteln wissen und groß in Erheucheln und Verbergen sein“ (Machiavelli 1870[1513]: 38).
Heucheln, Verbergen, Täuschen, Gewalt-Androhen oder –Ausführen – dies alles tut der Menschlichkeit des Fürsten Abbruch, aber das ist nach Machiavelli nun einmal der Preis der Macht bzw. der Erhaltung von Macht:
„Und man muß einsehen[,] dass ein Fürst und zumal ein neuer Fürst nicht alle Dinge beobachten kann[,] wegen denen die Menschen für gut gehalten werden, da er oft genöthigt ist[,] um die Herrschaft zu behaupten[,] gegen die Treue, gegen die Nächstenliebe, gegen die Menschlichkeit, gegen die Frömmigkeit zu handeln. Und dann muß er sein Gemüth haben[,] das fähig ist[,] sich zu wenden wie die Winde und die Schwankungen des Glücks ihm gebieten, und sich … vom Guten nicht trennen[,] wenn er kann, aber auf das Ueble einzugehen wissen[,] wenn er genöthigt wird“ (Machiavelli 1870[1513]: 39).
Aber das ist noch nicht alles: Der Fürst muss außerdem
„… darauf bedacht sein …, … die Dinge zu vermeiden[,] welche ihn verhaßt oder verächtlich machen” (Machiavelli 1870[1513],
denn das schützt ihn vor Verschwörungen gegen ihn:
„Und es ist eins der kräftigsten Mittel[,] die ein Fürst gegen die Verschwörungen hat, von der Masse nicht gehaßt oder verachtet zu werden, weil der Verschwörer immer durch den Tod des Fürsten deas Volk zu befriedigen glaubt; glaubt er es aber zu verletzen, so gewinnt er nicht Muth[,] einen solchen Entschluß zu fassen; denn die Schwierigkeiten der Verschwörer sind unzählig“ (Machiavelli 1870[1513]: 40).
Um erstens nicht verhasst zu sein oder verachtet zu werden und um zweitens an der Macht bleiben (oder an die Macht kommen) zu können, ist es für den Fürsten nicht notwendig, seine – im moralischen, nicht im anthropologischen Sinn, – menschlichen Eigenschaften zu entwickeln. Das würde zwar das erste Ziel befördern, aber dem zweiten abträglich sein. Statt dessen entwickelt und pflegt er seine „tierischen“ Eigenschaften: Heucheln, Verbergen, Täuschen, Gewalt-Androhen oder –Ausführen – samt des Vorheuchelns „menschlicher“ Eigenschaften, aufgrund derer der Fürst geliebt, bewundert und geschätzt werden will.
Personen in Machtpositionen wären nach Machiavelli also diejenigen, die die genannten „tierischen“ Eigenschaften nicht nur mitbringen – das tun wohl (fast) alle Menschen bis zu einem gewissen Grad –, sondern diese Eigenschaften in einem überdurchschnittlichen Ausmaß aufweisen. Das Streben nach Macht allein ist keine hinreichende Eigenschaft, die einen zum „Fürsten“ bzw. zum Herrscher oder zur Mitgliedschaft in der politischen Elite macht. Die Tatsache als solche, dass jemand in eine Machtposition gekommen ist, ist, wenn man Machiavelli folgen will, ein Indikator dafür, dass diese Person die genannten „tierischen“ Eigenschaften in überdurchschnittlicher Ausprägung aufweist.
Aber ist es sinnvoll, zu vermuten, dass sich Personen in Ämtern oder Positionen in einem demokratischen System durch „tierische“ Eigenschaften im Sinn Machiavellis auszeichnen? Würden Personen mit solchen Eigenschaften einem demokratischen System nicht von vornherein feindlich gegenüberstehen, weil es Zugeständnisse an den vermeintlichen Souverän im Staat, den Bürger, erfordert? Würden sie nicht einen totalitären Staat unter Führung durch eine Oligarchie bzw. ein Zentralkommittee vorziehen?
M.E. ist dieser Einwand zutreffend. Man kann aber argumentieren, dass das Festhalten an einem demokratischen System für eine politische Elite machiavellischer Art durchaus opportun sein kann, denn wie Machiavelli bemerkt hat, ist es für „den Fürsten“ bzw. den oder die Herrschenden wichtig, die „tierische Natur“ zu verbergen und sich nicht „verhaßt“ oder „verächtlich“ zu machen. Die formale Aufrechterhaltung eines demokratischen Systems, das sich eine politische Klasse – durch Taktieren, Paktieren, missbräuliche Anwendung oder Umformung bestehender Gesetze Mittel, vielleicht durch Wahlbetrug, Korruption u.ä.m. – angeeignet hat, kann deshalb sehr wohl in ihrem Interesse sein.
Selbstherrlichkeit politischer Eliten und psychologische Metamorphose durch Führerschaft nach Robert Michels
Robert Michels hat sich in seiner „Soziologie des Parteiwesens“, die erstmals im Jahr 1911 veröffentlicht wurde, mit dem „… Vorhandensein immanenter oligarchischer Züge in jeder menschlichen Zweckorganisation“ (Michels 1925: 13) am speziellen Beispiel der Sozialdemokratischen Partei beschäftigt und politischen Führern keine notwendigerweise vorhandene „tierische Natur“ im Sinn Machiavellis unterstellt, sondern „Selbstherrlichkeit“, und
„[d]ie Selbstherrlichkeit des Führertums entspringt … nicht nur bloßer Herrschsucht und schnödem Egoismus, sondern häufig ehrlicher Überzeugung von dem eigenen Wert für die gemeinsame Sache“ (Michels 1925: 218).
Politische Führer zeichnen sich also durch eine Selbstüberschätzung aus, die – auch – aus einer „… megalomane[n] Ineinssetzung von Person und Sache …“ (Michels 1925: 218) resultiert und ihrerseits zur Folge hat, dass
„[f]ast ein jedes solcher bürokratischen Elemente […] die Neigung [bestitz], den kleinsten Nadelstich gegen seine Person als ein Vebrechen gegen den geliebten Staat [oder die geliebte Partei oder die geliebte Ideologie ….] zu empfinden … Auch glaubt der Bürokrat leicht, die Bedürfnisse der Massen besser zu kennen als die Massen selbst es vermögen, eine Meinung, die in Einzelfällen zutreffend sein mag, die aber zumeist ein Mittelding von törichter Prätension und selbstüberhebendem Größenwahn ist“ (Michels 1925: 219).
Die übergroße, vielleicht pathologische, Identifikation mit einer Organisation oder Sache, der sich eine Organisation verschrieben hat, verwischt auch die Grenzen zwischen dem persönlichen Eigentum und dem der Organisation:
„In höher entwickeltem Stadium der Olgarchie beginnt die Führerschaft, nicht nur die Einrichtungen, sondern sogar Hab und Gut der Organisation, an deren Spitze sie steht, mit ihrem eigenen Hab und Gut zu identifizieren. Auch dieses Phänomen teilt die Oligarchie im Parteileben mit der Oligarchie im Staatsleben, welche stets das Allgemeingut mit dem eigenen Gute verwechselt“ (Michels 1925: 219; Hervorhebung d.d.A.)
und deshalb zur Vorteilsnahme im Amt/in der Position bzw. zu Korruption führt (vgl. Michels Beispiele auf den Seiten 219-220).
Die Selbstherrlichkeit politischer Führer muss nicht unbedingt oder ausschließlich eine narzisstische Deformierung der Persönlichkeit durch entsprechende Erfahrungen im Kindes- oder Jugendalter sein; nach Michels erleben Führer nämlich eine „psychologische Metamorphose“, die eben durch „[d]ie Funktionen der Leitung der Massen“ (Michels 1925: 200) erfolgt:
„Die Funktionen der Leitung der Massen üben indes auf Dauer einen im wesentlichen ungünstigen Einfluss auf den moralischen Charakter der Führer aus“ (Michels 1925: 200),
denn
„Jede menschliche Gewalt drängt nach Erweiterung ihrer Befugnisse. Wer in den Besitz von Macht gelangt ist, wird in der Regel bestrebt sein, seine Macht zu verstärken und auszubauen, seine Stellung unaufhörlich mit neuen Bollwerken zu umgeben und sich der Botmäßigkeit und Kontrolle der Masse zu entziehen“ (Michels 1925: 205).
Man könnte also sagen, dass Macht Machthunger schafft. Obwohl Michels die psychologische Metamorphose von Führern als Variante eines allgemeinpsychologischen Prozesses auffasst, erkennt er die Wichtigkeit individueller Eigenschaften in diesem Prozess an:
„Gewiß tritt der Faktor der Persönlichkeit dabei in seine Rechte. Auf die gleiche Umgebung reagieren die verschiedenen Individualitäten in verschiedener Weise … Das allgemeine Gefühl der Sattigkeit, das jeden ans Ziel Gekommenen charakterisiert, weist die verschiedensten Gradstärken auf. Ebenso die Adaptabilität an die neue, undemokratische oder den vertretenen Ideen feindliche Umgebung …“ (Michels 1925: 205).
Aber für Michels wichtiger ist eben doch die psychologische Transformation, die der Prozess des Hineinwachsens in eine Führungsposition als solcher, unabhängig von den individuellen Eigenschaften dessen, der den Prozess durchläuft, herbeiführt:
„Immerhin ist aber sicher, dass mit dem Entwicklungsgang des Geführten zum Unterführer, des Unterführers zum Oberführer, sich in der Anschauungswelt der Persönlichkeit eine sehr weitgehende Umwandlung vollzieht, die häufig an eine völlige Transformation grenzt. Der Führer hält die eigene Umwandlung dann bloß für den Reflex der Umwandlung der Umwelt. Da scheint es ihm, dass die Zeiten anders geworden seien und eine neue Taktik, eine neue Theorie erfordern“ (Michels 1925: 206).
Und das mag ein Grund dafür sein, warum politische Führer, wenn sie Positionen vertreten, die im genauen Widerspruch zu Positionen stehen, die sie früher vertreten haben oder für die ihre Partei steht oder stand, sagen wir z.B. mit Bezug auf Pazifismus oder speziell Waffenlieferungen, Menschen, die ihre Wandlung nicht nachvollziehen können oder die von ihnen nun vertretene Politik kritisieren, mit völligem Unverständnis gegenüberstehen und ggf. aggressiv gegenüber Kritikern reagieren:
„Jeden sachlichen Angriff bezieht er [der Bürokrat] auf sich selbst. Daher das fast jeden Parteiführer kennzeichnende, erschreckende Unvermögen, die Kritik des parteigenössischen Gegners [oder die des Wählers oder Bürgers] sachlich zu werten. Er fühlt sich stets persönlich verletzt, teils ehrlich, teils auch absichtlich, um auf diese Weise den Kampfplatz zu verschieben, als der harmlose Angegriffene dazustehen und vor der öffentlichen Meinung der Massen die theoretischen Gegner mit dem Odium persönlicher Gehässigkeit zu belasten. Wird der Führer dagegen wirklich persönlich angegriffen, so ist es sein erstes, diesen Angriff auf die ganze Partei [oder vielleicht den ganzen Staat, die Demokratie …] zu beziehen, nicht nur aus diplomatischen Erwägungen, etwa um sich auf diese Weise der Unterstützung der ganzen Partei zu vergewissern und den Angreifer mit dem Schwergewicht der Masse zu Boden zu schlagen, sondern auch aus einer ganz naiven Gleichsetzung des Teilchens mit dem Ganzen“ (Michels 1925: 217).
Die Reaktion auf Kritik dürfte umso aggressiver ausfallen, je länger jemand in seine politische oder meist: parteipolitische Karriere investiert hat, denn:
„Ihre Vergangenheit fesselt sie, äußerlich wie innerlich. Ihrem ursprünglichen Beruf sind sie entfremdet, und zwar in um so höherem Grade, als sein Wesen vom Beruf des Politikers entfernt war. Der Advokat kann durch die Parteitätigkeit, auch wenn er ganz in ihr aufgeht, nichts verlieren; dazu trägt der gesamte politische Kampf in zu hohem Grade die Wesenheiten des Plädoyers; …. Dagegen geht der Wissenschaftler in der Politik unter. Die bedeutenden Gelehrten, die … in der Partei aktive Tätigkeit entfaltet haben, sahen ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten langsam verkümmern; für ihre Disziplinen sind sie gestorben, weil sie, von der politischen Tagesarbeit absorbiert, keine Muße mehr zur wissenschaftlichen Vertiefung und Weiterbildung gehabt haben. [Wer muss in diesem Zusammenhang nicht an den deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach denken?!] Ein Zurück gibt es also nicht … Wenn die Führer nicht von Haus aus begütert sind oder anderwärts reiche Einnahmequellen besitzen, hängen sie auch aus ökonomischen Beweggründen an ihren Stellen fest“ (Michels 1925: 202-203; Hervorhebungen im Original).
Dies sind für Michels „weitere Quelle[n]“ der „psychischen Transmutation, die in den Führern im Laufe der Jahre vor sich geht …“ (Michels 19925: 204; Hervorhebung im Original).
Vergessen werden darf auch nicht, dass das Element allgemeiner Wahlen in repräsentativen Demokratien seine psychologischen Folgen für politische Führer (bzw. Anwärter auf politische Führungsämter) hat:
„Der gewählte Führer ist kraft des demokratischen Prozesses seiner Wahl in höherem Grade befähigt, sich als Ausdruck des Gesamtwillens zu betrachten und als solcher Gehorsam und Unterwerfung unter seinen Eigenwillen zu beanspruchen als der geborene Führer der Aristokratie … In der alten Aristokratie hieß es, niemand dürfe dem Befehle des Dynasten trotzen, da er sich sonst gegen Gott versündige. In der modernen Demokratie heiße es, dass sich niemand dem Befehle der Oligarchen widersetzen dürfe, weil er sich sonst an sich selbst, an seinem von ihm einem Stellvertreter freiwillig übertragenen eigenen Willen versündigen, das Prinzip der Demokratie eigenhändig umstürzen würde. In der Demokratie erteilt sich ja, wenigstens indirekt, jeder die ihm von oben zugehenden Befehle höchstselbst … Die Führerschaft in der Demokratie baut ihr Kommandorecht auf der Fiktion der demokratischen Allmacht der Massen auf …Unter so bewandten Umständen bildet sich in der Führerschaft der Partei wie der Gewerkschaft [oder anderen politischen Organisationen] überall die gleiche Denkweise heraus. Die Führer verlangen von den Massen Gehorsam und möglichst stillschweigende Annahme und Ausführung ihrer nach bestem Wissen und Gewissen gegebenen Anordnungen“ (Michels 1925: 212- 213).
Fassen wir zusammen:
Machiavelli und Michels stellen jeweils Überlegungen zu psychologischen Grundlagen politischer Eliten an. Bei Machiavelli sind es „tierische“ Eigenschaften, d.h. Füchsen und Löwen traditionell in vermenschlichender Weise zugeschriebene Eigenschaften, die den „Fürsten“ bzw. politische Führer auszeichnen. Im Kern sind Listigkeit und die Fähigkeit zum Täuschen oder Heucheln und die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden. Michel stellt dem die Vorstellung selbstherrlicher politischer Führer gegenüber, die nicht notwendigerweise selbstherrlich aufgrund einer narzisstischen Persönlichkeit sind, die sie in ihre politische Karriere mit hineinbringen, sondern aufgrund einer psychologischen Metamorphose, die sie auf dem Weg in eine Führungs- oder Machtposition durchlaufen. Während Machiavelli also von einer Selektion von politischen Führern bzw. Eliten aufgrund ihrer zuvor vorhandenen individuellen Eigenschaften ausgeht, geht Michels davon aus, dass es primär der Prozess des Erwerbs einer Machtposition selbst ist, der Eigenschaften – insbesondere besagte Selbstherrlichkeit und In-Eins-Setzung von Selbst und Organisation oder Sache – produziert oder kultiviert, durch den sich politische Führer auszeichnen.
Aber ist dies alles tatsächlich relevant? Regiert nicht Geld die Welt? Oder anders gefragt: sind es nicht letztlich finanzielle Eliten, die ihr Geld zur Einfluss-Elite macht, und die sich (deshalb) entweder selbst Machtpositionen aneigenen und die politischen Eliten stellen können oder eine politische (Macht-)Elite für sich gemäß eigener Interessen agieren lassen? Im nächsten Teil unserer Serie werden wir sehen, was „klassische“ Eliten-Theoretiker bzw. „klassische“ politische Soziologen dazu zu sagen haben.

Die bisherigen Teile der Serie zu Populismu sund Elitismus:
Literatur:
Machiavelli, Niccolo, 1870: Der Fürst. (Übersetzt aus dem Italienischen von W. Grüzmacher.) Berlin: L. Heimann. (Im italienischen Original verfasst im Jahr 1513, erstmals unter dem Titel „Il Principe“ im Jahr 1532 erschienen.)
Michels, Robert, 1925: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie: Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. (Neudruck der zweiten Auflage.) Stuttgart: Alfred Kröner. (Die erste Auflage erschien erstmals 1911.)
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Als relativ neues Phänomen sehe ich die staatliche Förderung von der Regierung zugeneigten Gruppen der sogenannten “Zivilgesellschaft”. Damit wurde ein demokratisch nicht legitimierter Akteur eingeführt, der zu Zeiten fehlender parlamentarischer Rechte seinen Sinn gehabt hben mag,.
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