Die Zerstörung der Soziologie als Wissenschaft oder: Warum machen Soziologen nicht den Mund auf?

Seit der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie eine Solidaritätsadresse für Soziologen wie Gerhard Amendt, die Hasskampagnen ausgesetzt sind, veröffentlicht hat, gibt es in einigen Blogs eine Diskussion darüber, ob Soziologie überhaupt eine Wissenschaft darstellt oder nicht. Wir beziehen uns im Folgenden auf die Diskussion, die im Blog von Hadmut Danisch geführt wird.

Eine Anzahl von Kommentatoren, fühlt sich dazu berufen, der Soziologie als Ganzem den Wissenschaftsstatus abzusprechen. Andere kritisieren, dass sofern es Soziologen gibt, die noch Wissenschaftler sind, sich diese nicht zu Wort melden. Generell wird dabei Soziologie irrtümlicher Weise mit Geschlechterforschung und Geschlechterforschung mit Genderismus gleichgesetzt, d.h. in der Außenwahrnehmung vieler gibt es keine Soziologie ohne Genderismus mehr.

Dabei nimmt die nicht pöbelnde Kritik z.B. die folgende Form an:

Danisch“Ein zentraler Fehler der Soziologie ist dabei, dass sie gar nicht das Ziel hat, wissenschaftlich und beschreibend zu sein, sondern dass sie politisch ist, politische Ziele verfolgt, und sich nur darum dreht, wie sie die Gesellschaft gerne sehen und haben möchte. Keine andere Fakultät (außer noch den Juristen) ist so eng mit der Politik verflochten, ist so weit von Wissenschaft entfernt.”

oder:

“Jeder, der auch nur etwas Ahnung von Wissenschaft hat, merkt bei Lesen soziologischer Schriften sofort, dass das mit Wissenschaft nichts zu tun hat, dass es nur ein „so tun als ob”, eben das Nachäffen des Gehabes ist. Zentrales Kernmerkmal dafür ist, dass Soziologie nicht auf Wissen, sondern auf Autoritäten beruht. Nie wird etwas inhaltlich-wissenschaftlich begründet.”

oder:

“Denn wären diese Leute seriöse Wissenschaftler, hätten schon längst Selbstreinigungskräfte eingesetzt und die seriöse Soziologie hätte sich von dem ganzen Genderschwachsinn längst drastisch distanziert und die rausgeworfen.”

Beginnt man der Reihe nach, so muss zunächst ein Fehler beseitigt werden: Soziologen, wie alle Sozialwissenschaftler,  wollen nicht nur beschreiben, sie wollen auch erklären. Emile Durkheim, der Begründer der Soziologie, hat versucht, Selbstmord in seinen Formen zu erklären, er hat Methoden zur Erklärungen sozialer Tatbestände entwickelt. Insofern ist z.B. der Anspruch der Soziologie ein weitergehender als er hier gemutmaßt wird: Die berühmte Definition des Gegenstands von Soziologie, die Max Weber gegeben hat, lautet entsprechend: “Soziologie (im hier verstandenen Sinne dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will” (Weber, 1988: 542).

Weber WissenschaftslehreDamit ist Soziologie eine Wissenschaft, deren Zweck darin besteht, soziale Fakten zu verstehen und zu erklären, z.B. zu erklären, wie es dazu kam, dass der Genderismus an deutschen Universitäten Fuss fassen konnte. Um dies erklären zu können, muss man zunächst den Genderismus als die Ideologie, das religiöse Gebäude, das auf der unbelegten Behauptung, Frauen seien benachteiligt, basiert, verstehen, den Genderismus als die religiöse Heilslehre sehen, das politische Programm, die/das er ist. Entsprechend stellt sich nunmehr die Frage: Wie konnte es sein, dass sich eine religiöse Heilslehre wie der Genderismus an Universitäten und u.a. in den Instituten der Soziologie ausbreiten konnte. Die Antwort auf diese Frage wäre entsprechend die von Weber eingeforderte Erklärung sozialer Phänomene.

Um soziale Tatsachen zu verstehen und zu erklären, gibt es einen methodischen Kanon, den wir in unserem Grundsatzprogramm zusammengestellt haben. Er sieht es vor, von allgemeinen Aussagen (Theorien) über soziale Fakten auszugehen und Hypothesen über konkrete soziale Gegenstände zu bilden, die prüfbar sein müssen und damit die Gefahr in sich tragen, an der Realität zu scheitern. Die wissenschaftstheoretischen Grundlagen von Soziologie im Besondern und Sozialwissenschaften im Allgemeinen hat Karl-Dieter Opp in seinem Buch “Methodologie der Sozialwissenschaften” ausführlich dargestellt, so dass jeder, der von sich behauptet, Sozialwissenschaftler oder Soziologe zu sein, nicht gleichzeitig Unkenntnis über die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Soziologie heucheln kann. Wenn er Unkenntnis kund tut, dann verfolgt er offensichtlich andere als sozialwissenschaftliche oder soziologische Zwecke.

Die zur empirischen Prüfung notwendigen Methoden in qualitativer wie quantitativer Form finden sich in unzähligen Bänden, die dem Thema der Methoden der empirischen Sozialforschung gewidmet sind. Sie finden sich in qualitativer und in quantitativer Form, sie finden sich als Technik zur Fragebogenkonstruktion, als Methoden zur Datenerfassung, als Methoden zur Vermeidung eines Befragungs-Bias, als Darstellung suggestiver Befragungstechniken, die mit einem ethischen Bann belegt sind, schließlich finden sich Legionen von Darstellungen einzelner statistischer Methoden, von univariaten Auszählungen über die Darstellung bivariater Zusammenhänge bis zu multivariaten Verfahren.

RityerDie Soziologie als Fach, ist somit eines der wenigen Fächer der Sozialwissenschaften, die über einen theoretischen Korpus verfügen, den Forscher wie Jeffrey Alexander, Herbert Blumer, Gary Becker, Peter Blau, James Coleman, Randall Collins, Ralf Dahrendorf, Emile Durkheim, Harold Garfinkel, Erving Goffman, Michael Hechter, George C. Homans, Talcott Parsons, Karl-Dieter Opp, Heinrich Popitz,  und viele mehr gelegt haben. Zudem verfügt die Soziologie über eine wissenschaftstheoretische Basis, die von Hans Albert, Karl Raimund Popper, Imre Lakatos oder Thomas Kuhn gelegt wurde und deren Tenor darin besteht, dass wissenschaftliche Aussage nachvollziehbar und vor allem nachprüfbar sein müssen. Aussagen, die nicht an der Realität scheitern können, sind entsprechend keine wissenschaftlichen Aussagen. Schließlich verfügt die Soziologie über eine Vielzahl von Methoden zur empirischen Prüfung, von der Datenerhebung bis zur Datenanalyse.

Kurz und mit Thomas Kuhn gesprochen: Die Soziologie ist eine der wenigen Sozialwissenschaften, die den Sprung aus dem, was Kuhn die vorwissenschaftliche Phase nennt, in die Phase der Normalwissenschaft vollzogen haben.

Und dann kam der Genderismus.

Dann kam die Unterminierung der Soziologie durch eine Religion, die keinerlei theoretische Grundlage hat, statt dessen auf der Verkündung, Frauen seien benachteiligt, aufbaut, wie jede Religion auf einem mystischen Schöpfungsakt aufbaut. Der Genderismus hat keinerlei wissenschaftstheoretische Basis, die den rudimentärsten Kriterien von Wissenschaftlichkeit gerecht wird, im Gegenteil: Nicht Nachvollziehbarkeit oder Nachprüfbarkeit ist das Credo des Genderismus, sondern politische Einflussnahme, so nachzulesen in dem, was prätentiös als feministische Wissenschaftstheorie benannt wird, ein Sammelsurium aus Versuchen, Werturteile, natürlich nur feministisch basierte Werturteile, zum Gegenstand von Wissenschaft zu machen. Werturteile im wissenschaftilchen Erkenntnisprozess waren schon für Max Weber (1988: 609) das Ende von Wissenschaft, und sie sind es bis heute geblieben.

Aber: Genderismus ist ja auch keine Wissenschaft, sondern eine Religion, die die eigenen Werturteile als richtige Werturteile verbreiten will. Da die Zielsetzung von Genderismus darin besteht, die eigenen Werturteile als richtig in der Gesellschaft zu etablieren, gibt es auch keine wissenschaftlichen Methoden und Techniken der Datenerhebung. Die Intuition, die auf der Basis des Gefühls, Recht zu haben, fusst, ersetzt das nachprüfbare und methodengeleitete Vorgehen, das Wissenschaft auszeichnet. Kurz: Genderismus ist eine Heilslehre, eine Religion, die mit Wissenschaft im Allgemeinen und Sozialwissenschaft im Besonderen nichts zu tun hat.

Wie konnte es dazu kommen, dass sich Genderismus dennoch an Universitäten und hier besonders im Bereich der Soziologie einnisten konnte? Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht zu geben. Es gibt bislang keine Forschung, die untersuchen und darstellen würde, wie es gelungen ist, eine Religion an Universitäten zu etablieren. Entsprechend muss man, ganz in soziologischer Tradition, Hypothesen bilden, Hypothesen, die von einem Rational-Choice-Ansatz ausgehen, der wiederum, um mit Max Weber zu sprechen, annimmt, dass Akteure zielgerichtet und zweckrational handeln.

Homo sociologicusDa Genderismus eine Religion ist, die nicht nur die Konsequenz hat, Wissenschaft zu zerstören, sondern auch die Konsequenz, eine Wissenschaft wie die Soziologie in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, ein Unterfangen, das wie die Zitate oben zeigen, schon recht erfolgreich gewesen ist, liegt es nahe anzunehmen, dass eben diese Diskreditierung der Soziologie das Ziel ist, das mit der Unterwanderung der Soziologie durch den Genderismus erreicht werden soll.

Die Frage nach dem Warum, ist leicht zu beantworten: Vor dem Einfall des Genderismus war Soziologie ein Fachbereich, in dem eine Mehrheit klare methodische Standards und wissenschaftstheoretische Grundlagen geteilt hat. Soziologie war eine kritische Wissenschaft (das hat nichts mit der Frankfurter Schule zu tun, eher im Gegenteil: Soziologie war trotz Habermas kritisch). eine Wissenschaft, die Ergebnisse auf geprüfter empirischer Basis erzielt hat, Ergebnisse, die im Gegensatz zu den Machtverhältnissen in der deutschen Gesellschaft und den Ideologien von Politikern standen.

So betrachtet, wäre die Zersetzung der Soziologie, ihre Zerstörung durch staatstreue Genderisten ein gezieltes Vorhaben, eine Hypothese, die nun der Prüfung harrt (Diese Hypothese ist prüfbar und das ist, was sie von einer Verschwörungstheorie unterscheidet).

Und warum haben die alten Soziologen, diejenigen, die dem wissenschaftlichen Korpus der Soziologie verpflichtet sind, dabei zugesehen, wie ihre Wissenschaft zerstört und durch feministischen Kauderwelsch ersetzt wurde, einen Kauderwelsch der die Soziologie, wie die Zitate oben zeigen, in der Außenwahrnehmung so sehr beherrscht, dass Soziologie mittlerweile mit Genderismus gleichgesetzt wird?

Diese Frage können nur die Betroffenen selbst beanwtorten. Vermutlich ist hier ein Prozess am Werk, wie ihn Soziologen beschreiben, die sich mit emergenten Effekten beschäftigen. Jeder Soziologie-Professor ist seine eigene Insel. Die Kosten für eine Organisation von Soziologie-Professoren, die Kosten für die Organisation von Widerstand sind zu hoch, als dass sie überwunden werden könnten. Also sehen sich die Einzelkämpfer-Professoren einem organisierten Auftrieb gegenüber, der als angeblicher politischer Wille, Genderismus in die Wissenschaft implementiert, und zwar ohne auf Widerstand zu treffen.

Dass Fächer per politischem Willen in Universitäten implementiert wurden und nicht aufgrund einer entsprechenden Entscheidung der scientific community ist recht selten: Neben dem Genderismus, gibt es wenige Beispiele, am bekanntesten ist der Marxismus-Leninismus, den die religiösen Herrscher des erfolgreichsten sozialistischen Staates auf deutschem Boden, der immerhin 40 Jahre den Mangel verwaltete, ehe ihm die Banane den Garaus machte, etabliert haben, und das ist übrigens nicht die einzige Gemeinsamkeit beider Religionen.

Damit sind wir zurück beim einem der drei Zitaten von oben:

“Denn wären diese Leute seriöse Wissenschaftler, hätten schon längst Selbstreinigungskräfte eingesetzt und die seriöse Soziologie hätte sich von dem ganzen Genderschwachsinn längst drastisch distanziert und die rausgeworfen.”

Das schreibt Hadmut Danisch und damit will er im Umkehrschluss belegen, dass es keine seriösen Wissenschaftler in der Soziologie gibt. Das ganze Argument krankt zwar daran, dass es auf einer Tautologie aufbaut, aber das Anliegen, das dieses Argument hervorgebracht hat, ist legitim, beschreibbar als Frage: Warum machen Soziologen, also die wenigen Wissenschaftler, die es in der institutionalisierten Soziologie noch gibt, nicht den Mund auf (freien Wissenschaftler, wie der Soziologin Dr. habil. Heike Diefenbach kann man sicher nicht den Vorwurf machen, sie würde nicht den Mund aufmachen)?

FestingerWir haben, ehrlich gesagt, keine Antwort auf diese Frage. Eine Hypothese, die wir anbieten können, basiert auf der Theorie kognitiver Dissonanz von Festinger, die bekanntlich vier mögliche Strategien der Verarbeitung kognitiver Dissonanzen sieht, kognitiver Dissonanzen, wie sie sich unwillkürlich einstellen, wenn ein Soziologe, der Wissenschaft betreiben will, mit Vertreter der Genderreligion konfrontiert ist:

(1) Der Soziologieprofessor kann sich einreden, die Gefahr, die von der Gender Sekte in seinem Fachbereich und für seine Wissenschaft ausgeht, sei nur gering, sei vernachlässigbar, die Soziologie als solche vom Genderglauben nicht tangiert.

(2) Er kann sein Verhalten ändern und seinen Beruf als Soziologe an den Nagel hängen.

(3) Er kann sein eigenes Verhalten neu einschätzen und sich sagen, dass er die Methodik und Wissenschaftlichkeit von Soziologie vielleicht zu eng sieht.

(4) Er kann seine Sicht auf Genderismus ändern und sich einreden, dass Genderismus gar keine Religion, sondern eine Wissenschaft ist.

Wir sehen Alternative (1) als die wahrscheinlichste Alternative an. Egal, welche der Alternativen das profunde Schweigen von Soziologen erklärt, mit dem sie der Zerstörung ihrer Wissenschaft zusehen, es bleibt die kognitive Dissonanz. Egal, welche Alternative einzelne Wissenschaftler für sich wählen, die Dissonanz geht davon nicht weg. Sie mag zeitweise in den Hintergrund treten, sie mag abgemildert werden, doch sie kehrt wieder, regelmäßig, und zwar so lange, so lange es noch Wissenschaftler unter den Soziologen gibt, wobei die Außenwahrnehmung der Soziologie, wie der Sozialwissenschaften insgesamt, den Eindruck vermittelt, als wäre es den Genderisten längst gelungen, beide, Soziologie wie Sozialwissenschaften, in der Meinung der Bürger gründlich zu diskreditieren.


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