Durchbruch? Medikament gegen COVID-19 gefunden

In den letzten Tagen mehren sich Berichte darüber, dass ein Medikament gegen COVID-19 gefunden worden sein soll.
Was ist dran an den Berichten?
Wir haben uns auf die Spurensuche gemacht.

Unsere Fährte beginnt im Jahr 2005. Martin J. Vincent und sieben Ko-Autoren haben in der August-Ausgabe des Virology Journal einen Beitrag mit dem Titel “Chloroquine is a potent inhibitor of SARS coronavirus infection and spread” veröffentlicht. Gegenstand des Beitrags war natürlich SARS-CoV-1 nicht SARS-CoV-2, schon weil es SARS-CoV-2 im Jahre 2005 noch nicht gab.

Die Autoren schließen Ihren Beitrag mit den Worten (in unserer Übersetzung):

“Chloroquine ist ein relativ sicheres und billiges Medikament, […] das die Verbreitung von SARS CoV in Zellen effektiv behindert. Dass die Hemmung der Ausbreitung von SARS CoV sowohl vor als auch nach einer Infektion der Zellen vorhanden ist, zeigt, dass Chloroquine ein Mittel zur Vorsorge und zur Therapie ist.”



Chloroquine, ist nicht nur ein billiges Medikament, es ist ein sehr altes Medikament, das seit Jahrzehnten gegen Malaria eingesetzt wird, so lange, dass Plasmodium falciparum, der Parasit der bei Menschen Malaria hervorruft, mittlerweile immun gegen Chloroquine geworden ist, so dass es nur noch prophylaktisch eingesetzt wird. Chloroquine ist in hohen Dosen ein Gift, was insbesondere, wenn die Dosis, die gegen ein neues Virus Erfolg verspricht, nicht bekannt ist, ein Problem darstellt, das vor Gabe gelöst werden muss.

Aber, Chloroquine ist nachgewiesener Maßen wirksam gegen SARS-CoV, also haben sich chinesische Wissenschaftler aufgemacht, die Wirksamkeit von Chloroquine gegen SARS-CoV-2 zu untersuchen. Am 4. Februar 2020 haben sich dann Manli Wang und neun Ko-Autoren in einem “Letter to the Editor” von Natures Cell Discovery wie folgt geäußert:

“Our time-of-addition assay demonstrated that chloroquine functioned at both entry, and at post-entry stages of the 2019-nCoV infection in Vero E6 cells. (…) Besides its antiviral activity chloroquine has an immune-modulating activity which may synergetically enhance its antiviral effect in vivo.”

Wang et al. 2020

Wang et al. haben das getan, was Vincent et al. 2005 getan haben, allerdings für SARS-CoV-2, und sie konnten zeigen, dass Chloroquine die Ausbreitung von SARS-Cov-2 in einer Zellkultur nicht nur zu hemmen, sondern effektiv zu verhindern im Stande ist. Die Ergebnisse, die die chinesischen Forscher ihrem Brief an den Herausgeber beigefügt haben zeigen dies sehr deutlich [siehe Abbildung rechts]. Die Forschung hat von diesem Punkt an Fahrt aufgenommen. Die Franzosen Philippe Colson, Jean-Marc Rolain und Didier Raoult haben den Ball aus China aufgenommen und am 11. Februar im International Journal of Antimicrobial Agents geschrieben:

“Thus the new antiviral drug remedesivir as well as chloroquine, at an EC50 of 1.1 μM were found to be effective in preventing replication of this virus.”

Wang et al. 2020

Remedesivir ist derzeit noch im experimentellen Stadium, war aber bereits in der Studie von Wang et al. mit eingeschlossen. Im Gegensatz zu Chloroquine hat sich Remedesivir in den Analysen von Wang et al. aber nur als Mittel zur Therapie nicht als Mittel zur Prophylaxe einer Infektion mit SARS-CoV-2 erwiesen [Abbildung links]. Wie die Abbildung zeigt, ist Chloroquine das effektivere der beiden Medikamente im Kampf gegen SARS-CoV-2 und die dadurch ausgelöste Krankheit COVID-19.

Die bisher berichteten Ergebnisse sind Petrischalen-Ergebnisse. Sie wurden im Labor erreicht. Was fehlt ist der klinische Test mit Menschen, die an COVID-19 erkrankt sind. In China wurden zu diesem Zweck 15 klinische Studien durchgeführt und bereits am 19. Februar wurde in der Zeitschrift BioScience Trends ein kurzer Beitrag von Jianjun Gao, Zhenxue Tian und Xu Yang veröffentlicht, der mit “Breakthrough: Chloroquine phosphate has shown apparent efficacy in treatment of COVID-19 associated pneumonia in clinical studies” überschriebenist. Die Ergebnisse aus 10 Kliniken in Wuhan, Jingzhou, Guangzhou, Bejing, Shanghai, Chongqing und Ningbo sind in der Tat vielversprechend: An 100 Patienten, so berichten die Autoren, sei gezeigt worden, dass Chloroquine ein effektives Mittel für die Behandlung von COVID-19 sei, das sowohl die Ausbreitung des Virus im infizierten Organismus unterbinde, als auch infizierte Zellen abtöte. Der Krankheitsverlauf könne positiv beeinflusst und erheblich verkürzt werden, so schreiben die Autoren.


Ende Februar haben sich die beiden Franzosen Franck Touret und Xavier de Lamballerie in der Zeitschrift, “Antiviral Research” über die positiven Ergebnisse aus China gefreut, aber gleichzeitig zur Vorsicht gemahnt, dass die Ergebnisse von Gao et al. sorgfältig geprüft werden müssten, da die chinesischen Forscher ihre Ergebnisse ohne ihre Daten verbreitet haben.

Lie et al., 2020

Wie es der Zufall so will, gibt es die oben zum Teil bereits angesprochenen Franzosen Philippe Colson, Jean-Marc Rolain, Jean-Christophe Lagier, Philipppe Brouqui und Didier Raoult die sich mit den klinischen Eignung von Chloroquine zur Bekämpfung von COVID-19 beschäftigen. Die französischen Autoren haben aufbauend auf der chinesischen Forschung und deren Vorgabe, nach der 500 mg Chloroquine, die zweimal täglich an COVID-19-Patienten gegeben werden, die mild, moderat oder ernsthaft an COVID-19 erkrankt sind, zu den besten Ergebnissen in der Bekämpfung der Krankheit führen, selbst klinische Tests durchgeführt.

Die Ergebnisse dieser Tests haben sie vorab mit dem Magazin Forbes geteilt, so dass nunmehr bekannt ist, dass 36 Patienten an dem klinischen Versuch teilgenommen haben. Alle 36 Patienten waren an COVID-19 erkrankt. 20 der Patienten wurden mit Chloroquine behandelt, 16 dienten als Kontrollgruppe. Verabreicht haben die Forscher ihren Patienten Plaquenil. Plaquenil enthält den Wirkstoff “Hydroxychloroquine”, für den Jia Liu und neun weitere chinesische Forscher am 18. Februar in “Cell Discovery” berichtet haben, dass er dieselbe Effektivität in der Bekämpfung von SARS-CoV-2 hat wie Chloroquine. Der Vorteil von Hydroxychloroquine besteht darin, dass es in geringerem Maße toxisch ist. Während für die Dosierung von Chloroquine ein sehr enger Korridor zwischen hilfreich und tödlich besteht, ist Hydrochloroquine verträglicher, weniger toxisch und leichter zu dosieren und gleich effektiv in der Bekämpfung von COVID-19, wie Liu et al. berichtet haben.

Drei Tagen nachdem die 20 Patienten in klinischen Test von Colson et al. (2020) mit Plaquenil behandelt wurden, war SARS-CoV-2 bei 50% der Patienten nicht mehr nachweisbar. Die sechs Patienten, die neben Plaquenil noch das Antibiotika “Azithromicin” erhalten hatten, sind noch besser genesen. Bei allen sechs war SARS-CoV-2 nach sechs Tagen nicht mehr nachweisbar.

Leider ist bei all der Freude über das, was wie ein Durchbruch erscheint, verloren gegangen, dass der Durchbruch in Frankreich ohne die Vorarbeiten in China nicht möglich gewesen wäre und darüber hinaus nicht wirklich ein erster, sondern bestenfalls ein zweiter Durchbruch ist, der den 15 klinischen Tests aus China, die nach Angaben von Gao et al. erfolgreich verlaufen sind, nachfolgt. Indes gilt auch hier die Mahnung von Touret und de Lamballerie. Da die Forscher ihre Ergebnisse in Forbes veröffentlicht haben, ist unklar, welche Merkmale die Patienten in Kontroll- und Behandlungsgruppe aufgewiesen haben, in welchen Stadien der Erkrankung sie sich befunden haben, was aus den Patienten geworden ist, die im Forbes-Beitrag fehlen, nämlich den Patienten, die mit Plaquenil behandelt wurden, deren Zustand sich aber anscheinen nicht gebessert hat.

Es gibt also erste Anzeichen, dass der Kampf gegen SARS-CoV-2 mit wirksamen medikamentösen Mitteln geführt werden kann. Solange die tatsächlichen Ergebnisse jedoch nicht veröffentlicht sind, ist es schwierig, die Bedeutung dieses französischen “Durchbruchs” zu bewerten. Der französische Gesundheitsminister hat eine Ausweitung der klinischen Tests genehmigt, was wohl bedeutet, der französische Staat hat seine Hand auf den Ergebnissen. Das könnte erklären, warum die Ergebnisse im Detail nicht veröffentlicht wurden und warum die französischen Forscher sich ausgerechnet Forbes als Ort der Erstveröffentlichung von Pauschalergebnissen ausgesucht haben und damit genau das tun, was Touret und de Lamballerie den chinesischen Forscher um Jianjun Gao vorgeworfen haben: Die Veröffentlichung der Ergebnisse ohne Daten.


Literatur:

Cao, Liu, Coa, Ruiyuan, Xu, Mingyue, Wang, Xi, Zhang Huanyu, Hu, Hengrui, Li, Yufeng, Hu, Zhihong, Wu, Zhong & Wang, Manli (2020). Hydroxychloroquine, a less toxic derivative of chloroquine, is effective in inhibiting SARS-CoV-2 infection in vitro. Cell Discovery 6: 16-19.

Colson, Philippe, Rolain, Jean-Marc & Raoult, Didier (2020). Chloroquine for the 2019 novel coronavirus SARS-CoV-2. International Journal of Antimicrobial Agents 55 (online).

Colson, Philippe, Rolain, Jean-Marc, Lagier, Jean-Christophe, Brouqui, Philippe & Raoult, Didier (2020). Chloroquine and Hydroxychloroquine as available weapons to fight COVID-19. International Journal of Antimicrobial Agents (Journal Pre-proof).

Gao, Jianjun, Zhenxue,Tian & Xu, Yang (2020). Breakthrough: Chloroquiine phospate has shown apparent efficacy in treatment of COVID-19 associated pneumonia in clinical studies. BioScience Trends (Advance Publication).

Touret, Franck & de Lamballerie, Xavier (2020). Of Chloroquine and COVID-19. Antiviral Research 177
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0166354220301145?via%3Dihub

Vincent, Martin J., Bergeron, Eric, Benjannet, Suzanne, Erickson, Bobbie R., Rollin, Pierre E., Ksiazek, Thomas G., Seidah, Nabil G. & Nichol, Stuart T. (2005). Chloroquine is a potent inhibitor of SARS coronavirus infection and spread. Virology Journal 2(1): 69-79.

Wang, Manli, Cao, Ruiyuan, Zhang, Leike, Yang, Xinglou, Liu, Jia, Xu, Mingyue, Shi, Zhengli, Hu, Zhihong, Zhong, Wu & Xiao, Gengfu (2020). Remdesivir and chloroquine effectively inhibit the recently emerged novel coronavirus (2019-nCoV) in vitro. Cell Research 30: 269-271.



Fakten zu SARS-CoV-2/COVID-19:




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