Die einen diskutieren darüber, ab wie vielen Toten die Eindämmung einer Pandemie zu rechtfertigen ist. Die anderen befassen sich mit dem nachhaltigen Ausstieg aus der Krise. Wieder andere versuchen, Licht in das wissenschaftliche Dunkel zu bringen, das SARS-CoV-2 und die davon ausgelöste Krankheit COVID-19 nach wie vor umgibt.
Zu Letzteren gehören, Ling Mao, Mengdie Wang, Yu Hu, Shengcai Chen, Quanwei He, Jiang Chang, Candong Hong, Yifan Zhou, David Wang, Xiaoping Miao und Yanan Li vom Department of Neurology der Huazhong University of Science and Technology in Wuhan. Sie haben die neurologischen Beeinträchtigungen und Schäden untersucht, die mit einer Erkrankung an COVID-19 einhergehen. Bereits in einer Untersuchung der National Health Commission of the People’s Republic of China wurde auf Basis von Autopsien eine Häufung von Schwellungen im Hirngewebe und degenerierte Neuronen nachgewiesen, so dass man davon ausgehen kann, dass Hirnschädigungen oder allgemeiner: Schäden des zentralen Nervensystems eine Folge bzw. Begleiterscheinung von COVID-19 darstellen können. Hinzu kommt, dass eine Reihe von COVID-19 Patienten einen Verlust des Geruchs- oder Geschmacksinns berichtet haben, während andere heftige Muskelschmerzen als Symptome aufgewiesen haben. Vor diesem Hintergrund haben die oben genannten Autoren um Ling Mao für 214 hospitalisierte Patienten, von denen 88 ernsthaft erkrankt waren, untersucht, welche neurologischen Befunde mit einer COVID-19 Erkrankung einhergehen.
Dabei unterscheiden sie zwischen
- Beeinträchtigungen des zentralen Nervensystems – CNS: Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Bewustsseinsstörungen, Hirngefässerkrankungen, Verwirrung, und epileptische Anfällen;
- Beeinträchtigungen des peripheren Nervensystems – PNS: Verlust / Einschränkung des Geschmacks- oder Geruchssinns, Sehstörungen, Nervenschmerzen;
- Muskel-Skelett-Verletzungen;
Von den 214 untersuchten Patienten sind 88 Patienten ernsthaft erkrankt, 126 (noch) nicht ernsthaft, 87 sind männlich und 127 weiblich. Eine Minderzahl, nämlich 83 weisen Ko-Morbiditäten auf, darunter am häufigsten vertreten sind Bluthochdruck und Diabetes. Mit Ko-Morbiditäten geht ein höheres Risiko einher, ernsthaft zu erkranken, wobei dieses höhere Risiko im Wesentlichen auf Bluthochdruck und Diabetes zurückzuführen ist.
Eine Beeinträchtigung des Zentralen Nervensystems wurde bei 78 Patienten festgestellt: Schwindel, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen waren am häufigsten vertreten. Hirngefässerkrankungen kamen in 6 Fällen vor. Relativ verbreitet scheinen auch Beeinträchtigungen des peripheren Nervensystems zu sein, ein Verlust des Geschmacks- und des Geruchssinns wird relativ häufig berichtet (n = 23). Auch Muskel-Skelett-Verletzungen sind unter den Patienten häufig zu finden (n = 23).
Die Erklärung für diese Ergebnisse findet sich nach Ansicht der Autoren darin, dass ACE2-Rezeptoren, über das SARS-CoV-2 mit seinem Spike-Protein Zugang zu menschlichen Zellen gewinnt, in Muskeln und im Nervensystem vorhanden sind, so dass ein direkter Angriff durch SARS-CoV-2 erfolgen kann. Mit neurologischen Beeinträchtigungen, vor allem mit Hirngefässerkrankungen, Bewusstseinsstörungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen geht ein erhöhtes Risiko, ernsthaft an COVID-19 zu erkranken, einher.
Relevant werden diese Ergebnisse vor dem Hintergrund, dass etliche Patienten keines der bekannten Symptome: Husten oder Fieber oder Atembeschwerden aufweisen, also als asymptomatisch anzusehen sind, die aber von einem Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns berichten. Die Ergebnisse von Mao et al. (2020) bieten daher die Möglichkeit, asymptomatische Patienten ohne Test zu identifizieren. Sie zeigt darüber hinaus, dass COVID-19 eine Erkrankung darstellt, die an vielen Stellen im Körper gleichzeitig angreifen kann und beileibe nicht nur auf die beiden Lungenflügel begrenzt ist.
Die folgende Tabelle aus Mao et al. (2020) stellt die berichteten Ergebnisse noch einmal zusammen:
Mao, Ling et al. (2020). Neurologic Manifestations of Hospitalized Patients With Coronavirus Disease 2019 in Wuhan, China. JAMA Neurology.
National Health Commission of the People’S Republic of China. (2020). Diagnosis and Treatment of the Novel Coronavirus Pneumonia.
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