Herbe Kritik am Robert-Koch-Institut: Heimlichtuer, die der Aufgabe nicht gewachsen sind?

Wir haben selten Gelegenheit, auf gute Arbeiten deutscher Soziologen hinzuweisen. Heute haben wir diese Gelegenheit. Rainer Schnell, ein empirischer Sozialforscher – mit dem distinkten Stallgeruch von Hartmut Esser -, der heute den Lehrstuhl für Empirische Sozialforschung an der Universität Duisburg-Essen innehat und Menno Smid, Soziologe und seit 2009 Vorstandsvorsitzender der infas holding, geben uns diese Gelegenheit in Form eines Vortrags mit dem Titel: “Methodische Probleme und Lösungen für epidemiologische Corona Forschung“.

In diesem Vortrag kritisieren beide das Robert-Koch-Institut, und zwar in einer Weise, die – angesichts der Bedeutung des RKI für die deutsche Strategie zur Eindämmung der SARS-CoV-2 Epidemie – betroffen machen, ja Angst machen muss.

Not fit for purpose – der Aufgabe nicht gewachsen, so lautet unsere Zusammenfassung der Bewertung des RKI, die Schnell und Smid vorgenommen haben.



Beginnen wir mit dem RKI.

In der Pressemeldung vom 9. April hat das Robert-Koch-Institut angekündigt, bundesweite Studien durchführen zu wollen, also viel Geld verbraten zu wollen, um das tatsächliche Ausmaß der Verbreitung von SARS-CoV-2 zu erforschen. Nicht weniger als vier verschiedene Studien will man beim RKI durchführen, um die folgenden Fragen zu beantworten:

“Wie weit ist das neue Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland tatsächlich verbreitet? Wie viele Menschen haben bereits eine Infektion durchgemacht und sind jetzt zumindest für eine gewisse Zeit immun? Das wollen … Wissenschaftler des Robert Koch-Instituts in mehreren großangelegten Studien herausfinden.”

Und das sind die vier verschiedenen Untersuchungen, die die großangelegte Studie ausmachen:

  • Serologisch Untersuchung von Blutspendern: Alle 14 Tage sollen ca. 5.000 Blutproben untersucht werden. Gesucht wird nach Antikörpern, die den Schluss zulassen, dass der entsprechende Blutspender eine Infektion mit SARS-CoV-2 hinter sich hat.
  • Seroepidemiologische Studie: An mehreren besonders betroffenen Orten („Hotspots“) sollen 2.000 Personen ab 18 Jahre mehrfach auf Antikörper untersucht werden. Ziel ist es, u.a. die Menge asymptomatisch Infizierter bestimmen zu können. Klinische Symptome, Vorerkrankungen, Gesundheitsverhalten, Lebensumstände und psychische Gesundheit sollen ebenfalls erfragt werden.
  • Bundesweite bevölkerungsrepräsentative seroepidemiologische Studie: 15.000 Personen sollen an 150 Orten über Deutschland verteilt auf Antikörper getestet werden. Wie in der Seroepidemiologischen Studie sollen zudem Vorerkrankungen, Gesundheitsverhalten, Lebensumstände und psychische Gesundheit der Probanden untersucht werden.
  • In der Pressemeldung vom 7. April hat das RKI die Einführung einer so genannten Datenspende-App angekündigt. Damit soll die regionale Verbreitung symptomatischer Patienten erfasst werden. Davon erhofft man sich beim RKI Aufschlüsse über das “Infektionsgeschehen” und die Möglichkeit, Rückschlüsse auf die Wirkung bisheriger Maßnahmen ziehen zu können.

Die “großangelegte Studie” wirkt auf den ersten Blick wie ein Wunschkonzert von Leuten, die gerne Informationen hätten und nun alle möglichen Quellen in einer mehr oder weniger panischen Weise anzapfen, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. Die “großangelegte Studie” ist nicht das Ergebnis einer systematischen Herangehensweise, sie ist ein Patchwork dessen, was Leuten beim RKI in einem Brainstorming eingefallen ist. Und sie ist NICHT geeignet, um die Fragen, die damit beantwortet werden sollen, auch tatsächlich beantworten zu können.

Warum nicht? Wir übergeben das Wort an Rainer Schnell und Menno Smid:

Die Datenspende-App ist aus statistischer Sicht sinnlos.

  • Was mit der App gemessen wird, ist unklar.
  • Ob das, was gemessen wird, irgend eine Gültigkeit beanspruchen kann, ist unklar.
  • Die Stichprobe ist in jedem Fall verzerrt. Jüngere und gesündere Menschen, die Sport treiben und Fitness-Armbänder, deren Daten die Datenspende-App vor allem anzapfen will, tragen, sind überrepräsentiert.
  • Die Stichprobe ist somit eine selektive Stichprobe aktiver Personen. Diejenigen, die am meisten für SARS-CoV-2 anfällig sind, werden mit dieser Datenspende-App gerade nicht erreicht.
  • Die Datenspende-App ist Smartphone basiert. Smartphonenutzung ist abhängig von Alter und Bildung. Ein weiterer Grund dafür, dass die Daten, die über die Datenspende-App gewonnen werden können, selektiv und nicht verallgemeinerbar sind.
  • Die Bereitschaft, die eigenen Daten an ein staatliches Institut zu übermitteln, ist nicht generell vorhanden. Ein weiterer Grund dafür, dass die Daten, die über die Datenspende-App gewonnen werden können, verzerrt sind.
  • Und selbst wenn dies alles nicht zutreffen würde gilt: Um verlässliche Daten gewinnen zu können, wäre eine Stichprobe notwendig, die mindestens 15,1 Millionen Personen umfasst.

Damit ist die Datenspende-App vom Tisch. Eigentlich. Aber natürlich wird eine Organisation wie das RKI, das von staatlichen Zuweisungen lebt, keine einmal in Bewegung gesetzten Räder stoppen, und sei das Endergebnis noch so sinnlos.

Serologische Untersuchung an Blutspendern (n = 5000)

  • Auf Basis von Blutspendern können Daten über eine Stichprobe gesundheitsbewusster Personen gewonnen werden.
  • Damit ist die Stichprobe verzerrt und nicht auf die Bevölkerung hochrechenbar.

“Aus statistischer Sicht ist diese Stichprobe wertlos.”

Seroepidemiologische Studie (n = 2000) an Hotspots

  • Das RKI macht keinerlei Angaben dazu, wie die “Hotspots” ausgewählt werden.
  • Man kann begründet annehmen, dass die Auswahl nicht als Zufallsauswahl erfolgen wird.
  • Eine Hochrechnung der so gewonnen Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung ist nicht möglich, denn:
    • die regionale Verteilung der Faktoren, die sowohl das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren als auch daran zu erkranken, determinieren, ist nicht bekannt.
    • Die regionale Verteilung der Faktoren, die den Krankheitsverlauf beeinflussen, ist nicht bekannt.
  • Damit die Studie dem RKI verwertbare Daten liefert, ist es notwendig, dass sich Daten-Ausfälle systematisch verteilen – die so genannte MAR[missing at random]-Annahme. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies im vorliegenden Studien-Design des RKI sichergestellt und bei Gewinnung der Daten der Fall ist. Es gibt aber viele Gründe zu erwarten, dass bereits die Auswahl von “Hotspots” dazu führen wird, dass sich die fehlenden Daten NICHT zufällig verteilen. Warum: Weil sich ein Hotspot bereits durch die Anzahl der positiv Getesteten von allen Nicht-Hotspots, die in der Studie nicht berücksichtigt werden, unterscheidet. Folglich verteilen sich die fehlenden Werte, also Informationen zu SARS-CoV-2 und zu Personen, die nicht in der Stichprobe sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit systematisch.

Auch die seroepidemiologische Studie ist nutzlos.

Bundesweite bevölkerungsrepräsentative seroepidemiologische Studie

  • 15.000 Personen sollen an 150 Orten untersucht werden.
  • Damit eine solche Untersuchung sinnvoll ist, müssen die 150 Orte mit einer geschichteten Zufallsauswahl ausgewählt werden. Ob man sich dieser Problematik beim RKI bewusst ist und entsprechend vorgehen will, ist – der Geheimniskrämerei des RKI geschuldet – unbekannt.
  • 15.000 Befragte, die an 150 Orten untersucht werden sollen, ergeben eine Fallzahl von 100 Personen pro Untersuchungsort. Das sind zu wenige Personen, um Designeffekte, also systematische Verzerrungen durch die Auswahl der Orte UND die Auswahl der Personen pro Ort, ausschließen zu können.
  • Die Annahme, dass alle wie auch immer ausgewählten 100 Personen an allen 150 Untersuchungsorten an der Untersuchung teilnehmen, ist illusorisch. Es ist mit geringeren Fallzahlen zu rechnen als geplant. Das gerade im letzten Punkt beschriebene Designproblem wird dadurch noch größer.
  • Die Auswahl der Personen vor Ort wird systematische Ausfälle aufweisen. Personen, die sich z.B. in Behandlung, im Altenheim oder in Gefängnissen befinden, werden nicht berücksichtigt. Eine verzerrte Stichprobe, die keinerlei Rückschluss auf die Bevölkerung erlaubt, ist das Ergebnis.
  • Um Rückschlüsse auf die Bevölkerung vornehmen zu können, ist die Stichprobe viel zu klein. Ein Mindestumfang von 30.000 Personen wäre notwendig, um halbwegs verlässliche Daten gewinnen zu können.

Auch die bevölkerungsrepräsentative seroepidemiologische Studie erbringt vorhersehbar keine verlässlichen Ergebnisse.



Vier Studien will das RKI durchführen, um herauszufinden, wie verbreitet SARS-CoV-2 in Deutschland ist.
Mit den vier Studien verbinden sich viel Aufwand und hohe Kosten.
Aus den vier Studien werden keine verlässlichen Informationen resultieren, denn:

  • die Datenspende-App ist sinnlos, sie liefert keinerlei verallgemeinerbaren Ergebnisse;
  • die serologische Untersuchung von Blutspendern liefert eine verzerrte Stichprobe, aber keine verallgemeinerbaren Ergebnisse. Sie ist wertlos.
  • die seroepidemiologische Studie an Hotspots liefert verzerrte und nicht reliable Ergebnisse. Sie ist sinnlos.
  • die bundesweite bevölkerungsrepräsentative seroepidemiologische Studie ist zu klein dimensioniert, folgt keiner Systematik, die verwertbare Ergebnisse garantiert und wird vorhersehbar keine belastbaren und reliablen Ergebnisse liefern.

Vernichtender kann das Urteil über eine “großangelegte Studie” kaum ausfallen. Die Fragen, ob man beim RKI einfach nicht das Humankapital hat, um derartige Studien durchzuführen, ob das RKI eine Ansammlung von Aktivisten ist, die alle ihr Steckenpferd umsetzen wollen oder Virologen und Personen, die sich damit befassen, eher zur Panik und zum Aktivismus neigen als andere, drängen nach einer Antwort. Immerhin basiert die Bundesregierung ihre ad-hoc-Maßnahmen auf die Informationen, die das RKI aus nicht weniger ad-hoc zusammengeschusterten Studien zieht.

“Und wo ist der positive Teil?”, würde Hans Albert nun fragen. Und da Rainer Schnell diese Frage von Hans Albert mit Sicherheit häufiger gestellt bekommen hat, gibt es einen positiven Teil. Im nächsten Post präsentieren wir ein Untersuchungsdesign, auf dessen Basis es möglich ist, die Fragen, die das RKI gestellt hat, auch tatsächlich zu beantworten.



Fakten zu SARS-CoV-2/COVID-19:



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