SARS-CoV-2: Infektion weit weniger verbreitet als vorhergesagt
Die REACT – REal-time Assessment of Community Transmission – Studie ist eine englische Studie der Superlative:
120.610 Teilnehmer aus allen Landesteilen von ENGLAND,
die im Zeitraum vom 1. Mai bis 1. Juni einen Selbsttest auf SARS-CoV-2 ausgeführt haben,
umfangreiche Informationen zu Alter, Wohngegend, Kontakt mit positiv Getesteten, ethnischer Zugehörigkeit usw.
Eine Studie, die es erlaubt, fundierte Aussagen über die Verbreitung von SARS-CoV-2 zum, wenn man so will, Scheitelpunkt des Lockdown im zu machen, der am 23. März 2020 im Vereinigten Königreich in Kraft getreten ist. Die Ergebnisse sind in vielerlei Hinsicht interessant, vor allem, wenn man sie damit konfrontiert, dass zwischenzeitlich 40.370 Engländer (die Studie berücksichtigt nur England, also weder Wales noch Schottland oder Nordirland) an COVID-19 verstorben sind.
394.970 Engländer wurden im Rahmen von REACT angeschrieben und um Teilnahme an dieser Studie gebeten. 161.771 haben sich für die Studie registriert, die Ergebnisse von 120.620 Teilnehmern waren letztlich verwertbar. Die Teilnehmer mussten selbst einen Abstrich in Rachen oder Nase vornehmen, die Abstriche wurden bei den Teilnehmern abgeholt und in mehreren Laboren analysiert. Daten über Geschlecht, Alter und Ethnie der Teilnehmer entstammen der Datenbank des NHS. Angaben zu Symptomen, Kontakt mit an COVID-19 Erkrankten usw. basieren auf einem Fragebogen, der von den Teilnehmern (online oder telefonisch) ausgefüllt wurde.
Zunächst zu den wichtigsten Ergebnissen:
Die Prävalenz von SARS-CoV-2 in der englischen Bevölkerung beträgt 0,13%, ist also deutlich geringer als in den meisten Modellen geschätzt, in denen sie zwischen 2% und 8% liegt. Im Klartext: Viel weniger Menschen als vorhergesagt, waren gut eineinhalb Monate nach dem Lockdown mit SARS-CoV-2 infiziert. Unter 120.610 Getesteten finden sich lediglich 159 positive Getestete.
Die Prävalenz von SARS-CoV-2 hat sich vom 1. Mai 2020 bis zum 1. Juni 2020, also dem Beobachtungszeitraum der vorliegenden Studie, alle 8,6 Tage halbiert. Das R für den Beobachtungszeitraum beträgt 0,57 und liegt somit deutlich unter allen Schätzungen, die in Modellen, die wir auch auf ScienceFiles besprochen haben, vorgenommen wurden (Links zu allen Studien, die wir auf ScienceFiles besprochen haben, finden sich am Ende dieses Beitrags).
Der Lockdown ist ein effizientes Mittel gewesen, um die Verbreitung von SARS-CoV-2 einzuschränken, wie diese Ergebnisse zeigen, die in der folgenden Abbildung dargestellt sind.
Riley et al. (2020).
Besonders interessant sind die Ergebnisse im Hinblick auf die soziodemographische Beschreibung der Gruppen, die das höchste Risiko haben, mit SARS-CoV-2 infiziert zu sein:
Riley et al. (2020).
Die höchste Wahrscheinlichkeit, positiv auf SARS-CoV-2 getestet zu werden, haben Kinder, Jugendliche und vor allem Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren. Die geringste Wahrscheinlichkeit haben Personen, die 64 Jahre oder älter sind. Die Daten wurden mitten im Lockdown erhoben und ältere Menschen gehören zu der gesellschaftlichen Gruppe, die in England (und in Wales) besonders geschützt wurden / werden. Insofern ist die Tatsache, dass sie unter den positiv Getesteten seltener zu finden sind als Kinder, Jugendliche und junge Menschen, nicht verwunderlich. Die Diskussion darüber, ob Kinder und Jugendliche für SARS-CoV-2 im selben Maße anfällig sind wie andere Bevölkerungsgruppen, kann auf Basis dieser Ergebnisse eindeutig beantwortet werden: “Children and young people aged 5 to 17 yrs had similar rates of infection to adults aged 25 to 44 yrs, indicating that children are similarly susceptible to being infected with SARS-CoV-2” (8).
Es gibt keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, wenn es um die Ansteckung mit SARS-CoV-2 geht. Eine Erkrankung an COVID-19 ist indes für Männer mit einem höheren Risiko verbunden, wie aus anderen Studien, über die wir auf ScienceFiles berichtet haben, bekannt ist.
Der Kontakt mit einer infizierten Person erhöht die Wahrscheinlichkeit, positiv auf SARS-CoV-2 getestet zu werden, um den Faktor 24, also erheblich. Das Ergebnis verweist auf die Bedeutung, die die Vermeidung von Kontakten mit Infizierten hat.
Die Rate der positiv Getesteten ist unter Pflegern und Angestellten im NHS besonders hoch. Sie beträgt 0,71% bzw. 0,47% im Vergleich zu 0,13% für die gesamte Bevölkerung.
Asiaten haben eine höhere Wahrscheinlichkeit positiv getestet zu werden als Weiße oder Schwarze.
Von denen, die positiv getestet wurden, berichten nur wenige über Symptome. Auf Basis der Daten aus REACT wird der Anteil der asymptomatischen Träger von SARS-CoV-2 für England auf 69% geschätzt.
Die vollständige Darstellung der Ergebnisse findet sich in der folgenden Tabelle:
Was bedeuten diese Ergebnisse?
Zunächst ist festzuhalten, dass alle Schätzungen über die Verbreitung von SARS-CoV-2 in der englischen Bevölkerung, alle Modelle, die dazu gerechnet wurden, die tatsächliche Verbreitung um ein Vielfaches überschätzt haben. Sie zeichnen somit ein, was die Anzahl der Infizierten angeht, falsches Bild. Im Beobachtungszeitraum der vorliegenden Studie, also vom 1. Mai bis zum 1. Juni waren im Durchschnitt 74.000 Engländer mit SARS-CoV-2 infiziert und damit weit weniger als in allen Modellen, deren Schätzungen zwischen 300.000 und über einer Million Infizierte variieren, vorhergesagt wurden. Im Beobachtungszeitraum ist die Prävalenz von SARS-CoV-2 pro Tag um 0.081 (bezogen auf R) zurückgegangen, hat sich alle 8,6 Tage halbiert, Rwird für den gesamten Beobachtungszeitraum mit 0,57 angegeben, abermals weit unter den Werten für R, die auf Grundlage durchgeführter Tests errechnet wurden. Mit anderen Worten, die tatsächliche Situation im Mai war wesentlich günstiger als sie in den offiziellen Daten, die auf Basis der durchgeführten Tests zusammengestellt wurden, abgebildet wurde.
Wenn aber die Situation im Mai viel günstiger war, dann muss die Lethalität von COVID-19 neu betrachtet werden. Mit 40.370 an COVID-19 verstorbenen Menschen weist England eine der höchsten Sterberaten weltweit auf. Wenn die Zahl der Infizierten im Mai bereits weit hinter den Prognosen zurückgeblieben ist, dann kann dies entweder darauf zurückgeführt werden, dass der Lockdown sehr effizient war und die Verbreitung von SARS-CoV-2 schnell eingedämmt wurde oder als Indiz dafür gewertet werden, dass die Anzahl der Infizierten auch vor dem Lockdown nicht so hoch war, wie errechnet. Letzteres hätte indes die unangenehme Konsequenz, dass nunmehr weniger Infizierte 40.370 Toten gegenüber stehen, die Lethalität von COVID-19 damit erheblich nach oben korrigiert werden müsste.
Leider widmen Riley et al. (2020) dieser wichtigen Frage keine Aufmerksamkeit. In jedem Fall hat ihre Arbeit gezeigt, dass es möglich ist, sich ein Lagebild auf Basis von Abstrichen zu verschaffen, die Bürger selbst ausführen und bis zur Abholung im Kühlschrank aufbewahren. Damit wird eine ganz neue Möglichkeit für die zukünftige Behandlung lokaler Ausbrüche eröffnet, die lokale Lockdowns und überzogene Maßnahmen wie lokal begrenzte Ausreiseverbote, die Angela Merkel in einer Homage an die DDR ins Spiel gebracht hat, zu vermeiden hilft.
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Nicht aus den Daten, die bislang veröffentlicht sind. Aus der ganzen Anlage von REACT heraus würde ich vermuten, dass es nicht möglich ist, den medizinischen Werdegang der Infizierten zu verfolgen. Aber vielleicht gibt es eine “Teilstudie”. Mal schaun.
Er hat “Jehova” gesagt! Sie können doch nicht einfach so mit der Begründung “Lockdown” eine geringere Infektionsrate propagieren und diese (Begründung) besser stellen als die fehlenden Toten, die doch, wie jeder weiß, der einzige Indikator für die Gefährlichkeit eines Virus sind. Damit rütteln sie an den Fundamenten der Anti-Corona-Kirche. *Satire off
“.. dass es möglich ist, sich ein Lagebild auf Basis von Abstrichen zu verschaffen, die Bürger selbst ausführen und bis zur Abholung im Kühlschrank aufbewahren ..”
Alles habe ich nicht verstanden. Zu den selbst ausgeführten abstrichen, wie sicher sind diese? Kann ein schlecht ausgeführter Abstrich einen infizierten zu einem gesunden macht?
Insbesondere auch der Aspekt daß es bei Kindern die Eltern machen wohingegen die Erwachsenen den Probezug wohl teilweise alleine machen.
Ich weiß nicht ob die Sache mit den Todeszahlen sehr ergiebig ist. Die Todesrate ist ja über den Verlauf nicht gleichbleibend und auch zwischen den Ländern extrem unterschiedlich.
Im Verlauf ist es aber so, dass die Todeszahlen stärker abnehmen als die Fallzahlen. Wenn, dann kann man Todeszahlen also nicht aus einer angenommenen Prävalenz prognostizieren, sondern nur verbunden mit dem Zeitpunkt in dem die Epidemie angelangt ist.
In UK lagen die höchsten Todeszahlen um den 14 April. Ebenso die höchsten Fallzahlen. Die bis zum 14. April Verstorbenen haben sich aber ja vor dem Höhepunkt der Fallzahlen infiziert. Während die Fallzahlen dann bis zum 6. Mai fast konstant hoch bleiben fallen die Todeszahlen beständig ab. Also insbesondere auch bereits nach dem Höhepunkt der Fallzahlen um den 14. April, wo man ja noch 3 Wochen Höchststände erwarten konnte (wenn man die Todeszahlen direkt an die Fallzahlen oder die Prävalenz koppeln will).
Also sind die Todeszahlen nicht direkt mit den Fallzahlen oder der Prävalenz gekoppelt. D.h. es gibt andere Gründe für die Todesrate zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Ich weise nochmal auf Schweden hin wo die Todeszahlen am höchsten zu Beginn bei relativ niedrigen Fallzahlen waren. Und bei den höchsten Fallzahlen im späteren Verlauf deutlich unterschritten wurden. Was nochmal ein Unterschied zu anderen Ländern ist. Denn dort waren fallende Todeszahlen auch mit sinkenden Fallzahlen verbunden.
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Nicht aus den Daten, die bislang veröffentlicht sind. Aus der ganzen Anlage von REACT heraus würde ich vermuten, dass es nicht möglich ist, den medizinischen Werdegang der Infizierten zu verfolgen. Aber vielleicht gibt es eine “Teilstudie”. Mal schaun.
Er hat “Jehova” gesagt! Sie können doch nicht einfach so mit der Begründung “Lockdown” eine geringere Infektionsrate propagieren und diese (Begründung) besser stellen als die fehlenden Toten, die doch, wie jeder weiß, der einzige Indikator für die Gefährlichkeit eines Virus sind. Damit rütteln sie an den Fundamenten der Anti-Corona-Kirche. *Satire off
“.. dass es möglich ist, sich ein Lagebild auf Basis von Abstrichen zu verschaffen, die Bürger selbst ausführen und bis zur Abholung im Kühlschrank aufbewahren ..”
Alles habe ich nicht verstanden. Zu den selbst ausgeführten abstrichen, wie sicher sind diese? Kann ein schlecht ausgeführter Abstrich einen infizierten zu einem gesunden macht?
Insbesondere auch der Aspekt daß es bei Kindern die Eltern machen wohingegen die Erwachsenen den Probezug wohl teilweise alleine machen.
Ich weiß nicht ob die Sache mit den Todeszahlen sehr ergiebig ist. Die Todesrate ist ja über den Verlauf nicht gleichbleibend und auch zwischen den Ländern extrem unterschiedlich.
Im Verlauf ist es aber so, dass die Todeszahlen stärker abnehmen als die Fallzahlen. Wenn, dann kann man Todeszahlen also nicht aus einer angenommenen Prävalenz prognostizieren, sondern nur verbunden mit dem Zeitpunkt in dem die Epidemie angelangt ist.
In UK lagen die höchsten Todeszahlen um den 14 April. Ebenso die höchsten Fallzahlen. Die bis zum 14. April Verstorbenen haben sich aber ja vor dem Höhepunkt der Fallzahlen infiziert. Während die Fallzahlen dann bis zum 6. Mai fast konstant hoch bleiben fallen die Todeszahlen beständig ab. Also insbesondere auch bereits nach dem Höhepunkt der Fallzahlen um den 14. April, wo man ja noch 3 Wochen Höchststände erwarten konnte (wenn man die Todeszahlen direkt an die Fallzahlen oder die Prävalenz koppeln will).
Also sind die Todeszahlen nicht direkt mit den Fallzahlen oder der Prävalenz gekoppelt. D.h. es gibt andere Gründe für die Todesrate zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Ich weise nochmal auf Schweden hin wo die Todeszahlen am höchsten zu Beginn bei relativ niedrigen Fallzahlen waren. Und bei den höchsten Fallzahlen im späteren Verlauf deutlich unterschritten wurden. Was nochmal ein Unterschied zu anderen Ländern ist. Denn dort waren fallende Todeszahlen auch mit sinkenden Fallzahlen verbunden.