Schon erstaunlich, wie schnell die EU-Bürokratie und ein Teil der Mitgliedsstaaten, Frankreich, die Niederlande, Deutschland, die Wochen benötigen, um einen Impfstoff, der im UK seit mehr als einer Woche erhältlich ist, zu genehmigen, in der Lage sind, auf Gerüchte zu reagieren und Grenzen dicht zu machen.
Das Zauberwort lautet: Mutation.
#Mutation trendet auf Twitter, und wie immer, wenn etwas auf Twitter trendet, findet man unter dem Hashtag eine Unzahl von Ahnungslosen, die ganz genau wissen, wie man auf das, von dem sie bestenfalls vom Hörensagen etwas wissen, reagieren muss:
- Grenzen dichtmachen.
- Flugverkehr stoppen.
- Briten auf ihrer Insel isolieren.
Ganz erstaunlich schnell hat Frankreich seine Fährhäfen geschlossen und ganz nebenbei dafür gesorgt, dass in Kent die M20 zu einem Meilenlangen Parkplatz für Lkws wurde, deren Fahrer nun schon seit mehr als einem Tag dort festsitzen, weil die französischen Behörden schon zuvor mit einer Art Bummelstreik für einen Rückstau gesorgt haben. Im Poker um den Brexit wird eben jedes schmutzige Mittel benutzt. Wo Politik anfängt, hört Moral bekanntlich auf. Wer es nicht glaubt, der möge einen Blick in den Bundestag werfen.
Noch schneller hat die Bundesregierung reagiert, die im Januar, Februar und März so unglaublich träge war und am 16. März erst eimal damit begonnen hat, zu prüfen, ob man die Flüge aus China stoppen soll. Der Brexit macht Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten dann, wenn man sich einen Vorteil gegenüber dem UK verspricht, offenkundig auf jedem Gebiet Beine.
Aber natürlich hat sich die britische Regierung diesen Salat selbst eingebrockt.
Dass die EU-Mitgliedsstaaten, allen voran Frankreich und Deutschland, dem UK gegenüber defektive Akteure sind, die jede Gelegenheit nutzen, um dem UK Schaden zuzufügen, das ist bekannt, damit muss man rechnen. Dass dann, wenn Matt Hancock, von dem wir nicht wissen, ob er überfordert oder ahnungslos oder so im Netz seiner Lügen verstrickt ist, dass er nicht mehr ein noch aus weiß, eine Steilvorlage in Form einer angeblich neuen Mutation, die viel gefährlicher sein soll als alle bisherigen 10.000e Mutationen und sogar bei geringer Virenladung, wie Hancock behauptet hat, in der Lage sei, schnell und effizient zu infizieren, nicht ignorieren wird, war klar, das konnte man vorhersehen.
Und die EU, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, sie haben nicht enttäuscht.
Sicher, die Isolation der Briten mit ihrem neuen Virus schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Den Briten kann man Kosten im Hinblick auf Brexit bereiten, von denen man hofft, sie in den endlos sich hinziehenden Brexit-Verhandlungen zu einem Einlenken des UK in den Streitfragen, den drei Streitfragen, über die seit Anfang des Jahres gestritten wird, zu drängen. Und der eigenen Bevölkerung kann man einmal mehr die Gefährlichkeit dieses Jahrhundertvirus, jenes Killers aller Unvorsichtigen, des Mörders aller Maskenlosen und Freigänger im Reich von Merkel und Makron deutlich machen: Die Fake-Gefährlichkeit in diesem Fall.
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll.
Wir haben gestern schon mit einigen der größten Idiotien in diesem Zusammenhang aufgeräumt. Es kann alles hier nachgelesen werden.
Beginnen wir heute, rekapitulierend damit, das Alter der Mutation, die so neu gar nicht ist, zu bestimmen. COG-UK, die britischen Wissenschaftler, bei denen alle Fäden und Phylogenesen zusammenlaufen, haben das erste Genom mit der Mutation, die nun als b.1.1.7 bekannt geworden ist, am 20. September in Kent gefunden.
“The two earliest sampled genomes that belong to the B.1.1.7 lineage were collected on 20-Sept-2020 in Kent and another on 21-Sept-2020 from Greater London. B.1.1.7 infections have continued to be detected in the UK trough early December 2020.”
Die Meldung an eine der Datenbanken, die u.a. Genome von SARS-CoV-2 sammeln, ist offenkundig erfolgt:
Die Mutation ist also alt. Wir haben gestern dargestellt, dass es bislang keinerlei Beleg dafür gibt, dass diese Mutation, anders als die 10.000 SARS-CoV-2-Mutationen zuvor, von besonderer Gefährlichkeit ist.
Die besondere Gefährlichkeit von b.1.1.7 soll darin bestehen, dass es um 70% effizienter infizieren kann, was damit begründet wird, dass weniger Virenladung notwendig sei, um sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren. Diese Argumentation spricht dafür, dass Hancock von seinen angeblich wissenschaftlichen Beratern mit diesem Unfug gefüttert wurde. Wieso ist das Unfug?
ad. 1:
Carl Heneghan, Professor of Evidence Based Medicine at Oxford University’s Nuffield Department of Primary Care hat sich in der Daily Mail zu den 70% von Matt Hancock wie folgt geäußert.
Heneghan sagt im Interview u.a.
Ich mache diesen Job seit 25 Jahren. Es ist unmöglich in so kurzer Zeit eine Quantifizierung wie “70% schneller” anzugeben.
Im Dezember ist der NHS jedes Jahr an der Auslastungsgrenze. Dieses Jahr ist das nicht anders.Ich habe den Eindruck, dass hier steigende Daten benutzt werden, um willkürliche Erklärungen vorzubringen.
Eine Mutation, die b.1.1.7 auszeichnet ist N501Y, für die Klasse der N501-Mutationen gibt es die Arbeit von Tyler N. Starr et al. (2020), die in einer Petri-Schalen-Studie untersucht haben, welche Veränderungen in der Receptor Binding Domain von SARS-CoV-2 sich wie auf die Transmissibilität von SARS-CoV-2 auswirken. Dabei kommen sie zu dem folgenden Ergebnis:
“To validate the dynamic range of our deep mutational scanning, we re-cloned and tested RBD mutants in isogenic yeast display assays. These experiments recapitulated the deep mutational scanning (Figures 4A–4C), including confirmation that some mutations enhance expression (V367F and G502D) or ACE2 affinity (N501F, N501T, and Q498Y) in the context of yeast-expressed RBD.
[…]
Mutations that enhance affinity are notable at RBD sites Q493, Q498, and N501. Although these residues are in a dense network of polar contacts with ACE2 (Shang et al., 2020; Figure 5E), our measurements show there is substantial plasticity in this network, as mutations that reduce the polar character of these residues can enhance affinity.”
Die Idee, dass die Mutation N501Y, die in b.1.1.7 gefunden wurde, zu einer höheren Transmissibilität führt, ist somit nicht das Ergebnis entsprechender Forschung, sondern das Ergebnis der Übertragung von Forschungsergebnissen, die in einem Petri-Schalen-Experiment produziert wurden. Starr et al. (2020) machen jedoch an keiner Stelle ihrer Arbeit den Versuch, die möglicherweise die Transmissibilität erhöhende Mutation an der Stelle N501 zu quantifizieren. Die 70% können dieser Arbeit nicht enommen sein.
Starr et al. (2020): Deep Mutational Scanning of SARS-CoV-2 Receptor Binding Domain Reveals Constraints on Folding and ACE2 Binding. Cell 182(5): 1295-1310.
Neben der Studie von Starr et al. (2020) gibt es noch die Studie von Gu et al. (2020), Leuten, die Gefallen daran gefunden haben, Experimente an der lebenden Maus durchzuführen. Gu et al. (2020) haben Mäuse mit einem Strang von SARS-CoV-2, der derzeit virulent ist, infiziert und festgestellt, dass bei den Mäusen, die eine moderate Pneumonie entwickelt haben, eine Mutation auf N501Y von Asn501 to Tyr zu finden war. Was man daraus für Menschen schließen kann, außer der Feststellung, dass die Methoden in der Mikrobiologie eher an das Mittelalter denn an die Neuzeit erinnern?
Keine Ahnung.
Gu et al. (2020). Adaptation of SARS-CoV-2 in BALB/c mice for testing vaccine efficacy. Science 369(6511): 1603-1607.
Andere Ergebnisse betreffen die die Plätze S1/S2 am Furin Cleavage, also der Seite, die SARS-CoV-2 für menschliche Zellen attraktiv macht. Mutationen an dieser Stelle beeinflussen die Fähigkeit von SARS-CoV-2, menschliche Zellen zu infizieren. In welche Richtung sie das tun, das ist unbekannt.
“The pandemic coronavirus SARS-CoV-2 threatens public health worldwide. The viral spike protein mediates SARS-CoV-2 entry into host cells and harbors a S1/S2 cleavage site containing multiple arginine residues (multibasic) not found in closely related animal coronaviruses. However, the role of this multibasic cleavage site in SARS-CoV-2 infection is unknown. Here, we report that the cellular protease furin cleaves the spike protein at the S1/S2 site and that cleavage is essential for S-protein-mediated cell-cell fusion and entry into human lung cells. Moreover, optimizing the S1/S2 site increased cell-cell, but not virus-cell, fusion, suggesting that the corresponding viral variants might exhibit increased cell-cell spread and potentially altered virulence. Our results suggest that acquisition of a S1/S2 multibasic cleavage site was essential for SARS-CoV-2 infection of humans and identify furin as a potential target for therapeutic intervention.”
Hoffmann, Markus, Hannah Kleine-Weber & Pöhlmann, Stefan (2020). A Multibasic Cleavage Site in the Spike Protein of SARS-CoV-2 Is Essential for Infection of Human Lung Cells. Molecular Cell 78(4): 779–784.
Für die Behauptung, dass die neue Mutation schneller und leichter infizieren könne, dass weniger Virenladung notwendig sei, um einen Menschen zu infizieren als bei herkömmlichen Varianten von SARS-CoV-2 gibt es keinerlei Beleg.
Es gibt indes Indizien dafür, dass das mit der höheren Transmissibilität von b.1.1.7 eine Ente ist. Nach unserer Kenntnis sind wir die einzigen, die diese Indizien bislang präsentiert haben. Es sind derer drei:
1:
H.A. Adwa et al. (2020) haben im September einen Beitrag mit dem Titel “Laboratory based Retrospective Study to determine the start of SARS-CoV-2 in Patients with Severe Acute Respiratory Illness in Egypt at El-Demerdash tertiary hospitals” veröffentlicht. Darin versuchen sie, Patient Zero für Ägypten zu identifizieren. Wir zitieren aus ihren Ergebnissen:
“Results: The first case of SARS-CoV-2 was detected in a 6months aged female patient on mid-April 2020, B.1.1.7, clade GR. Co-infection (with both bacterial and viral) was most prevalent in pediatrics than adults, but mortality was higher in adults than pediatrics (18.1% versus 7.1%). ICU admission was higher in adults than in the pediatric group (65% versus 12.8%).”
Beim ersten Patient mit SARS-CoV-2, der in Ägypten im April 2020 bekannt geworden ist, wurde bereits die Mutation b.1.1.7 gefunden. Wenn b.1.1.7 sich so unglaublich schnell verbreitet, dann ist zu erklären, wieso (1) es bis in den September gedauert hat, ehe b.1.1.7 im Vereinigten Königreich angekommen ist (aus Ägypten) und (2) warum die Belastung mit SARS-CoV-2 in Ägypten mit 7.098 Toten und 125.555 positiv Getesteten zu den geringsten weltweit gehört. Ist b.1.1.7 am Ende eine harmlose asymptomatische Mutation von SARS-CoV.2 – nachweisbar aber ohne Konsequenz?
2:
Vielleicht ist b.1.1.7 nicht aus Ägypten nach Britannien gekommen, sondern aus Frankreich, denn in Frankreich wurde b.1.1.7 ebenfalls schon im April gefunden.
Grégory Quéromès et al. (2020) haben im August einen Beitrag mit dem Titel “Characterization of SARS-CoV-2 ORF6 deletion variants detected in a nosocomial cluster during routine genomic surveillance, Lyon, France” veröffentlicht, in dem sie sich auf den Nachweis einer bestimmten Form von Mutation in der RBD von SARS-CoV-2 konzentriert haben. Unter den Mutationen, die sie in den von ihnen untersuchten Genomen finden, findet sich:
Demnach war b.1.1.7 im September bereits in Frankreich vorhanden. Hey, Macron, es macht keinen Sinn, die Grenzen zu schließen, die Mutation ist schon da, gefunden in Lyon, nicht unbedingt nahe am Vereinigten Königreich…
3:
Schließlich kann es natürlich sein, dass sich b.1.1.7 die ganze Zeit in England versteckt hat, um auf den richtigen Augenblick zu warten, den Augenblick, zu dem Matt Hancock auf der Suche nach einem Vorwand war, um seine idiotische Verschärfung von Lockdown-Maßnahmen zu legitimieren. Wie es der Zufall so will, finden sich Spuren von b.1.1.7 im April 2020 in Norfolk, England.
Rudelforschung von Andrew J. Page et al. (2020) hat 173 SARS-CoV-2 Genome untersucht und unter diesen Genomen doch tatsächlich die sich zu diesem Zeitpunkt in Norfolk versteckende Mutation b.1.1.7 gefunden.
Page, Andrew J. et al. (2020). Large scale sequencing of SARS-CoV-2 genomes from one region allows detailed epidemiology and enables local outbreak management. medRxiv, https://doi.org/10.1101/2020.09.28.20201475.
Gleich zwei Sample weisen b.1.1.7 nach, eine Mutation, die somit nicht neu ist. Vielmehr gibt es b.1.1.7 bereits seit April in England, und wenn die Mutation tatsächlich so viel schneller in der Lage sein soll, zu infizieren als bisherige Mutationen, dann muss man feststellen, dass sieben Monate nicht unbedingt einen Geschwindigkeitsrekord darstellen und dafür sprechen, dass b.1.1.7 eine harmlose asymptomatische Mutation von SARS-CoV-2 ist, die das Pech hatte, einer hysterischen Polit-Meute oder Polit-Gangstern, die jede Gelegenheit nutzen, um ihre Agenda voranzutreiben, in die Hände zu fallen.
Seit Januar diskutieren wir Studien zu SARS-CoV-2. Dabei ist eine der umfangreichsten Sammlungen von kritischer Literatur zur Pandemie entstanden, die es möglich macht, einerseits zu zeigen, wie das Wissen um SARS-CoV-2 die Einschätzung seiner Gefährlichkeit verändert hat, andererseits deutlich macht, dass nichts davon bei Politikern angekommen ist.
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